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«Rembrandt: Die Jahrhundertausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum»

Von Marion Löhndorf

 

Rembrandts Spätwerk wird nach der Londoner National Gallery im Amsterdamer Rijksmuseum erstmals in einer Ausstellung gewürdigt, die sich auf den Künstler als Erneuerer konzentriert, der vor allem in den letzten Lebensjahren bilderstürmerische Energie entwickelte. Zum Beweis führt sie exquisite, von weither zusammengetragene Werke ins Feld.

Rembrandt als Projektionsfläche zahlloser Theorien und Objekt unausgesetzter Faszination: Natürlich sind sich die Kuratoren dieser Ausstellung über das Spätwerk des Malers dessen bewusst. Eine solche Strahlkraft geht von diesem Werk aus, und eine unendliche Anzahl von Rätseln und Geheimnissen. Zum Beispiel dies: Wie kam es eigentlich zum markant entwickelten Stil der letzten Lebensphase des Malers?

 

Dass Rembrandt (1606-1669) in jener Zeit grössere künstlerische Risiken einging als je zuvor, dass seine Formulierungen individualistischer wurden, ist unbestritten. Die Gründe dafür aber liegen im Dunkeln. Dagegen, so behauptete die Londoner Ausstellung, sei es leicht, seinen Spätstil mit den breiten Pinselstrichen, der gelegentlichen Anmutung des Unfertigen und der kompromisslosen Betonung des Unscheinbaren, Alltäglichen oder nach konventioneller Ansicht Hässlichen zu datieren: Es sei dies eine Entwicklung, so die Kuratoren von «Rembrandt: The Late Works», die mit «Junges Mädchen am Fenster» von 1651 ihren Anfang genommen habe. Die Vermutung, dass die Entwicklung des Spätwerks dem Nachlassen seiner körperlichen Fähigkeiten zuzuschreiben wäre – wie etwa bei Tizian, dessen Sehkraft schwächer wurde oder bei Poussin, dessen Hände schon in den mittleren Lebensjahren zu zittern begannen -, wird dabei ausgeschlossen.

 

 

Die Ausstellung wendet den Blick ab von der so oft schon betrachteten Biografie des Malers und seinem sich wandelnden Bild: vom einzelgängerischen Genie zu einem der in den fetten Jahren seiner Karriere repräsentativsten und wohl auch erfolgreichsten Künstler der vorklassizistischen Epoche, vom Seelenlandschaftsmaler und sanftmütig blickenden Selbstporträtisten zum ehrgeizigen, manchmal rücksichtslosen, wenn auch oft ungeschickten und scheiternden Unternehmer, der den Markt seiner Zeit kannte – und mithilfe zahlreicher, hart arbeitender Eleven und Werkstattmitglieder bediente. Die Londoner National Gallery nun enthält sich in ihrem Katalog weitgehend der Wertung seiner Person und versieht viele Annahmen – etwa künstlerische und menschliche Beweggründe – mit Fragezeichen. Weniger zaghaft aber holt sie den Maler zurück auf den Sockel des künstlerischen Rebellen, der zum Schluss freier, unkonventioneller malte als je zuvor.

Von 1650 an arbeitete Rembrandt nach einem Schaffenstief wieder viel, war sich seiner Meisterschaft bewusst, verlangte hohe Preise ohne nach einem Bankrott je wieder finanziell auf einen grünen Zweig zu kommen, denn die ganz grossen Aufträge blieben aus, was vielleicht seinen schwierigen Umgangsformen zuzuschreiben ist, für die es allerhand Belege gibt, so etwa die rund 25 Prozesse, in die er während seines Lebens verwickelt war. Gesichert ist seine Absicht, sich von Bestellern oder Mäzenen unabhängig zu machen. Dass er die Grenzen künstlerischer Konventionen, über die er als manischer Sammler und Kenner Expertenwissen besass, in den späten Jahren intensiver als je zuvor zu erweitern und überschreiten anstrebte, belegen unter anderem die rund 90 in der National Gallery nun gezeigten Werke, darunter 40 Gemälde, 20 Zeichnungen und 30 Drucke.

 

 

