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«Augusto Giacomettis Farb-Experimente im Kunstmuseum Bern»

Von Simon Baur

 

Augusto Giacometti hat über Jahrzehnte eine eigene Farbtheorie entwickelt und in seiner Kunst erprobt, die bisher vor allem von Kennern zur Kenntnis genommen wurde. Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Bern ermöglicht eine neue Sichtweise auf diesen zu Unrecht marginalisierten Künstler, der auch heute noch Einiges zu sagen hat.

Internationales Potentential
Vor dem Hintergrund des Abstrakten Expressionismus der 1950er-Jahre wurde Augusto Giacometti (1877-1947) posthum als Pionier der abstrakten Malerei reklamiert. Besonders viel hat diese damalige Neuentdeckung seiner Kunst nicht gebracht. Einen Durchbruch zum international beachteten Künstler hat er damals nicht geschafft und auch über 60 Jahre später, dürfte sich dies nicht verändern. Das Kunstmuseum Bern hat sich für die aktuelle Ausstellung nach Partner-Museen in anderen Ländern umgesehen, angebissen hat leider keine einzige Institution. Seine drei Verwandten Giovanni, Alberto und Diego Giacometti sind nach wie vor bekannter, dabei hat Augusto Giacomettis Malerei durchaus avantgardistisches Potential und steht qualitativ Frantisek Kupka, Robert Delaunay und Wassily Kandinsky nicht nach. Zu Lebzeiten stiess sein Hang zur Farbe in seiner Heimat auf Unverständnis, im Volksmund war gar vom «Confitüren-Giacometti» die Rede. Für Augusto Giacometti war die Beschäftigung mit Farbe zentral, ohne die er nicht sein konnte.

 

 

Farbtheorie aus eigener Praxis entwickelt
Im wiederentdeckten Manuskript seines Radiovortrags «Die Farbe und ich» steht denn auch: «Immer war es mir, also ob es ein Leben der Farbe am sich geben müsse, losgelöst von jedem Gegenstand. Aber wie mit dem Studium über die Farbe an sich beginnen? Über die Flügel der Schmetterlinge, die ich damals im Jardin des Plantes malte, zog ich ein Netz aus ganz kleinen Quadraten. (…) Hier waren die Quadrate sehr klein. Auf diese Weise konnte ich ablesen, wie viele Quadrate Schwarz, wieviel Quadrate Dunkelgrün und wieviel Quadrate Rot der Schmetterlingsflügel enthielt. Diese Quadrate zeichnete ich dann grösser, füllte sie mit der betreffenden Farbe aus und liess den Umriss des Schmetterlingsflügels weg; so hatte ich tatsächlich eine farbige Abstraktion ohne Gegenstand.» Augusto Giacometti versuchte aus dem Mikrokosmos den Makrokosmos zu verstehen. Doch so wichtig das Experiment mit dem Schmetterlingsflügel auch war, es befriedigte ihn nicht restlos. Die Zahl der Quadrate war zu gross, er reduzierte sie auf neun, denn er war der Überzeugung, dass man mit «neun Quadraten auch die reichste und vollste Farbenharmonie einfangen» könne. Diese Struktur hielt er für Jahrzehnte bei und er erwähnt in seinem Vortrag «Die Farbe und ich», seine neusten Farbabstraktionen seien 1933 auf einer Reise nach Torcello entstanden, als er versucht habe, «etwas vom Klang der alten Mosaike mit nach Hause zu nehmen». Diese Aussage ist für seine Theorie zentral, es sind Klänge und Stimmungen, die er strukturell festhielt. Dies erklärt auch die Unmöglichkeit die Harmonien vor den Originalen zu verifizieren.

 

 

Stimmungen, keine Beweise
Nicht das Festhalten einer Abbildung war seine Absicht, er wollte ein Gefühl, eine Stimmung wiedergeben. Genau dies hat zum Unverständnis seiner Kunst beigetragen, Augusto Giacomettis Farbtheorie ist stark subjektiv und lässt sich kaum auf andere Malerei anwenden. Doch ist dieses subjektive Element auch die grosse Chance seiner Kunst, in einer Zeit, in der das nicht adaptierbare System wieder einen neuen Aufschwung erlebt. Augusto Giacometti hat an keiner Kunstakademie studiert, an der er mit Kollegen über seine Farbstudien hätte philosophieren können, seine praktische Ausbildung erlangte er autodidaktisch und an der Zürcher Gewerbeschule. Seine Farbtheorie, die auf dem unmittelbaren Erleben und auch persönlichen Empfindungen beruht, weist den auch keine Ähnlichkeit mit den Ideen von Johann Wolfgang Goethe, Philipp Otto Runge und Johannes Itten oder Josef Albers auf. Doch ist sie die Grundlage seines gesamten Schaffens. Ob die Fenstermalereien für diverse Kirchen in Zürich, die Wandmalereien in der Eingangshalle der Regionalwache City der Stadtpolizei Zürich oder bekannte Bilder wie «Fantasie über eine Kartoffelblüte», sie basieren alle auf seiner Farbtheorie, die konzeptionell Ähnlichkeiten mit Paul Cézannes Malerei aufweist.

