Benjamin Lignel, Io c'e l'ho d'oro (Yeah but mine is gold), 2007; Photo: Enrico Bartolucci, Paris © Benjamin Lignel
Julie Schmid (BA Jewellery Design 2011), «The Fish with golden Bubbles» und/and «Two Dogs and a Diamond», 2011; Photo: Vlado Alonso © HEAD - Genève
Verena Sieber-Fuchs, Kragen/collar «Follow the Line!», 1989; Photo © FX.Jaggy & U.Romito
Brokenfab by Fabienne Morel, Halsschmuck/necklace, 2009; Photo © Fabienne Morel
Ted Noten, Knuckleduster (model for women), 2000; MMKA, Photo © Ted Noten
Hanna Hedman, While they await extinction, 2010; Photo © Hanna Hedman
Blick in die Ausstellung Museum Bellerive
«Entfesselt - Schmuck ohne Grenzen» Museum Bellerive 11.5.-23.9.2012
«Entfesselt – Schmuck ohne Grenzen» im Museum Bellerive
Von Ingrid Isermann
Bei Coco Chanel ging nichts ohne sie, später galten sie als bürgerliches Accessoire, jetzt haben junge Schmuckpiraten die Perlen für sich neu entdeckt, wenn zum Beispiel Fische eine Kette von Perlen statt Luftblasen steigen lassen. Jewellery redefined: wenn der Verlobungs- zum Schlagring wird, wenn der Täuberich einen goldenen Schnabel hat. Wurden früher ausschliesslich Gold, Silber und Juwelen als Materialien verwendet, so oszilliert Schmuck heute als Botschaft des Trägers zwischen Recycling und Gold. Solcher Schmuck kann ganz schön fesseln.
Schmuckstücke haben auch öffentliche und soziale Funktionen und spielen in der Liga der Fotografie, in Videos, Büchern, Plakaten, in der Mode, als Körper-Tattoo und in den neuen Medien eine bedeutsame Rolle.
Rund 80 international tätige SchmuckkünstlerInnen und Designer aus 25 Ländern sind in der Ausstellung des Museums Bellerive versammelt, die erstmals am Museum voor Moderne Kunst Arnhem präsentiert wurde. Der Fokus liegt auf den unlängst entstandenen Arbeiten relativ junger KünstlerInnen und Designer, die das Museum voor Moderne Kunst Arnhem eigens dazu eingeladen hatte, spezifische Werke zu schaffen, wovon nun einige auch im Museum Bellerive in Zürich zu sehen sind. Die zeitgenössische Schmuckkunst unterläuft die Ästhetik von Mainstream und Konsumkultur und bedient sich ungeniert auch der künstlerischen Mittel Fotografie, Performance oder Videokunst.
In Zürich ergänzen zusätzlich Schweizer Positionen das Konzept. Zunächst geben die Pioniere des Autorenschmucks Einblick in die Entwicklung der freien Schmuckgestaltung in der Schweiz.
Schweizer Pioniere der Schmuckkunst
Ende der 1960er Jahre entwickelte sich von den Niederlanden ausgehend eine Szene freier Schmuckgestalter, deren Aufmerksamkeit dem originellen Einzelstück galt und die die gängigen Typologien hinterfragte. Die Kreationen wurden als „objects to wear“ bezeichnet, am Körper getragen und bestanden mehrheitlich aus unedlen Materialien und industriellen Halbfabrikaten.
Unter den Schweizer Schmuckgestaltern gilt Max Fröhlich als Pionier dieser sog. armen Materialien. Er gab sein Wissen als Lehrer der damaligen Kunstgewerbeschule Zürich weiter, neben anderen an Johanna Dahm, Therese Hilbert und Otto Künzli, die auf der Suche nach einem demokratischen Schmuckbegriff den Mut hatten, neue Wege zu beschreiten.
Verena Sieber-Fuchs, *1943, Bernhard Schobinger, *1946, Johanna Dahm, *1947, Otto Künzli, *1948, Antoinette Riklin-Schelbert, *1920 (Publikation „Schmuckzeichen“, 1999) und Max Fröhlich, (1908-1997) sind nur einige der etablierten Vorbilder, die mit ihren frühen Arbeiten einen spannungsvollen Dialog mit aktuellen Schweizer Positionen führen. Neben der Verwendung ungewohnter Materialien legten sie ihr Credo auch auf neue Formen des Displays, die bis heute nachwirken. Die jüngere Generation schenkt ihrerseits zunehmend auch dem transdisziplinären Dialog ihre Aufmerksamkeit.
