FRONTPAGE

«Through the Looking Brain»

Von Ingrid Isermann

 

Eine Schweizer Sammlung konzeptueller Fotografie

 «Die Kunst im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit»: Nach der These des Philosophen Walter Benjamin wurde die Aura der Kunst durch neue Bildmedien aufgehoben. Übernahm die Fotografie Ende des 19. Jahrhunderts die Funktion der Darstellung von Welt, so war ihr Siegeszug nicht mehr aufzuhalten.

 

Die Erweiterung des Fotografischen, weg vom klassischen Pressebild hin zur konzeptuellen Fotografie, zur Dokumentation künstlerischer Aktionen oder zum Blow-up-Format, dokumentiert die in ihrem hohen Qualitätsanspruch einzigartige Fotosammlung der Firma ZL Zellweger Luwa. Die von den Gebrüdern Ruedi und Thomas Bechtler im Jahre 1990 initiierte Sammlung wurde in den Kunstmuseen Bonn und St.Gallen erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und zeichnet sich durch die Dichte der einzelner Werkgruppen aus.

So finden sich aus den 1970er Jahren neben Hauptwerken von John Baldessari (*1931) Werkzyklen von Sigmar Polke (1941–2010) oder Imi Knoebel (*1940), während die 1980/90er Jahre mit eindrücklichen Grossformaten der Düsseldorfer Schule, von Jeff Wall (*1946) oder Richard Prince (*1949) vertreten sind. Und selbst aktuelle Tendenzen werden bei Doug Aitken (*1968) sichtbar. «Through the Looking Brain» – durch den sehenden Kopf – beleuchtet einen Aspekt konzeptueller Kunst im Medium zeitgenössischer Fotografie.

 

Through the Looking Brain – wenn ein Titel im Englischen derart semantisch zu irritieren vermag, lässt das nur zwei Schlussfolgerungen zu. Wobei die erste, dass es den Verfassern unbewusst unterlief, auszuschliessen ist. Bleibt nur die zweite Möglichkeit: Die Irritation wurde bewusst provoziert. Und genau das ist hier der Fall. Die Verschiebung, die eine Bewegung durch das schauende Gehirn andeutet, will die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang zwischen Sehen und Denken lenken und damit zugleich – im Sinne eines „sehenden Denkens“ – eine Form der visuellen Praxis betonen, die innerhalb der konzeptuellen Fotografie seit den 1970er Jahren eine Hauptrolle spielt. Die Fotosammlung der Zellweger Luwa AG verdeutlicht in ihren Schwerpunkten die wesentlichen Momente dieser neuen visuellen Praxis: Die Hinterfragung derBildaura, die Betonung der apparativen Dimension der Fotografie sowie die damit einhergehende Arbeit in seriellen Zusammenhängen und die systematische Grundlagenforschung über das eigene Medium.

Damit markierte die konzeptuelle Fotografie eine deutliche Gegenposition zur klassischen Fotokunst: „Während die innere Logik der Kunstfotografie darauf bestand, dass es eine spezifische Ästhetik des Fotografischen gab, beschäftigten sich die Konzept-Künstler, die in den 60er und 70er Jahren auf Fotografie zurückgriffen, vor allem mit der apparativen Dimension des Mediums, also mit dem Moment einer mechanischen, massenhaft reproduzierbaren Bilderzeugung, die sich völlig den Instrumenten der Konsum- und Massenkultur angeglichen hatte, und über seine kalte Technizität auch die Vermeidung von Subjektivität und Selbstausdruck ermöglichte, der in der Kunstfotografie als unabdingbar galt.“ (Stephan Berg)

 

Die bislang noch nie öffentlich gezeigte, international bedeutende Sammlung entstand 1990 auf Initiative von Ruedi und Thomas Bechtler und wurde von Cristina Bechtler, Ruedi Bechtler und Bice Curiger inhaltlich aufgebaut. In beispielhafter Dichte und höchster Qualität dokumentiert die Sammlung einen zentralen Aspekt innerhalb der Entwicklung der Fotografie zur eigenständigen Kunstform und erlaubt zudem Einblicke in bislang wenig bekannte Werkzusammenhänge. Ihr Spektrum reicht dabei von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart und umfasst unter anderem Hauptwerke bzw. umfangreiche Werkgruppen von herausragenden Kunstschaffenden wie u.a. Bernd und Hilla Becher (1931-2007/*1934), Andreas Gursky (*1955), Louise Lawler (*1947), Richard Prince (*1949), Thomas Ruff (*1958), Ed Ruscha(*1937), Cindy Sherman (*1954), Hiroshi Sugimoto (*1948) oder Jeff Wall (*1946). Auch Schweizer Künstler wie Roman Signer (*1938) oder Fischli/Weiss (*1952/*1946) sind erstrangig vertreten, und selbst aktuellste künstlerische Tendenzen werden bei Doug Aitken (*1968) oder Tacita Dean (*1965) sichtbar.

Überblickt man die Sammlung als Ganzes so wird deutlich, wie von seriellen Ansätzen bis zum Tableau die zeitgenössische Fotografie seit den 1960er Jahren unterschiedliche Präsentations-formen ausbildete. Sie alle sind in der Sammlung der Zellweger Luwa AG beispielhaft vertreten und erlauben in Through the Looking Brain einen einzigartigen Einblick in die unterschiedlichen Strategien zeitgenössischer konzeptueller Fotografie.

 

Die Ausstellung Through the Looking Brain ist in Kooperation mit dem Kunstmuseum Bonn entstanden.

 

Kurator: Konrad Bitterli

Im Verlag Hatje Cantz ist ein umfassender Katalog erschienen mit Texten von Stephan Berg, Konrad Bitterli, David Campany, Stefan Gronert und Dora Imhof.

(Ausstellung bis 22. Januar 2012)

Kunstmuseum St.Gallen

Museumstrasse 32

CH-9000 St.Gallen

Tel. +41 71 242 06 7

Eine Schweizer Sammlung konzeptueller Fotografie

NACH OBEN

Kunst