 

 

International ein unbeschriebenes Blatt
Die Farbstudien bilden die Klammer zur Berner Ausstellung, die mit zahlreichen unbekannten Werken brilliert und Augusto Giacometti als Avantgardisten der Abstraktion inszeniert. Das ist berechtigt, denn er ist im Ausland ein Unbekannter, hat aber das Potential von Kandinsky und Mondrian. Das Bern diesen Effort unternimmt, ist lobenswert. Das Kunsthaus Zürich hat dies sträflicherweise verpasst, zahlreiche biografische Bezüge Giacomettis gehen nach Zürich, in naher Umgebung des Kunsthauses finden sich auch die Wandmalereien und Glasscheiben, die er für die Polizeiwache und die diversen Kirchen geschaffen hat. Die Visualisierung der Glasscheiben mittels eines Livestreams, ist denn auch der problematischste Teil der Berner Ausstellung, die Präsentationsform ist gut gemeint, überzeugt aber nicht. Auch der Versuch der Kuratoren Augusto Giacometti durch Vergleichsbeispiele anderer Künstler, in den internationalen Malereidiskurs einzubinden, überzeugt nicht. Die Werke von Adolf Hölzel, Josef Albers, Ernst Wilhelm Nay, Johannes Itten, Jerry Zeniuk und Raimer Jochims lassen bestimmte Farbgesetzmässigkeiten erahnen, basieren aber auf anderen Ideen als Augusto Giacomettis Farbstudien. Man hätte besser daran getan, Vergleichsbeispiele aus Giacomettis Zeit zu zeigen, um zu erklären, in welchem internationalen Kontext man ihn einbinden könnte. Dennoch ist die Ausstellung erkenntnisreich, da man einen Künstler entdecken kann, dem nach wie vor der internationale Durchbruch versagt bleibt, der aber die Abstraktion in seiner sehr persönlichen Art vorausgedacht hat.

 

 

Augusto Giacometti. Die Farbe und ich. Kunstmuseum Bern. Bis 8. Februar 2015. www.kunstmuseumbern.ch,

Katalog (Wienand Verlag) CHF 39.

 

 

«Kunst kaufen, ist wie ein Virus»: die Sammlung Dreyfus im Kunstmuseum Basel

 
Von Simon Baur 
Das Kunstmuseum Basel zeigt nach der Peggy Guggenheim Foundation in Venedig die exquisite Sammlung von Richard und Ulla Dreyfus-Best.

 

Ulla Dreyfus-Best und ihr verstorbener Ehemann Richard haben über Jahren eine Kunstsammlung aufgebaut, die weltweit einmalig ist. Müsste man die zahlreichen Werke auf einen Nenner bringen, man würde wohl vom Surrealismus der letzten vierhundert Jahre sprechen. Jahreszahlen und Preise spielten dabei nur eine untergeordnete Rolle, erworben wurde, was zusammenpasste, von der italienischen Renaissance, über alte Niederländer, von den belgischen Surrealisten bis zu Jeff Koons und Matthew Barney. Lange dauerte es, bis sich Ulla Dreyfus-Best überzeugen liess, ihre spezielle Sammlung dem breiten Publikum zu zeigen. In Venedig, fern der Heimat, mag das noch angehen, in Basel ist dies mit Risiken verbunden. Immerhin sagt man den Baslern nach, dass sie zwar durchaus zu geben verstünden, jedoch nicht darüber sprechen. Ulla Dreyfus-Best tut beides und fällt damit aus dem Rahmen.

 

 

Grosszügigkeit als Lebensprinzip
Sie hat dem Basler Museum hervorragende Zeichnungen von Pieter Bruegel d. Ä. und Hans Baldung Grien und der Fondation Beyeler ein wichtiges Ölbild von Max Ernst geschenkt. Und wenn sie danach gefragt wird, erzählt sie auch über die Entstehung ihrer Sammlung. Im kulturellen Basel hat Ulla Dreyfus-Best einige Narrenfreiheit: Geboren in Köln, hat sie an der Uni Bonn Kunstgeschichte studiert und bei der rheinischen Denkmalpflege als Restauratorin gearbeitet. Sie gehört also nicht wirklich zum Basler «Daig» und doch ist sie aus diesem nicht wegzudenken.

