FRONTPAGE

Fotografien von Dennis Hopper: «Das Leben ergreifen»

Von Georg Seesslen

Grandiose Fotografien des Schauspielers und Regisseurs Dennis Hopper (1936-2010). Nach 40 Jahren wiederentdeckt und im Martin-Gropius-Bau in Berlin jetzt endlich zu sehen. Zurück ins Jahr 1970.

Zurück ins Jahr 1970. Das war eine komische Zeit. Die sechziger Jahre waren nicht nur numerisch vorbei, und die siebziger liessen noch nicht erkennen, was sie an Aufregung, Restauration und schlechtem Geschmack zu bieten haben würden. In diesem Jahr war Dennis Hopper, als Regisseur und Schauspieler mit Easy Rider berühmt geworden und längst eine fixe Grösse auch in der Kunstszene, mit einer großen Fotoausstellung im texanischen Fort Worth Art Center vertreten. Man möchte sich vorstellen, wie sich hier zahnlückige Biker, betrunkene Kunstkritiker und zugedröhnte Hippies trafen, weil sie alle zu Recht dachten, es sei ihre Ausstellung.
Es war ein großer Erfolg, aber zu dieser Zeit hatte Hopper das Fotografieren auch schon wieder aufgegeben. Nach der Ausstellung waren die 400 Fotografien verpackt worden und verschwanden erst einmal. Hoppers Leben war zu dieser Zeit gerade ein wenig, hm, unstet. Nach seinem Tod im Jahr 2010 wurde die grosse Kiste im Nachlass gefunden, unversehrt, wenn auch mit leichten Altersspuren. Und jetzt wird die Ausstellung des Jahres 1970 sozusagen nachgestellt, einschließlich der kargen und direkten Präsentationsweise, kleine Formate auf Karton, ohne Rahmen und ohne Glas, mit Holzleisten an der Wand befestigt.
Weiter zurück, in die Jahre zwischen 1961 und 1967, in denen die Fotografien entstanden. Es ist die große Epoche von Beat, Pop und Kunst, deren Ende, ob sie’s nun vorhatten oder nicht, Dennis Hopper, Peter Fonda und Jack Nicholson in Easy Rider vorwegnahmen.

Die Geschichte? Junge Leute, die auf der Suche nach dem wahren Amerika sind, fahren Motorrad und werden am Ende von Leuten, die sich für wahre Amerikaner halten, erschossen. Vor allem aber geht es um Bilder. Oder um Augenblicke, wie man es nimmt.
Denn der Film Easy Rider sieht sich im Nachhinein wie eine farbige, aufgedrehte Fortsetzung von Hoppers Fotografien an. Die gleichen Symbole, die gleiche Vorliebe für Schattenspiele, die gleiche Suche nach dem «amerikanischen Raum». Den «letzten Western» haben manche Kritiker Easy Rider genannt. Hoppers Fotos könnte man unter demselben Titel zusammenfassen.
Hopper fotografierte in den Jahren vor Easy Rider, wie man so sagt, wie besessen. Nachdem seine Freundin (und spätere Ehefrau) Brooke Hayward ihm zum Geburtstag eine Nikon geschenkt hatte, hängte er sich das Ding um den Hals und legte es nicht mehr ab. Hopper fotografierte beinahe alles und jeden, und das ist schon die erste, unfassbare Qualität des Fundes: Hopper wurde zum Chronisten einer Zeit, in der die Szenen und Impulse noch wundersam durcheinandergingen, Kunst und Pop, Drogen und Poesie, Straße und Glamour, das Politische und das Private, Hippies und Hell’s Angels.
Doch diese große Qualität eines radikalen Dabeiseins mit der Kamera wäre nicht so viel wert ohne eine zweite Qualität von Dennis Hopper, nämlich ein untrügliches Gespür dafür, ob ein Bild etwas taugt. Dieses Gespür für das Bild hatte Hopper als Kunstsammler, als Fotograf und dann als Filmemacher. Was er indes nicht hatte, war das Talent, sich zurückzuhalten, als Schauspieler, als Trinker und Drogenvernichter und als Bildermacher. Auch seine ruhigsten und poetischsten Fotos haben etwas Nacktes und Inständiges, es sind die Bilder von einem, der keine Ruhe gibt.
Sie wurden alle mit natürlichem Licht aufgenommen, und sie blieben unbeschnitten; umso mehr erzeugt sich der Eindruck, es nicht mit einem inszenierten Kunstwerk zu tun zu haben, sondern mit einem Ausschnitt der lebendigen Wirklichkeit, so als erwarte man, dass jemand mit dem Finger schnippt, und die Szene, die angehalten wurde, um einen tiefen und verborgenen Gehalt preiszugeben, würde einfach weitergehen.
Niemals ist es ein Blick von aussen, immer ist es einer von mittendrin, und in dieser zugleich schüchternen und schamlosen Haltung bewahren die Bilder den Geist der sechziger Jahre, in denen es keine Trennung von Leben, Kunst und Politik geben sollte. Das macht die Unverschämtheit dieser Bilder im Nachhinein eben doch ganz anders als die Bilderbeuten unserer Tage. Das waren Menschen in einem Raum, in dem es diese strikte Trennung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten eben nicht gab. Und genau dies macht die kolossale Spannung in Hoppers Bildern aus, dass sie einen Moment der höchsten Intimität inmitten des Öffentlichen finden, genau so, wie sie das Allgemeine in einem sehr intimen Moment entdecken.

