FRONTPAGE

«Monet und Kirchner: Die Suche nach einem Ideal»

Von Simon Baur

 

Was haben Claude Monet und Ernst Ludwig Kirchner gemeinsam? Monet suchte die ideale Lichtstimmung, die er für seine Gemälde benötigte und die er schliesslich in seiner Gartenanlage von Giverny und im nebligen London fand. Ernst Ludwig Kirchner suchte seine Ideale in der Hektik der Grossstadt und in der Abgeschiedenheit der Natur, auf Fehmarn, in Berlin und später in Davos.

Es sind die Gegensätze, die beide Maler faszinierten und die es ihnen ermöglichten, Werke zu schaffen, die bis heute nichts an Bedeutung und Substanz eingebüsst haben. In der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel und im Kunsthaus Zürich können die Arbeiten dieser beiden Ausnahmetalente studiert werden. Beide Ausstellungen zu besuchen und über die Ideale der beiden Künstler nachzudenken, lohnt sich.

 

Auf der Suche nach dem Licht
Nach Ausstellungen zum Werk von Edgar Degas, Pierre Bonnard, Gustave Courbet und Paul Gauguin ist mit Claude Monet, ein weiterer Künstler in der Fondation Beyeler, zu sehen, der zu den Exponenten der französischen Malerei des 19. und 20. Jahrhunderts gehört. Die Ausstellung konzentriert sich dabei auf den Werkanteil, der ab 1880 entstanden ist, wobei ein Ausblick auf das Spätwerk nicht fehlt. In der Ausstellung sind also Monets Landschaften am Mittelmeer zu sehen, die Atlantikküsten, die Flussläufe und Landschaften entlang der Seine und in der Umgebung von Giverny, die Ansichten von London und die späten Seerosen-Bilder.
1879 ist für Claude Monet ein Jahr der Wende. Seine Frau Camille, die er 1866 kennen lernte, stirbt an Gebärmutterhalskrebs, künstlerisch ist seine Zeit als Pionier des Impressionismus abgeschlossen, die Verkäufe ziehen an, seine finanzielle Situation verbessert sich, zahlreiche Reisen zu neuen Motiven sind die Folge. Er reist, die Werke belegen es, dem Licht nach und er entwickelt dafür einen neuen, bisher ungesehenen, Umgang mit dem Bild, dem Material, das sich auf dem Bild befindet und den damit verbundenen Seherlebnissen. In der Tat scheinen seine Bilder keinen Stillstand zu dulden, sie entwickeln ein eigenständiges Leben in Bewegung, das sich nur durch ein „Er-leben“ der Betrachter nachvollziehen lässt. Die Zeit des Zurücklehnens und Geniessens ist für die Betrachter längst vorbei, bereits Gustave Courbet hat mit seinen Landschaften den Betrachter provoziert sich in die Bilder einzudenken, Monet geht damit einen Schritt weiter. Das sich Monet vom Stadtleben abwandte und seine Ideallandschaft mit dem Garten von Giverny selbst realisierte, ist genauso wenig ein Zufall wie Ernst Ludwig Kirchners Abwendung von der Natur der Moritzburger Seen und der Umzug nach Berlin. Monet suchte etwas vollkommen Neues, er entschied sich für die Erforschung der Oberflächen, dafür musste er in die Natur, die urbane Struktur konnte ihm dies nicht bieten.