Seit mehr als dreihundert Jahren stehen Rembrandt-Kenner und Liebhaber vor allem im Bann seiner Selbstporträts. Schon zu Lebzeiten verkaufte er sie gut an die zahlreichen Verehrer seiner Kunst. Fünf davon hängen im ersten Raum der Ausstellung, vier Ölgemälde, ein Druck, zusammengetragen aus Washington, den Niederlanden, Paris und der eigenen Sammlung des Hauses. Sie zeigen den Prozess seines Alterns, sind phänomenal, fast unheimlich – in der Kunst zum Beispiel, selbst scheinbar reglosen Posen die Suggestion von Bewegung einzuschreiben. Am Ende seines Lebens, inszenierte Rembrandt sich in Phantasiegewändern als Malerkönig oder in einfacher Arbeitskleidung, aus einem Halbdunkel herausschauend, den Blick in den Spiegel an die Betrachter zurückspielend. Damals war er ein armer Mann, nachdem er ein grosses Vermögen verloren oder verschwendet und hohe persönliche Verluste erlitten – und teils selbst herbeigeführt – hatte.
Die vermeintliche Nähe, die sein weiches, immer wieder von ihm in Selbstbildnissen befragtes Gesicht herstellte, führte zu einer Reihe von oft biografischen Deutungen der Veränderung – oder Intensivierung – seiner Ausdrucksweise in den letzten Lebensjahren: Eine Düsterkeit habe sich nach dem Tod seiner Frau Saskia van Uylenburgh 1642 über sein Werk gelegt, hiess es etwa. Private Schwierigkeiten und der kriegsbedingte Einbruch im einst florierenden Kunstmarkt seines Landes vertieften seine Probleme. In der fast ein Jahrzehnt währenden Zeit nach Saskias Tod dünnte sich Rembrandts Produktivität dramatisch aus, die danach erst, zum Lebensende hin, wieder anzog. Deutschsprachige Kunsthistoriker begannen gegen Ende des 19. Jahrhunderts Theorien über einen allen Künstlern eigenen Spätstil – ein in andere Sprachen übernommener Begriff – zu entwickeln und entdeckten dabei eine generelle Tendenz zur formalen Einfachheit und Abstraktion. Rembrandt wurde dabei gern als Musterbeispiel zitiert.
Der Rembrandt-Kenner Ernst van de Wetering, der beratend bei der Gestaltung der Ausstellung in der National Gallery London, die im Februar im Rijksmuseum Amsterdam gefeiert wird, wirkte, sieht es anders. Er glaubt, dass der Maler nach der «Nachtwache» eine Stilwende habe vollziehen müssen, da er in diesem Bild seine in den vorangegangenen Jahrzehnten entwickelte, dynamische Bildsprache auf den Höhepunkt getrieben habe. Denkbar sind auch praktische Erwägungen – dass Rembrandt sich auf die Aspekte seiner Kunst, die ihn berühmt machten, konzentrieren wollte: seiner phänomenalen Wiedergabe von Stofflichkeit und Licht, der Fähigkeit, seine Modelle auratisch aufzuladen und der dramatischen Lichtregie. Damit wollte er, so die Vermutung, sich vom konkurrierenden Nachwuchs abheben, der sich am fliessenden, oft idealisierenden Barockstil nach dem Vorbild von Rubens orientierte.
Rembrandt hingegen war nicht an dieser Art von Ideal interessiert. Der Farbauftrag war oft rau, manchmal mit dem Spachtel oder Palettmesser aufgetragen, in unterschiedlicher Pinselführung. In einem Monumentalgemälde – einer seltenen Leihgabe aus Stockholm – «Die Verschwörung des Claudius Civilis» (1661-62) zeigte er die einäugige Hauptfigur frontal mit leerer Augenhöhle, ein Realismus, der seinen Auftraggebern so missfiel, dass er nie dafür bezahlt wurde. Er nahm die Schwäche, das Alter, das Unvollkommene an, machte gerade dies immer wieder zum Gegenstand: die Erkenntnis des nicht Perfekten als machtvolles Element der Kunst. Sie trug ihm schon zu Lebzeiten den Spott der Zeitgenossen ein.
Der Kaufmann und Dichter Andries Pels (1631-1681) sagte über ihn – er sei ein „Ketzer der Malerei“: Die Ausstellung erbringt den Beweis, indem sie sich auf die Malerei, seine Motive, Inszenierungen und Malweise konzentriert. Eines der rätselhaftesten Selbstbilder, das zwischen 1665 und 1669 entstand und aus dem Kenwood House in London stammt, zeigt ihn in schlichter Malermontur vor zwei Kreisen. Geschlossene Kreise wurden als Symbol für die Ewigkeit gelesen und die Fähigkeit, mit freier Hand perfekte Kreise zu malen galt als höchstes Zeichen der Kunstfertigkeit – Giotto wurde sie zugeschrieben. Bei Rembrandt sind die Kreise nicht geschlossen und er gibt sie nicht in einer durchgehenden Linie wieder, sondern in seiner eigenen Handschrift – in einer Abfolge einzelner, kleiner Pinselstriche. Glatt und perfekt geht da gar nichts auf, und das ist genau so gewollt.

 

(Erstveröffentlichung NZZ, 20.12.2014, mit freundlicher Genehmigung der Autorin).

Katalog Jonathan Bikker, Gregor J.M. Weber: Rembrandt -The Late Works. National Gallery, London 2014, 304 S., 19,95 GBP
Ausstellung bis 17. Mai 2015 im Rijksmuseum Amsterdam

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