FRONTPAGE

«Sublimierte Subversion»

Von Sacha Verna

Das Metropolitan Museum zeigt eine opulente Ausstellung über den Einfluss des Punk auf die Haute Couture.

Es ist vermutlich ein Zeichen der Zeit, dass eine altehrwürdige Institution wie das Metropolitan Museum neuerdings Toiletten ausstellt. Nicht irgendwelche Toiletten natürlich, sondern eine exakte Kopie dessen, was als der versiffteste Abort New Yorks in die Geschichte eingegangen ist. Das Original des besagten WC’s befand sich im legendären Musikclub CBGB an der Bowery in Manhattans East Village bis zu dessen Schliessung 2006. Als Ausstellungsobjekt eröffnet das mit Graffiti übersäte Klosett nun «Punk: Chaos to Couture», die mit Spannung erwartete Schau im Metropolitan Museum über den Einfluss des Punk auf die Haute Couture.

 

Im CBGB wurde der Punk am 14. August 1974 geboren. Am Abend jenes Tages gab eine Band namens The Ramones da ihr erstes Konzert. Als zweite Wiege des Punk gilt 340 King’s Road in Londons Chelsea, wo eine gewisse Vivienne Westwood und ihr damaliger Freund Malcolm McLaren Mitte der 1970er Jahre ein Kleidergeschäft betrieben. Auch diese Lokalität hat man für die Ausstellung im Metropolitan Museum sorgfältig rekonstruiert: ein schrottreifer Tresen, daneben eine hölzerne Vorrichtung, an der mehr Löcher als Stoff hängen.

 

 

Vivienne Westwood brachte Punk auf den Laufsteg. ‚The Ramones’ brachten ihn auf die Bühne und in die Boomboxen einer unzufriedenen Jugend. Beide sind in «Punk: Chaos to Couture» prominent vertreten, auf körnigen Videos die einen, mit Leihgaben die andere. Aus Lautsprechern dröhnen The Clash, Television und Blondie. Und die Sex Pistols, die sich einst in Vivienne Westwoods Laden ‚Seditionaries’ ausstaffierten. Im CBGB gaben sich die Gäste gerne intellektuell und künstlerisch. In Westwoods ‚Seditionaries’ studierten die Kunden T-Shirts mit politischen Slogans. Aus den USA stammte die Einsicht: No future. Aus Grosbritannien das prägende Outfit: abgerissen. Anti-alles waren die Kids mit der „F** you“-Attitüde auf beiden Seiten des Atlantiks.

 

 

Was ist Punk?
Was ist Punk? Ein Stil, ein Lebensgefühl, ein Mythos? Das ist keine Frage, die diese Ausstellung stellt oder beantwortet. Stattessen wird Punk, zumindest eine diffuse Interpretation davon, aufwendig inszeniert. Wie absurd die Musealisierung einer Gegenkultur eigentlich ist, muss selbst den Organisatoren klar gewesen sein. Der Ur-Punk, der die kleidsamen Qualitäten des Müllsacks erkannte, hat bestimmt nicht geahnt, dass dereinst Designer von Martin Margiela bis Moschino ihre Models in Einkaufstüten vor die versammelte Modearistokratie schicken würden. Erst im vergangenen Herbst präsentierte Gareth Pugh eine ganze Müllsack-Kollektion, darunter die barocken Abendroben, die in „Punk“ zu sehen sind. Früher trash, heute cash. Der Widerspruch scheint hier niemanden zu stören.

 

 

«Punk: Chaos to Couture»
«Punk: Chaos to Couture» ist in sieben Räume aufteilt, in denen einzelnen Punk-Heldinnen und Heldinnen gehuldigt wird. Der androgynen Punkrockpoetin Patti Smith zum Beispiel und Richard Hell, dem Erfinder der Igelfrisur. Oder den Sex Pistoleros und Nieten- und Nagel-Enthusiasten Sid Vicious und Johnny Rotten. Ein Saal gleicht einer dunklen Bahnhofsunterführung. Die Wände eines anderen zieren zusammengepresste Abfälle. Immerhin waren die Punks die Pioniere des Recyclings. Zwischen den Frühstücksresten und Scherben ist auch die eine oder andere Spritze zu entdecken.

