FRONTPAGE

«Once in a lifetime: Bruegel in Wien»

Von Ingrid Schindler

 

Das Kunsthistorische Museum in Wien zeigt bis 13. Januar 2019 mit 90 Bilden und Grafiken erstmals in der Geschichte das Werk Pieter Bruegels des Älteren. Ein sensationeller Start ins Bruegel-Jahr 2019 aus Anlass des 450. Todestags.

Welcher Bruegel? Pieter oder Jan, der Ältere, oder Pieter, Jan, die Jüngeren? Der Bauern-, Blumen-, Landschafts-Bruegel, der Moralist, Humanist, Humorist, Gesellschaftskritiker? Bis auf die Blumen beziehen sich alle Etiketten auf Pieter Bruegel den Älteren, den Gründer der flämischen Malerdynastie, der die Landschafts- und Genremalerei des 16. Jahrhunderts revolutionierte und dessen Bildwelten den Betrachter heute noch in Bann ziehen.

«Über Pieter Bruegel den Älteren (1525/30-1569) weiss man so wenig wie über Shakespeare, aber seine Bilder erzählen viel über die Zeitgeschichte», so Manfred Sellink, Direktor des Königlichen Kunstmuseums Antwerpen, einer der Kuratoren der Wiener Ausstellung. Werke des gelernten Miniaturmalers, Grafikers und Zeichners haben wir wohl alle schon gesehen: Dolle Griet, Turmbau von Babel, Bauernhochzeit, Bauerntanz oder Jäger im Schnee, das erste Winterbild überhaupt. Die flämischen Winterszenen und die in der Tradition von Hieronymus Bosch stehenden Wimmelbilder gehören zu den grossartigsten Werken der Kunstgeschichte. Aufgrund ihrer Originalität und Qualität, Detailtreue, Vielschichtigkeit und Bildwitzes erzielten sie schon zu Lebzeiten des Künstlers ungewöhnliche hohe Preise und wurden viel kopiert, auch von seinen Söhnen.

 

 

Noch nie dagewesen: Bruegels Bilder vereint
Bruegels erhaltenes Werk ist mit gut 40 gesicherten Gemälden und sechzig Grafiken überschaubar. Der grösste Bruegel-Schatz hängt in Wien: Das Kunsthistorische Museum verfügt dank der Sammlerfreude der Habsburger über 12 Bildtafeln. Den zweitgrössten Anteil am Oeuvre besitzen die Musées Royaux des Beaux-Arts (Bozart) in Brüssel, darunter die «Winterlandschaft mit Schlittschuhläufern und Vogelfalle» (1565), das meistkopierte der Bruegel-Tableaus.
Die aus Eichenholzbrettern zusammengesetzten Bildtafeln zählen zu den kostbarsten und fragilsten Kunstwerken der Welt. «Ein Bruegel reist nicht. Man lässt auch keine Mona Lisa reisen. Den Publikumsmagneten gibt man nicht aus der Hand», erklärt Sabine Haag, die Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums. Wie die Ausstellung trotzdem gelang und andere Museen Wien ohne Gegenleihen ihre Werke zur Verfügung stellten? «Entscheidend war, dass unsere Schau vor dem offiziellen Bruegel-Jahrs beginnt, so dass sie 2019 selbst ihre Originale zeigen können. Der andere Part of the Deal war, dass wir von Anfang an die internationale Bruegel-Szene in das Wiener Bruegel-Research-Projekt eingebunden haben.» Die Ausstellung sei für die Forschung eine Jahrhundertchance, die Originale erstmals nebeneinander vereint zu sehen.

 

 