 

 

Vielfältig aktiv
Sie sitzt im Stiftungsrat des Kunstmuseums Basel und des Musée Royal des Beaux Arts in Brüssel, ebenso bei Sotheby’s International. Sie hat das «Musée Magritte» mitgegründet und wurde von Paris für ihre kulturellen Verdienste mit dem Orden des Chevalier des Arts et des Lettres dekoriert. Ulla Dreyfus-Best ist hervorragend vernetzt und sie lässt zahlreiche Menschen daran teilhaben. Doch nicht nur dies, sie kann auch mal laut werden, wenn es um Tiere oder den Kampf gegen den Pelzhandel geht. Einst hatte man über sie gelacht, heute ist Ulla Dreyfus-Best zu einer Institution geworden: Immer offen für Neues, mit viel Witz und Esprit und oft auch schonungslos und keck. Diese Mischung ist in der Stadt am Rheinknie selten, doch sie tut gut und wirkt erfrischend. Ihr spezieller Charme zeigt sich auch in ihrer Kunstsammlung. Ganz natürlich und ohne Koketterie steht sie zum Erotikraum in der Ausstellung, zu den mehrdeutigen Objekten und den Bilder und Zeichnungen, nicht nur von Johann Heinrich Füssli und Hans Bellmer, sondern auch von Francesco Clemente. Sie sei der Erotik zugetan und sie habe auch zur Sammlertätigkeit mit ihrem Mann gehört. Stimmt Eros und Tanatos machen diese Sammlung lebendig.

 

 

Spezielle Kunstvermittlung
Vermutlich ist es dieses dynamisierende Gegensatzpaar, das die Ausstellung vom Publikum und speziell von Schulklassen überschwemmt wird. Und es wurde auch schon beobachtet, dass die Sammlerin selbst auf Schulklassen in der Ausstellung stiess und ihnen breitwillig Red und Antwort stand. Kunst kaufen, sei wie ein Virus, dagegen gäbe es kein Medikament, gestand sie kürzlich in einem Gespräch und wer ihre Sammlung erkundet, glaubt ihr aufs Wort. Verifizieren lässt sich dies im Surrealismus-Raum. Hervorragende Arbeiten von René Magritte, Paul Delvaux, Yves Tanguy, Max Ernst, Man Ray und Kurt Seligmann sind zu sehen. Und da sich die Surrealisten so sehr für Böcklin interessierten, ist auch er nicht weit. Der Abschluss der Ausstellung machen ein Medusen-Haupt und ein sehnsüchtiger Odysseus am Strand und wenige Meter davon entfernt, in anderen Räumen des Museums, finden sich die Werke die ihn so bekannt gemacht haben und die zu den Highlights des Basler Museums gehören: «Die Totentinsel», das «Spiel der Nereïden» und «Die Pest».

 

 

Zauberhafte Wunderkammer
Im Kunstmuseum ist die Metapher der Wunderkammer altbekannt, der Grundstock des Museums entstammt selbst einer solchen. Gemeint ist die Sammlung von Bonifacius und Basilius Amerbach, die später von der Stadt Basel erworben wurde. Strenggenommen ist die Wunderkammer ein Wissensraum, ein Ort über den durch sinnliche Wahrnehmung und eine spezifische Ordnung Erkenntnisse gewonnen werden. Und exakt solche Erkenntnisräume haben der Kurator der Ausstellung Andreas Beyer und die Sammlerin selbst, die ihn tatkräftig und mit ihrem profunden Wissen assistierte, zusammengestellt. Dies zeigt sich bereits im ersten Raum, zwei Narwalzähne, eine neue Arbeit von Jeff Koons, surreale Werke von René Magritte und Man Ray, Devotionalien und Zeichnungen von Johann Heinrich Füssli, sowie Arbeiten von Not Vital und Rolf Sachs schmücken den Raum. Scheinbar Unvereinbares findet sich zusammen und fügt sich zu einem grossen, zusammenhängenden Kosmos, wobei das genagelte Bügeleisen von Man Ray wie ein Motto über der grossen Konzeption schwebt: auch ein komfortables Gerät des Alltags, kann seine Zähne zeigen. Einfach machen es uns Kurator Beyer und die Sammlerin nicht, einfach soll es auch nicht sein, die möglichen Erkenntnisse würden sonst ausbleiben. Man muss die Ausstellung mehrfach besuchen, denn jedesmal lernt man etwas Neues hinzu. Kunst ist hier die Lehrmeisterin des Lebens. Die Ausstellung wird damit zum grossen Buch, das man in unterschiedlichen Lebensumständen wieder liest und jeweils neue Erfahrungen macht. Man wünscht sich mehr davon, monographische Darstellungen sind selten so inspirierend, belehrend – im positiven Sinn – und lebensnah.

 

 

 

FOR YOUR EYES ONLY

Eine Privatsammlung zwischen Manierismus und Surrealismus.
Kunstmuseum Basel,

Bis 4. Januar 2015.

Im Verlag HatjeCantz ist ein hervorragender Katalog zur Sammlung Dreyfus-Best erschienen.

228 Seiten, 156 Abbildungen, CHF 39.

www.kunstmuseumbasel.ch

 

 

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