 

 

Monet erzeugt malerisches Licht auf eine neue Art

Worin liegt sein Interesse am Hochwasser oder an schimmernden Eisschollen auf der Seine? Was ist die Qualität von Grau? Welche Wirkung haben die ersten Blätter an den Pappeln im Frühling und welche Oberflächen generieren die Halme des Hafers im Unterschied zum Weizen? Wie malt man Sand neben Wasser, wie malt man Wind, wie Stille und weshalb eignet sich Dunst und Nebel, um Claude Monets Werk zu verstehen? Dies nur einige der zahllosen Fragen, die sich in der Ausstellung in Riehen bei der Betrachtung der zahlreichen Bilder stellen. Obwohl Monet nach wie vor sich direkt mit dem Motiv konfrontiert, geht es ihm nicht darum dieses abzumalen, Vorhandenes ins Bild zu transferieren, sondern dieses aus dem Potenzial der Malerei neu zu erschaffen. Monet erzeugt malerisches Licht auf eine hochspezifische und neue Art. Gottfried Boehm weist in seinem durchdacht und gut verständlichen Aufsatz «Die Alchemie des Lichtes» im Begleitkatalog darauf hin: «Monet praktizierte Überlagerungen farbiger Schichten und zwar so, dass das Überdeckte nicht völlig verschwindet, sondern untergründig wirksam bleibt. Wer diese Gemälde ganz aus der Nähe betrachtet, der wird ihren mehrschichtigen Aufbau und das Nachwirken der Untergründe schnell erkennen. Das Sichtbare der Oberfläche ist farbig unterfüttert, wurzelt in einer Schicht, die es andauernd dynamisiert. Einzelne Bilder – solche, mit denen Monet besonders lange gekämpft hat – erscheinen wie Farbpolster. Es ging darum, den Augenblick einer starken Empfindung dauerhaft zu machen, ohne ihn dabei zu verfälschen oder erstarren zu lassen». Diese untermalten Valeurs fliessen in die Konstitution des Bildes ein und verleihen ihm eine jeweilige Stimmung. Zudem lassen sie das Bild nicht als eindeutige Fläche erscheinen, sondern als „flache Tiefe“, die über eine innere Differenz verfügt. Seine Arbeit mit unterschiedlichen Pinselzügen, die Kontraste bilden, entfaltet und motiviert die Erscheinung des Lichtes.

 

 

Kleine Farbkontraste und ihre visuellen Energien

Wer Licht malen will und Monet ist einer von ihnen, der bedarf eines Umweges. Bei Monet sind es die kleinen Farbkontraste und ihre visuellen Energien und es ist das als fliessendes Kontinuum angelegtes Bildfeld, das im Auge der Betrachter Lichteffekte generiert. Schatten entsteht aus Farbdifferenzen und nicht aus einer Beleuchtungsregie. Sichtbar-werden in das Thema von Monets Malerei, um das Prozesshafte einer Malerei, die nur durch die unterschiedlichen Bewegungsqualitäten funktioniert. Wem dies alles zu kompliziert klingt, der betrachte ganz einfach, wie unterschiedlich Monet Farben auf das Bild bringt, wo er diese ansiedelt, wie er sie wie Backsteine aufeinanderschichtet und welche Wirkung solche Farbmauern im Bild haben. Man konzentriere sich zudem auf den Umstand wie Licht aus der Farbe heraus entsteht, erkenne wie er die Gegenstände als Erscheinungen erfasst, sie unscharf macht, Wasser spielt hier eine zentrale Rolle, aus ihm entstehen Dunst, Nebel, Wolken und Eis.

Ferner schaue man genau, wo es kein Licht gibt und stelle dadurch fest, das er das Licht zum All-over im Bild macht. Seine Bilder sind Lichtteppiche, er macht Licht zu einer Qualität des Bildganzen und damit der Darstellung. Und vor allem soll man versuchen neu zu sehen, alles Wissen von Gegenständen über Bord zu werfen und stattdessen mit kindlicher Unschuld an die Bilder treten und mit dem eigenen Sehen neu beginnen. Das ist nicht einfach, das ist wohl die schwierigste Aufgabe, schwerer als zwei Minuten nicht zu denken, das braucht Übung, doch wem dies gelingt, der beginnt in Monets Malerei eine grossartige sinnliche Reise zu erkennen.

