FRONTPAGE

«Kleider machen Politik»

Von Marion Löhndorf

Die Mode am Hof der Tudors und Stuarts in der Queen’s Gallery in London

 

Eine Ausstellung in der Queen’s Gallery des Buckingham Palace zeigt höfische Mode als Statussymbol, aber auch als Zeichensystem, das politische Macht und gelegentlich nationale Identität manifestierte und verstärkte.

 

Den Blickwinkel, unter dem Porträts gewöhnlich betrachtet werden, verschiebt eine Ausstellung über Kleider und Menschen des 16. Und 17. Jahrhunderts. Nicht die Gesichter der Menschen am Hof der Tudors und Stuarts stehen hier im Mittelpunkt, sondern die Kleider. Was so leichtgewichtig nach historischer Modenschau klingt und manche vom Besuch der Ausstellung abhalten mag, ist in Wirklichkeit voller Überraschungen, hochkarätiger Werke und reizvoller Arrangements, die viel über das Sujet mitteilen.

 

Mode und Maske


Die Maler, Bildhauer und die Schneider selbst übertrafen sich an schierem handwerklichen Geschick in der Liebe zum Detail – beim Entwurf, Nähen und bei der Wiedergabe der Juwelen, Perlen, des Faltenwurfs, der eingestickten Gold- und Silberfäden, der Verästelungen der Spitze und des Seidenglanzes. Auf diese ungeheure, gelegentlich beklemmende Opulenz, die als Ausdruck herrscherlicher Macht fast haptisch erfahrbar gemacht wird, richtet die Schau ihre ganze Aufmerksamkeit. Den Glanz der Könige erhöhten die Höflinge. Luxuriöse Kleidung wurde von auch ihnen erwartet, so dass sie wie lebende Bilder die Paläste schmückten; manche von ihnen ruinierten sich damit. Kleider machten Leute, und sie machten Politik.
Verborgener Zorn, geheime Qualen oder zur Schau getragener Hochmut – das Seelenleben der Menschen, die in diesen Kleidern steckte, dürfte damals kaum gezählt haben und soll auch in dieser Ausstellung in den Hintergrund treten. Viele der hier gezeigten Gemälde interessieren sich ohnehin kaum dafür, sieht man von Ausnahmen ab: der skeptische Blick einer androgynen Dame in Grün (1528) von Bronzino könnte aus dem 21. Jahrhundert in das Gemälde gewandert sein, „Agatha Bas“ (1641) tritt aus dem Rembrandt-Dunkel einer anderen Welt, Lottos Andrea Odoni (1527) erhebt sich verächtlich über die Pracht seines Mantels und Van Dycks Edelleute bewegen sich in ihrem ihnen eigenen Equilibrium aus Arroganz und melancholischem Vergänglichkeitsbewusstsein: doch spielt all das in dieser Schau nur eine Nebenrolle, ebenso wie die feinen Köpfe einiger Holbein-Zeichnungen und das freche Lachen auf dem Gesicht einer Terrakotta-Büste, die Heinrich VIII als Kind zeigt.
In den meisten der hier versammelten höfischen Porträts geben die Modelle wenig von sich preis und präsentieren eine mit dem Maler verabredete Maske, die nach eigenen Wünschen retuschierte Version ihrer selbst. Nach aussen getragen wurden Macht, Einfluss, Reichtum und Geschmack: in komplex geschneiderten Konstruktionen, mit über- und untereinander gelagerten Stoffschichten, geschnürt, verstärkt und versteift durch Drähte, Korsetts und schwere Brokate. Architektonisch oder skulptural in ihrer dreidimensionalen Ausprägung, betonen oder negieren sie die Formen des Körpers, der darin verhüllt, verfremdet und überhöht wird, selbst schon erstarrt wie ein Juwel in seiner Fassung.
Dem Publikum des 16. und 17. Jahrhunderts lieferte Kleidung noch andere Informationen – über die Nationalität, den Familienstand, die Religionszugehörigkeit und die soziale Stellung. Heute sind einige Nuancen nicht mehr lesbar und wirken so geheimnisvoll wie sie bei ihrer Entstehung wohl kaum gedacht waren. Wir wissen nicht, warum sich Lady Frances Stuart in einem Gemälde von Peter Lely als verführerische Diana im gelben Seidenkleid (1662) gab und in einem Porträt von Jacob Huysmans (1664) in Herrenrock- und Perücke überzeugend als Mann. Wir erfahren nur, dass sie damit dem Zeitgeist folgte. Auch Mary of Modena liess sich in Männersachen malen (ca. 1675 von Simon Verelst), möglicherweise in einem Mantel, der ihrem Mann gehörte. Ganz sicher dokumentierten die Gemälde auch das Trendbewusstsein ihrer Modelle, und einige Maler nahmen den Auswüchsen der Mode die Spitze, damit das Abbild nicht allzu früh als veraltet galt.
Die Malerei verewigte die kostbaren Gewänder, die auch als angemessene Geschenke für Könige betrachtet wurden; sie verdoppelte gewissermassen den Glanz und vergrösserte die Reichweite ihres Effekts, die sich bis in unsere Gegenwart hinein verlängerte. Für die Darstellung edler Garderobe wurden die teuersten Farben verwendet – kostspieligere als jene, die für Hauttöne benutzt wurden. Bilder, auf denen das Modell – meist eine Frau – teure Gewänder trug, erzielten höhere Preise als Porträts einfacher Gekleideter, bei gleichem Format und auch, wenn sie von der Hand desselben Malers stammten. Gemälde werden oft benutzt, um noch erhaltene historische Kleidungsstücke zu datieren – und umgekehrt. Doch die Methode ist fehleranfällig, da viele Gewänder auch noch verwendet wurden, nachdem sie aus der Mode gekommen waren – wenn sie nicht geändert oder zerschnitten wurden, um in anderer Form neu zusammengesetzt zu werden.