In diesem Raum war man ausgelassen, aber nie schutzlos. So gibt es kein Hopper-Bild, will mir scheinen, das über einen Menschen etwas aussagt, was dieser nicht selber preisgeben will. Der Fotograf und seine Objekte sind eine Einheit; es ist ein gemeinsamer Moment, der da festgehalten wird, es sind gemeinsame, gelegentlich sonderbare Geschichten wie die von Ike & Tina Turner: Ike am Piano, Tina mit Waschbrett und Bottich, und zwischen und über ihnen die Coca-Cola-Flasche. Ironisches Rollenspiel, mehr oder weniger, vor allem aber geht es darum, wie in der Pop-Art überhaupt, die grandiose und erdrückende Welt von Werbung und Entertainment zum kreativen Spiel freizugeben.
Auch dem Politischen nähert sich Hopper mit diesem «Wir»-Blick; das berühmte Bild von Martin Luther King (1965) und die anderen Fotos der Kundgebungen und «Riots» zeigen noch einmal diesen Raum der öffentlichen Intimität. Bei Hopper kommen keine «Massen» vor, und es kommen keine «Typen» vor. Der Augenblick seiner Kamera findet nur stets den Ausdruck unvergleichbarer Individualität. Selbst seine Polizisten in der Riot Police Line von 1967 sind keine Masken, so bedrohlich ihr kleiner Auftritt auch sein mag. Und im Augenblick der Festnahme bei den Sunset Boulevard Riots sucht Hopper nicht die typische Szene, sondern die Blicke der Beteiligten. Das sind keine «Schnappschüsse», es sind die essenziellen Augenblicke des Politischen: Gewalt, Angst, Widerstand. Ein Bild von 1964: am Strand von Malibu, eine amerikanische Fahne, ein weißes Stück Textil, ein Gewehr, Spuren der Menschen, die diesen Ort verlassen haben. Man spürt förmlich die Hitze, den Wind und ein Weggegangensein. Amerika ist eine Tragödie, Amerika ist eine Groteske, die Aneignung Amerikas durch die countercultures wird schiefgehen, das ahnt man in diesen Bildern.

 

Neben solchen großen Themen in kleinen Szenen gibt es natürlich gewisse formale Vorlieben des Fotografen; Hopper liebt Schattenmuster: der Schatten des Drahtzauns auf Paul Newmans nacktem Oberkörper, die Schatten des Mantilla-Schleiers auf dem Gesicht einer Frau in Durango, Mexiko. Gelegentlich geht das in ein abstraktes Spiel über, aber wie im Action-Painting oder dem Abstrakten Expressionismus, auf den sich Hopper gern bezog, verweisen auch diese Formen immer auf einen abwesenden Körper. Es geht nicht um Ornamente, sondern um Spuren. Viele der ausgestellten Fotografien zeigen Sequenzen, manche Einstellung und Gegeneinstellung, andere Näherungen oder Parallelbewegungen. Eigentlich möchten nur wenige dieser Fotografien von Dennis Hopper allein stehen, und die es tun, oder tun könnten, sind denn auch besonders schmerzhaft.
Der magische Augenblick in Hoppers Bildern: Das Leben ergreift Besitz von den Menschen, und die Menschen ergreifen Besitz vom Leben. Wenigstens für einen Augenblick.

 

 

Dennis Hopper – The Lost Album.
Martin-Gropius-Bau, Berlin.
20. September bis 17. Dezember 2012.
Der Katalog erscheint im Prestel Verlag.

 

COURTESY DIE ZEIT. Erstveröffentlichung 13.09.2012, Nr. 38.

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