 

 

Zwischen Grossstadt und Inselidylle
Ernst Ludwig Kirchners Umzug von Dresden nach Berlin im Herbst 1911 markiert einen Wendepunkt in seiner Kunst. In den Jahren bis zum Ersten Weltkrieg 1914 schuf er unter dem Eindruck dieser modernsten Grossstadt Europas Werke, die in ihrer expressiven und dynamischen Art als Metaphern für das Lebensgefühl des beginnenden 20. Jahrhunderts gelten. Berlin garantierte in dieser Umbruchszeit Fortschritt und ungezählte Möglichkeiten, aber auch Vereinsamung und Überlebenskampf. Sie war das Zentrum der ungebremst wachsenden Industrie, des aufkommenden Autoverkehrs und mit zwei Millionen Einwohnern eine der grössten Arbeiterstädte Europas. Doch Berlin war auch Kunstmetropole und Moloch des Lasters. In diesem Schmelztiegel fand Kirchner genügend Inspirationen für sein Werk, das uns auch heute noch durch seine Direktheit und seine Tabubrüche überrascht. Seine Malerei vereint kubistische und futuristische Stilmerkmale mit dem Mittel der Farbe. Kantig sind die Formen, langgestreckt die Figuren, in einer permanenten Bewegung begriffen, es geht ein Flirren über die Leinwand, als bewege sie sich dauernd.

 

 

Die Suche nach der Idylle
Von Berlin aus reiste Kirchner in den Sommermonaten der Jahre 1912 bis 1914 auf die Ostseeinsel Fehmarn, die er bereits kannte. Hier verbrachte er zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin Erna Schilling und seinen Malerkollegen Max Pechstein, Erich Heckel und Otto Müller arbeitend und geniessend die Sommermonate. Abseits der Grossstadt und fern aller Konventionen genossen sie hier ein arkadisches Leben. In dieser Idylle entstanden wichtige Gemälde, von denen einige in der Zürcher Ausstellung zu sehen sind. Kräftige Farben und dynamische Formen sind Ausdruck dieses Hochgefühls im Einklang mit der Natur.

 

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges überraschte Ernst Ludwig Kirchner während seines Sommeraufenthalts 1914 auf Fehmarn, den er deswegen abbrechen und zurück nach Berlin reisen musste. Seine militärische Ausbildungszeit als Feldartillerist in Halle und die allgemeinen Erfahrungen des Kriegs stürzten Kirchner in eine schwere psychische und physische Krise, die mit starkem Alkohol- und Medikamentenmissbrauch einherging und dadurch seine künstlerische Identität bedrohte. Die trotz oder gerade aus dieser Krise heraus entstandenen Werke, bilden einen weiteren wichtigen Schwerpunkt der Ausstellung.
Nach mehreren Sanatoriumsaufenthalten in Königstein, Berlin und Kreuzlingen siedelte Kirchner 1918 in die Schweiz um, wo er seinen langen Weg der Genesung in den Davoser Bergen antrat und wo er schliesslich bis zu seinem Freitod 1938 bleiben sollte. In den Bildern der Davoser Zeit findet Kirchner zurück zur Energie, wie wir sie von den Fehmarn-Bildern her kennen und wie sie so inspirierend auf zahlreiche Künstler des 20. Jahrhunderts wirkten. Mit diesem neuen Wendepunkt in Kirchners Leben schliesst die Ausstellung chronologisch ab. Seit Jahren waren Kirchners Werke in der Schweiz nicht mehr in diesem Umfang in einer Ausstellung zu sehen, dabei wäre die Malerei zahlreicher Schweizer Künstler ohne sein Werk undenkbar. Es war also höchste Zeit die Werke aus diesen scheinbar gegensätzlichen Welten Stadt und Land miteinander vereint im Kunsthaus Zürich zu zeigen

 

 

 

Monet

Licht, Schatten und Reflexion

Fondation Beyeler, Riehen bei Basel.

Bis 28. Mai 2017.

