FRONTPAGE

«Richard Serra Drawing: A Retrospective»

Von Sacha Verna

Zweierlei sollte aussen vor lassen, wer die vierzig Jahre umfassende Retrospektive von Richard Serras zeichnerischem Werk im Metropolitan Museum in New York besucht. Erstens, die Vorstellung von der Zeichnung als Studie, als blosse Vorstufe zu einer anderen Arbeit. Zweitens, die Vorstellung von der Zeichnung als ephemeres Kleinformat, als Hauch von Bleistift auf Papier.

 

Richard Serra, dessen monumentalen Stahlskulpturen das Museum of Modern Art (MoMA) 2007 eine nicht minder monumentale Ausstellung widmete, begann sich Ende der 1960er Jahre mit der Zeichnung als Kunstform zu befassen. Und von Anfang an betrachtete der heute 71-jährige amerikanische Künstler diese als autonomen Teil seines Werkes.

 

«Seinen Stahlarbeiten gehen nie Skizzen voraus, was be-merkenswert ist für einen zeitgenössischen Bildhauer. Hingegen zeichnet er seine Skulpturen oft, nachdem sie fertiggestellt worden sind. Diese Zeichnungen können Sie in den vielen Notizbüchern sehen, die wir in dieser Ausstellung zeigen»…

 

…sagt die Kuratorin Michelle White. Die schiere Grösse und die Beschaffenheit der übrigen sechzig Werke in der Aus-stellung widerspiegeln Richard Serras wiederholte Neudefinition der Zeichnung an sich.

 

«Er versucht die Zeichnung zu einem Punkt zu bringen, wo sie nicht mehr darstellt. Das Zeichen auf dem Papier steht nicht mehr für etwas anderes, sondern nur noch für sich selber. Es hat eine physische, materielle Präsenz in dem Raum, in dem Sie sich als Betrachter befinden».

 

Richard Serra selber bezeichnet diese physische, materielle Präsenz als  «Gewicht» seiner Zeichnungen. Sie ist schwarz und weiss und reicht in vielen Fällen vom Boden bis zur Decke. Oft bestehen frühere Arbeiten aus mehreren Quadratmetern belgischem Leinen, Stoff, der direkt auf die weissen Wände geheftet und ganzflächig mit schwarzer Ölkreide bedeckt ist. Anderswo ist es dickes japanisches Hiromi-Papier, auf das Serra geschmolzene Ölkreide in unterschiedliche Umrisse verteilt hat, so dass reliefartige Landschaften entstehen. In den meisten jüngeren Werken verwendet Serra handgeschöpftes Papier und hält mit Rahmen Abstand zur Wand, doch immer sind da die Ölkreide und die Fläche, die nichts Flaches an sich haben. Immer ist da die Beziehung zum Raum darum herum, die den Bildhauer verrät.

Richard Serras Zeichnungen hätten nichts mit den Skulpturen zu tun und die Skulpturen seien nicht von den Zeichnungen abhängig, sagt die Michelle White.

 

«Aber wenn Sie vor einer Zeichnung mit dieser physischen Präsenz stehen, ist das nicht sehr anders, als stünden Sie vor einer von Richard Serras Skulpturen. Ihr Verständnis des Werkes als Betrachter ist ähnlich und kann ziemlich erhellend und verwandelnd sein».

 

Wie viele Besucher diese Retrospektive erhellt und verwandelt verlassen, bleibt abzuwarten. Doch verhindert zumindest die Vielfalt dieser Zeichnungen die buchstäblich erschlagende Langweile, die sich oft angesichts der Wucht um der Wucht Willen breit macht, die Richard Serras Skulpturen innewohnt.

 

Metropolitan Museum, New York. Richard Serra.
Zur Ausstellung ist unter demselben Titel ein 176-seitiger Katalog erschienen. Er kostet gebunden 50 Dollar, broschiert 40 Dollar.
www.metmuseum.org
(Bis 28. August 2011)

 

 

«Constantin Brancusi & Richard Serra im Beyeler Museum»

 

Der Zufall will es, dass Richard Serra gleichzeitig in der Fondation Beyeler, Riehen bei Basel zu Gast ist: mit seinen Skulpturen im Dialog zum Werk von Constantin Brancusi.

 

Richard Serra, 1939 in San Francisco geboren, begegnete 1964/65 dem Werk von Constantin Brancusi zum ersten Mal zeichnend;
im Rahmen eines Stipendiums hielt er sich in Paris auf , wo er täglich im rekonstruierten Atelier des Künstlers weilte und sich sukzessive mit den Gesetzmässigkeiten von Brancusis Skulptur auseinandersetzte. Serra war fasziniert von der Art, wie Brancusi seine skulpturalen Volumen auszeichnete, und wie er in völlig reduzierter Linienführung räumliche Dimensionen zu erfassen vermochte. Damit ist ein biographisches Moment und künstlerisches Schlüsselerlebnis an den Ansatz gestellt.

 

Beyeler möchte dem Schaffen von Brancusi (Rumänien 1876 – Paris 1957), das auch für den Beginn moderner Skulptur steht, eine bedeutende zeitgenössische Position gegenüberstellen. Erstaunliche Gemeinsamkeiten aber auch spannungsvolle Unterschiede treten zutage.

 

Einer exemplarischen Auswahl von rund 40 Skulpturen Brancusis steht ein Ensemble von 10 Plastiken und ver-schiedenen Arbeiten auf Papier von Serra gegenüber, das in radikaler Konsequenz für die Entwicklung seiner skulpturalen Idee der letzten vierzig Jahre steht, wie sie so in der Schweiz noch nie zu sehen war. Auch von Brancusi ist noch nie eine Retrospektive zu seiner Skulptur in der Schweiz präsentiert worden.

 

Die Ausstellung ist thematisch in Werkgruppen unterteilt und entzieht sich einer rein chronologischen Anordnung. 
Serra äusserte sich kürzlich zu Brancusis Arbeit: 
«Ich schaute auf sein Werk wie in ein Handbuch künstlerischer Möglichkeiten» – und als eine Summe von Möglichkeiten soll auch der Dialog dieser Ausstellung gesehen werden». (I.I.)
 

Fondation Beyeler, Riehen bei Basel
www.fondationbeyeler.ch
(Bis 21. August 2011)

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Kunst