Besonders hervorgehoben wird die Do-it-yourself-Mentalität des Punk. Wenn die hautengen Hosen reissen, halten Sicherheitsnadeln sie zusammen. Wenn die engen Hosen nicht reissen, reiss selber. Die Luxusversion davon kreierte Gianni Versace, der unter anderen das Fotomodell Liz Hurley 1994 mit wenig mehr als goldenen Sicherheitsnadeln und einigen Quadratzentimetern ausstattete.

 

 

Handarbeit
Handarbeit ist Trumpf. Dem grün blau-grün-pinken Pullover aus Vivienne Westwoods Boutique merkt man an, dass der Hersteller nicht stricken konnte. Der Hersteller des schwarzen Oberteils aus Angorawolle, das der Tunesier Hedi Silmane für Yves Saint Laurents Herbst-/Winter-Saison 2013/14 entwarf, wollte nicht stricken können.

Flaschendeckel als Knöpfe und Hundehalsbänder als Schmuck, Bondagehosen und Kampfstiefel – das Label macht den Unterschied. So richtig haute couturiert wurde Punk erstmals bereits 1977 von der britischen Designerin Zandra Rhodes, zu einem Zeitpunkt also, als auf der Strasse noch durchaus authentische Punks der Welt den Stinkefinger zeigten. Zwei der extra-dünnen Mannequins in dieser Ausstellung tragen ein sauber zerfetztes Hochzeitskleid und ein von silbernen Ketten zusammengehaltenes Abendkleid aus jener Kollektion.

Die Schwäche für Eisenwaren und die Sadomaso-Symbolik des Punk nahmen schon früh diverse Designer auf. Berühmt ist das voluminöse Kleid aus schwarzem Tüll von Dolce & Gabbana, zu dem ein Korsett aus Metall mit Vorhängeschlössern und Schlüssel gehören. „Ali“, ein Kostüm der Holländer Viktor & Rolf besteht fast ausschliesslich aus Heftklammern.

 

 

Mode im Museum
Der Kurator Andrew Bolton versucht mit «Punk: Chaos to Couture» an den phänomenalen Erfolg von Alexander McQueen: Savage Beauty anzuknüpfen. Diese Ausstellung über das posthum zum tragischen Genie stilisierten enfant terrible der Modeszene lockte im vergangenen Jahr über 600’000 Besucher ins Metropolitan Museum. Überhaupt haben Museen in der ganzen Welt Ausstellungen mit Mode als Publikumsmagneten entdeckt. Sei es das Londoner Victoria & Albert Museum mit seiner Serie «Fashion in Motion», der Petit Palais in Paris mit einer Yves Saint-Laurent-Retrospektive oder das Pushkin Museum in Moskau mit «Inspiration Christian Dior». Mit Modespektakeln in Museen lassen sich Hoch- und Popkultur so attraktiv und gewinnbringend verbinden wie sonst kaum. Das reicht bis ins Angebot des Museumshops. Beautycase mit Punk-Logo gefällig? Bitteschön: 20 Dollar, in pink oder schwarz.

 

Deutlich mehr haben die Gäste für ihre Accessoires ausgegeben, die vor kurzem über den roten Teppich zur Eröffnungsgala der Ausstellung schritten. Die Veranstaltung zur alljährlichen Mode-Schau im Metropolitan Museum gilt inzwischen als eines der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse der Stadt. Die Vogue-Chefredakteurin Anna Wintour amtiert als Vorsitzende. Ehrenvorsitzende war dieses Jahr die Pop-Sirene Beyoncé. Erwartungsgemäss stahlen die Damen den Herren die Show: Madonna erschien in einem Ensemble aus Strumpfhaltern und Messingbolzen. Die Oskar-Gewinnerin Anne Hathaway mit wasserstoffblondem Stachelhaar und schwarzen Federn. Die Sängerin Miley Cyrus noch blonder und stacheliger in einem schillernden schwarzen Fischernetzkleid. Punk wie er leibt und lebt – im Establishment, gegen das er einst angetreten ist.

 

 

Metropolitan Museum,
New York
«Punk: Chaos to Couture»

(Ausstellung bis 14. August 2013)

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