Zur Ausstellung erscheint bei HatjeCantz ein umfassender Katalog,

CHF 62.50. www.fondationbeyeler.ch

 

 

Grossstadtrausch/Naturidyll.

Kirchner – Die Berliner Jahre.

Kunsthaus Zürich.

Bis 7. Mai 2017.
Katalog d/e

Hirmer Verlag

CHF 59.

www.kunsthaus.ch

 

 
«Kunstmuseum Luzern 10 Räume für Claudia Comte»

 
Von Niklaus Oberholzer
 
Das Kunstmuseum Luzern nennt sie nicht so, wohl aber einige Medien: Claudia Comte, 1983 in Lausanne geboren, in Berlin lebend, sei ein Shooting Star der jüngeren Schweizer Kunst. Tatsächlich ist ihre Karriere trotz des jugendlichen Alters beachtenswert und gesegnet mit Preisen, Ausland-Atelier-Stipendien und Ausstellungen in New York, Paris, Zürich, Brüssel, Berlin. In Luzern bietet Direktorin Fanni Fetzer der Künstlerin Gelegenheit für eine Super-Schau in zehn Räumen.

 

Schon im ersten grossen Saal wird deutlich: Kunst soll für Claudia Comte bei allem Hang zu Konstruktivem und zu Systematik Spass machen. Man darf sich auf in organischen Formen gefertigte Schaukeln setzen und die Welt wie zu Kindeszeiten in ständigem Auf und Ab als optischen Genuss erleben. Die Welt – oder wenigstens die Kunst: Eine riesige, direkt auf die Wand applizierte Zickzack-Linie links, Op-Art-ähnliche Malerei inmitten der schwarz getüpfelten Stirnwand, kreisrunde Malereien, die an Querschnitte alter Baumstämme erinnern, rechts. Solcherart nimmt Claudia Comte „120 ROOMS, 40 WALLS AND 1059 M2“ (so der Ausstellungstitel) des Luzerner Kunstmuseums in Beschlag – in einer grossen, energiegeladenen, aber zugleich durchdachten und gleichzeitig spielerischen Geste. Auch der materielle Einsatz ist beeindruckend und reicht von wunderbar geschliffenen Marmor-Donuts über blendend weisses 3-D-Gedrucktes, grosse und fein bearbeitete Holzskulpturen, Wandmalereien, bemalte Leinwände, variationsreiche Druckgrafiken bis zu Elementen aus High-Tech-Industrie. Claudia Comte entnimmt ihr Vokabular der jüngeren Kunstgeschichte, beginnt mit Brancusi und seinen Sockeln und streift leichthin Barbara Hepworths organische Formen. In grossen Kaktus-Skulpturen und mancherlei Wandmalereien greift sie in die Welt von Comic und Pop. Dann wieder sucht sie die Nähe zur Systematik Sol LeWitts, zu Minimal, Konkretem und Konstruktivem.
Claudia Comte schafft für sich und ein wohl auch zeitgeistiges Publikum aus diesen Elementen eine eigene Welt. Und die beruht trotz der Heiterkeit und unbekümmerten Leichtigkeit im Umgang mit all dem Vorgeformten und Vorgeleisteten auf einer Kombinatorik, hinter deren Variationen, Überlagerungen und Wiederholungen auch Hintergründiges angetippt wird: Spannend etwa, wie sich handwerkliches Materialbewusstsein im Umgang mit den Baumstämmen aus ihrem heimatlichen Wald im Waadtland und modernste Technologie der Flugzeugindustrie und des 3-D-Drucks die Hände reichen. Neugierig macht auch, wie die Künstlerin oft Gesehenem in neuen Zusammenhängen neues Leben zu geben versucht, oder wie sie Banales und auch Kitsch (etwa in der Verwendung plakativer Farbigkeit) in ihr Weltbild zu integrieren vermag. Trotz all der Intensität, mit der die Künstlerin mit ihrem Werk nach ganz verschiedenen Richtungen ausgreift, verliert sie nicht Kontrolle und Übersicht über das Geschehen in diesen zehn Räumen und auf diesen 40 Wänden. Sie behält deren Proportionen im Auge und ist um einen abwechslungsreichen Rhythmus von einem Raum zum andern besorgt.