 

Suche nach immer neuen Stilen


Die Ausstellung und der prachtvoll ausgestattete Katalog erzählen von der internationalen Verbreitung höfischer Mode durch länderübergreifende Heiraten unter den Königshäusern, durch den Austausch von Porträts und Miniaturen aus Freundschaft oder vor einer Eheschliessung, durch Musterbücher und Briefe. England und Frankreich galten in ihrer Suche nach immer neuen Stilen als Trendsetter, Spanien hielt lieber an tradierten Formen fest. In England erlebten gestickte Blumen einen solchen Boom, dass Elizabeth I in einem Gedicht von John Davies als ‘Empresse of Flowers‘ besungen wurde. Manches davon kommt einem noch heute bekannt vor.
Die modebewussten Könige Heinrich VIII und Charles II (der sein Haar auf der einen Seite länger trug als auf der anderen) beschäftigten ausländische Schneider, deren Namen, John de Paris und Claude Sorceau, heute noch bekannt sind. Die Beständigkeit, mit der sich der Einfluss der spanischen Mode mit ihren geometrischen Schnitten und ihrer strengen, klaren Silhouette, im Europa des 16. Jahrhunderts hielt, spiegelte auch die politische Macht des Landes. Monarchen wie Heinrich VIII und Elizabeth I erliessen Gesetze, um das Tragen bestimmter Kleidung in allen Gesellschaftsschichten zu steuern: effizient waren diese aber in Wirklichkeit nie, denn die Mode entzog sich von jeher der kompletten staatlichen Kontrolle. Vor allem aufstrebenden Schichten sollte das Tragen von Kleidern, die ihren Aufstieg demonstrierten oder die sich an höfische Kleidungstile anpassten, untersagt werden.

 

Komplexes Zeichensystem


Die äussere Aufmachung war ein weithin sichtbares Mittel, um die Verbindungen der verschiedenen Höfe zu betonen: Sie diente als Mittel der politischen Propaganda, und dies wundert nicht bei der Betrachtung der Kreationen, deren Bequemlichkeit oft der einer Rüstung (auch diese sind zu sehen) entsprochen haben muss. Die Ausstellung mit Werken aus der königlichen Sammlung zeigt Mode als ein komplexes Zeichensystem – ebenso wie vereinzelte, überlieferte Kleidungsstücke, die von den sie umgebenden Porträts in einen Zusammenhang gesetzt und zum Leben erweckt werden.
Bis 6. Oktober in der Queen’s Gallery in London.Katalog: Anna Reynolds: In Fine Style. The Art of Tudor and Stuart Fashion. Royal Collection Trust, London 2013. 300 S., zahlr. Farbillustrationen, £ 29,90 (Hardback.)

 

(Erstveröffentlichung Neue Zürcher Zeitung, 21. August 2013).

 

Ausstellung: «The Queen’s Coronation 1953» anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Thronbesteigung von Queen Elizabeth II. The State Rooms, Buckingham Palace, London. www.royalcollection.org.uk

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