Eintauchen in die Bruegel-Welt, physisch und digital
Seit Beginn der Vorbereitungen 2012 führt das KHM mit finanzieller Unterstützung der amerikanischen Getty Panel Paintings Initiative eine tiefgreifende, zerstörungsfreie Untersuchung seiner 12 Bruegel-Tafeln durch. Mittels Röntgenstrahl- und Röntgenfluoreszenzanalyse, Makro-, Infrarotfotografie und Infrarotreflektografie, 3D-Kartierung und dendrologischer Analysen wurde «die Hand des Meisters», so der Untertitel der Ausstellung, nachvollzogen. Unter dem Farbauftrag sichtbar gewordene Unterzeichnungen verraten viel über Materialien, Komposition und Entstehungsprozess: Wie hat Bruegel die komplexen Inhalte aufgebaut, welche Figuren und Details hat er nachträglich hinzugefügt oder entfernt, wie führt sein Pinselstrich den Betrachter durchs Bild usw.? Auf der ab Ausstellungsbeginn aufgeschalteten Website www.insidebruegel.com können Laien wie Wissenschaftler die Wiener Tafeln bis ins Mark analysieren.
Bruegels gewitztes Spiel mit Alltagsgegenständen und seine ungeheure Detailtreue kann der Museumsbesucher am Beispiel des Wimmelbilds Kampf zwischen Fasching und Fasten direkt in Augenschein nehmen: Durch Kooperation mit dem Bokrijk-Museum, dem flämischen Ballenberg, werden Originalobjekte dem Bild gegenübergestellt. «The World of Bruegel», die gerade für das Bruegel-Jahr in Bokrijk mit Originalhäusern und -gerätschaften, nachgestellten Spielen, Szenen und komponierten Landschaften aufgebaut wird, geht noch weiter. Dank modernster Bildtechnik kann sich der Besucher selbst in das Gewimmel des Kampfes stürzen und Teil des Bilds werden. Dies als ein Beispiel für die breite Palette digitaler Games, die die reale in die virtuelle Bruegel-Welt hinüberführen.

 

 

Die Highlights und der Scoop
Zurück nach Wien: Weitere Höhepunkte der Ausstellung sind für die Kuratoren Sabine Pénot, Elke Oberthaler, Manfred Sellink, Ron Spronk die Restaurierung der Gemälde Dulle Griet (Antwerpen) und Triumph des Todes (Madrid), das Sichtbarmachen der Entstehung der vieldeutigen angeketteten Affen (Berlin), die erstmalige Zusammenführung beider Turmbau-von-Babel-Tafeln (Wien und Rotterdam) oder die Gegenüberstellung der Zeichnung Die Imker (Berlin) mit dem Gemälde Bauer und Vogeldieb (Wien). Nach Sellink besteht der Scoop im Hafen von Neapel (Rom): «Wir wissen jetzt, dass dieses Bild hundertprozentig ein echter Bruegel ist, was bisher fraglich war.» Für ihn wäre Bruegel heute der grösste Filmemacher der Welt. Ein Fest fürs Auge ist die Wiener Ausstellung auf jeden Fall.

 

 

Auftakt zum Bruegel-Jahr
Ausstellung Bruegel, Wien, Kunsthistorisches Museum, 2.10.2018 – 13.1.2019, tgl. geöffnet.

Tipp: Timeslot für den Eintritt auf der Homepage buchen, www.khm.at
www.insidebruegel.net: Das Wiener Bruegel-Projekt gewährt Einblick in die Meisterwerke bis ins kleinste Detail. Der Betrachter kann durch die 12 Wiener Bruegel-Tafeln mithilfe modernster Methoden selber navigieren.
The World of Bruegel, Bokrijk, 5.4.-20.10.2019, www.bokrijk.be

Weitere Veranstaltungen im Bruegel-Jahr 2019 in Belgien: www.visitflanders.com, www.flemishmasters.com

 

Literatur:
Katalog: Bruegel – Die Hand des Meisters, Hrsg. Sabine Haag, KHM, Wien, Okt. 2018, 39.95 €;
Bruegels Winterlandschaften, Hrsg. Tine Luk Meganck und Sabine van Sprang, Hatje Cantz, Sept. 2018, € 54.95

 

 

Bildlegenden:
1. De Dulle Griet, 1562, Museum Mayer van den Bergh, Antwerpen
2. Bauerntanz, um 1568, Kunsthistorisches Museum, Wien
3. Kampf zwischen Fasching und Fasten, 1559, Kunsthistorisches Museum, Wien
4. Hafen von Neapel, um 1558, Galleria Doria Pamphilj, Rom
5. Die Jäger im Schnee, 1565, Kunsthistorisches Museum, Wien
6. Die Versuchung des hl. Antonius, um 1556,The Ashmolean Museum, Oxford
7. Sabine Haag, Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums, Wien

NACH OBEN

Kunst