 

Kunstmuseum Luzern: „120 ROOMS, 40 WALLS AND 1059 M2“, bis 18. Juni 2017

Ein Katalog als erste grössere Publikation über Claudia Comte erscheint zu einem späteren Zeitpunkt.

www.kunstmuseumluzern.ch

 

 

«Bündner Kunstmuseum Chur – Anne Loch – Künstliche Paradiese»
 
Anne Loch (1946 in Minden in Nordrhein-Westfalen – 2014 in Promontogno im Bergell) ist hierzulande kaum bekannt. Im Bündner Kunstmuseum Chur gibt Direktor Stephan Kunz Einblick in ihr spannendes Werk und stellt die Malerin, die viele Jahre in Graubünden lebte, in einer umfangreichen Ausstellung vor: Eine Schweizer Premiere.
 
NO. In der Basler Ausstellung „Farbe bekennen“ (1988) war ihren grossformatigen farbintensiven Blumenbilden zu begegnen, das Kunsthaus Aarau zeigte in der Ausstellung „Die Schwerkraft der Berge“ (1997) zwei ihrer Berglandschaften. Sonst sucht man nach dem Namen Anne Loch vergeblich in Schweizer Ausstellungskalendern. Das hat seine Gründe: Sie studierte in Düsseldorf, war Meisterschülerin Klaus Rinkes, hatte Kontakte zu Künstlern wie Klingelhöller, Loock, Mucha, Tannert, stellte in den 1980er Jahren mehrmals und erfolgreich im Rheinland aus – wandte sich aber 1988 abrupt vom deutschen Kunstbetrieb ab und zog in die Schweiz – nach Thusis im Kanton Graubünden. Hier trieb sie ihr malerisches Werk unbeirrt und weitgehend isoliert weiter und stellte einige Male in der Galerie Friedrich in Bern aus. Die Ausstellungen blieben mehrheitlich ohne Folgen: In Deutschland gingen sie und ihr Werk ausser bei wenigen engen Freunden vergessen, in der Schweizer wurde sie kaum zur Kenntnis genommen. Sie trieb aber trotz selbst gewählter Isolation ihr klar durchdachtes Werk zielgerichtet weiter. Nach erneuten Aufenthalten in Deutschland (ohne Ausstellungsbeteiligungen) und nach der Diagnose einer schweren Krebserkrankung zog sie 2013 ins Bergell, wo sie im Ospedale Asilo della Bregaglia 2014 starb.
 
Eine Entdeckung
Die Ausstellung „Künstliche Paradiese“, die mit zahlreichen Grossformaten das ganze zweite Untergeschoss des neuen Bündner Kunstmuseum einnimmt, ist die erste umfassende Präsentation ihres Schaffens. Das Schwergewicht liegt bei in der Schweiz entstandenen Malereien; einige Werke stammen aus den Jahren 1986 und 1987. Damit ermöglicht das Kunsthaus in Chur seinen Besucherinnen und Besuchern eine eigentliche Entdeckung: Anna Loch erweis sich als Meisterin im Handhaben des grossen Formats, das sie vor allem in den späteren Jahren in lockerer und freier Geste in Beschlag nimmt. Sie präsentiert sich als risikofreudig und ungewöhnlich direkt im Umgang mit oft grellen und leuchtenden Farben. Sie setzt zur Abstraktion neigende Formen so ins Bild, dass die Malereien zu skulpturaler Qualität finden.