Objets trouvés – Unikate
Alltagsutensilien, Objets trouvés, bald auch kombiniert mit Edelmetallen, hielten Einzug und entfalteten ihre leicht verstörende Poesie. Wer als Gold- oder Silberschmied arbeitete, liess sich zu einem neuen Umgang mit dem edlen Material anregen.
Mittels Deformation etwa stattete Antoinette Riklin-Schelbert Silberfolie mit neuen optischen und plastischen Qualitäten aus. Künstler wie Katharina Issler, Felix Flury oder Carole Guinard verschrieben sich dem Spiel mit der Perspektive. Skulptural-objekthaft gestaltet reizt der Schmuck von Otto Künzli, Carine Düne oder Bernhard Schobinger die Grenzen der Tragbarkeit aus und widersetzt sich oft sperrig den Vorgaben des menschlichen Körpers.
Die Demontage des klassischen Schmuckverständnisses durch eine gestalterische Avantgarde wirkt bis heute nach.
Mari Keto, *1975, Finnland, fertigt Porträts von Idolen und Pop-Stars an, wie ihr Bildnis aus groben Pixeln von Grace Kelly, 2011, das aus 4200 farbigen Glas- und Acrylperlen, Metall, Acryl und Email besteht. Ein Kaugummiautomat spuckt Kugeln mit Broschen aus.
Verena Sieber-Fuchs zeigt u.a. eine 7-teilige Arbeit aus Glasperlen, eine Halskette aus Eierkartons, oder drei gewichtige Kragen, aus Vogelfedern oder einen markanten Männerkragen aus blauem Leder.
Von Bernhard Schobinger hängt eine Kette aus gebogenen Blitzableitern, von Hand geformt aus 10 kg Silber, an der Wand im Erdgeschoss.
Der seit 1984 in Paris lebende Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn, *1957, provoziert mit seiner Kolportage des Schmucks zum Protzen aus Billigmaterialien,
Dieter Meier vergoldet diskret verschiedene Orte in Zürich, so zum Beispiel das Geländer einer Brücke, die Front des Pavillons am Paradeplatz oder Schachtdeckel, dokumentiert mit Fotos ‚Urban Jewellery’ – Le rien en or – 12 Manifestationen in Zürich und Hamburg, 2009-2009.
Von Renzo Ildebrando (1956-2002) sind Schachtgitter mit Bronzezylindern zu sehen und fotografisch dokumentiert.
Von Lisa Walker, *1967, Neuseeland, hängt in der „Wunderkammer“ eine Kette aus Handys an der Wand, recycled „Mobile Phone Necklace“, 2009,
Johanna Dahm präsentiert ironischen Schmuck aus Halbfabrikaten „Wilhelm Tell’s shot“, Ringe aus Feingold-Barren 999, 2011.
Antoinette Riklin-Schelbert stellt grazilen Halsschmuck aus Stahlgewebe, 1995 und Ringe aus Silber, mit Punzen strukturiert, 2010-2011, zur Schau.
Benjamin Lignel, *1972, Paris, zeigt eine Taube mit goldenem Schnabel (Yeah, but mine’s Gold), 2007.
Fachführungen
Donnerstag, 7. Juni, 18.30 Uhr, Brigitte Moser und Regula Wyss
Donnerstag, 21. Juni, 18.30 Uhr, Monica Gaspar, Kuratorin
Donnerstag, 28. Juni, 18.30 Uhr, Christoph Zellweger
Donnerstag, 13. September, 18.30 Uhr, Bruna Hauert
Donnerstag, 20. September, 18.30 Uhr, Johanna Dahm
Stadtführungen
Urban Jewellery
Vier überraschende Streifzüge durch die Stadtkreise 1, 4,5 und 8
Mit Sabine Flaschberger und Tanja Trampe
Weitere Daten, Workshops und Informationen:
www.museum-bellerive.ch
Museum Bellerive
«Entfesselt – Schmuck ohne Grenzen»
Jewellery Unleashed!
Höschgasse
Di-So 10-17 Uhr, Do 10-20 Uhr
(bis 23. September 2012)