 

 
Reine Natur
Anna Lochs Themen sind ausnahmslos dem Naturgeschehen entnommen, und das fast ganz ohne Einbezug der menschlichen Figur. Berge, Blumen, Bäume, Tiere sind ihre Sujets. Die Künstlerin verzichtet dabei auf Problematisierung oder kritische Distanznahme – oder vielmehr: Sie nimmt jene Schichtung vor, die dem ersten Blick die reine Freude am Seherlebnis beschert, im zweiten Hinsehen aber das Paradies so vor Augen führt, dass seine brüchige Künstlichkeit offensichtlich wird. In den weiten Berglandschaften sind keinerlei Zivilisationsspuren und keinerlei Hinweise auf menschliches Zutun zu sehen. Die tiefroten Blätter der scheinbar ewig blühenden und nie welkenden Blumen können wir als ein vom Bildgegenstand weit entfernten Geflecht von Linien, Formen und Schattierungen sehen – oder als beinahe surreales Bekenntnis zum Kitsch der bunten Farbigkeit. Die fast nur in ihren Umrissen festgehaltenen Tiere – Schafe, Hirsche oder Rehe – werden zu eigenständigen Körpern, die im weissen Grund schweben. Was als Blick in den Wald oder als Schneeglöckchen gelesen werden kann, ist ebenso frei ausgreifende und spontan rhythmisierte Ornamentik. Eine ganz besondere Materialität mit berückender Wirkung erreicht Anne Loch, wenn sie in Acryl und Zinn oder Acryl und Bronze mit scheinbar traumwandlerischer Sicherheit konzise Grossformen in die weisse Leinwandfläche setzt. Diese Grossformen können auf Baum- oder Körpersilhouetten verweisen – oder von einem andern Stern stammen.
Bündner Kunstmuseum Chur. Bis 7. Mai.
 
Katalog mit Texten von Stephan Kunz, Annelie Polen, André Born und Konrad Tobler und mit einem Gespräche von Stephan Kunz und Albrecht Schnider.

www.buendner-kunstmuseum.ch

 

 

«Bündner Kunstmuseum: Andreas Walser»

 

NO. Andreas Walser war eine Ausnahmeerscheinung. Er wird 1908 geboren als Sohn des Stadtpfarrers von Chur und besucht das Gymnasium. Sein frühes Interesse an Kunst führt ihn ins Kunstmuseum, wo er Werke kopierte, und bringt ihn in Beziehung zu Persönlichkeiten wie Bruno Giacometti, Leonhard Meisser und Ernst Ludwig Kirchner.

 

Mit 20 zieht er nach Paris, lernt Picasso, Cocteau, Klaus Mann, René Crevel und andere Künstler der Avantgarde kennen und kommt mit Drogen in Kontakt. Der höchst talentierte junge Künstler widmet sich malend, zeichnend und schreibend extensiv seinem künstlerischen Schaffen, das stark in der damaligen Pariser Kunstszene verwurzelt ist und die Nähe zu den „Grossen“ seiner Zeit nicht verleugnen kann und wohl auch will. 1930 stirbt Walser an einer Drogen-Überdosis. Bisher zeigen das Bündner Kunstmuseum (1971), das Kunstmuseum Chur (1995) und das Kirchner-Museum Davos (2005/06) Ausstellungen über Walser.
In einer kleinen und sorgfältig kuratierten Ausstellung gibt das Bündner Kunstmuseum jetzt im „Labor“ anhand von Malereien, Zeichnungen und Modellen erneut Einblick in Leben und Werk des Künstlers. Im „Labor“ möchte das Haus jungen Kunstschaffenden Gelegenheit zu eigenen Initiativen geben: Im Zusammenhang mit Andreas Walser entwickelte die Musikerin Verena Kappeler ein umfangreiches Musikprogramm, das sich auf Walser bezieht und Musikern aus der ganzen Schweiz, aber auch Schülern Auftrittsmöglichkeiten bietet.
Bündner Kunstmuseum Chur. Bis 16. Juli.

www.buendner-kunstmuseum.ch

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