FRONTPAGE

«Museum Haus Konstruktiv: Opulenz der Geometrie»

Von Ingrid Isermann

 

Das Museum Haus Konstruktiv präsentiert eine imposante Gruppenschau, die einen lustvollen Umgang mit geometrisch-abstrakter Kunst zelebriert. Mit John Armleder, Claudia Comte, Sylvie Fleury, Franziska Furter, Peter Halley, Mary Heilmann, Timo Nasseri, Nathalie Du Pasquier und Elza Sile.

Schon im Parterre überrascht eine riesige Welle, die fast den ganzen Raum ausfüllt: Die Installation Curves and Zigzags von Claudia Comte (*1983) zeigt eine freistehende, vier Meter hohe geschwungene Wand aus wellenförmigen Linien mit doppelseitiger Acryl-Wandmalerei, die Skulptur, Druckgrafik und Malerei verbindet und raffinierte Vibrationseffekte inszeniert. Wie Wellenmuster, die Schlangen erzeugen, wenn sie durchs Wasser gleiten, elegant, optisch irrisierend und wirkungsvoll. Die Arbeit steht zugleich im Dialog mit ihrer Wandmalerei Easy Heavy II, die die Schweizer Künstlerin im Museumscafé des Haus Konstruktiv 2013 realisiert hat und seither auch in der Sammlung des Museums vertreten ist.

 

Geometrie und Opulenz
Geometrie und Opulenz werden gewöhnlich als Gegensätze wahrgenommen, wird Geometrie mit Rationalität, Ordnung und Reduktion assoziiert, so steht Opulenz für Üppigkeit, Übermass und Redundanz. Doch beide verbindet mehr, als man annimmt, wenn beispielsweise ein geometrisches Motiv in der Vervielfältigung ornamentale Züge trägt oder zum Muster wird, so Kuratorin Sabine Schaschl.
Am Beispiel national und international renommierter Kunstschaffender stellt das Museum Haus Konstruktiv in der Ausstellung «Geometrische Opulenz» die Frage, wie es heute um die Verschränkung von Geometrie und Opulenz steht, wann etwas als opulent gelesen wird und wie die Gegenwartskunst diesen Themen begegnet.
Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler lassen dem Spiel mit Strategien der Vervielfältigung, Verdichtung und Verräumlichung abstrakt-geometrischer Elemente freien Lauf. Opulenz entsteht hier durch imposante Formate, eine expressionistische Farbe oder eine Häufung von Materialien ungewohnter verschiedenster Art. Der Bildraum wird mehrdimensional bespielt. Gemeinsam ist allen, dass sie in ihrer künstlerischen Sprache Geometrie, Struktur und Systeme variieren, miteinander verbinden und zugleich die grosse Geste die Opulenz beherrschen.

 

John Armleder: Prächtige Opulenz in High und Low
Der erste Stock des Museums ist mit einer Auswahl von Arbeiten des Schweizer Konzeptkünstlers John Armleder (*1948) bestückt. Armleder vereint in seinen Werken Zufall und Ordnung, Alltägliches und Hochkultur. So auch in der mehrteiligen Arbeit Apparences confuses, die sechs Malereien in Kombination mit fünf Lamettabahnen umfasst. Der Eindruck von Opulenz entsteht hier nicht nur durch das Glitzern der festlichen Dekorfäden, sondern mehr noch durch die schiere Menge des auf die Leinwand geschütteten Materials, das neben Farben und Lacken funkelnde Pigmente, Muscheln, Scherben, Styroporkugeln und Pompons einschliesst. Die Vermischung von High und Low zeigt sich auch an der gegenüberliegenden Wand, auf der über 70 handelsübliche Lavasteinlampen zu einemstimmungsvollen All-over arrangiert sind. Armleder ergänzt seine Präsentation durch zwei geometrische Gemälde und beweist so nonchalant, dass für ihn Opulenz und Geometrie nicht in einem konträren, sondern fruchtbaren Verhältnis stehen.

 

Timo Nasseri: Sprachformen aus Metall: The Order Of Everything
In der Säulenhalle im dritten Stock präsentiert der deutsche Konzeptkünstler Timo Nasseri (*1972) Werke, deren Form- und Farbkombinationen an die visuelle Sprache erinnern, die sich an Kultobjekten indigener Völker Amerikas und Afrikas orientieren: ein Feuerwerk der Farben.
Zum anderen zerlegt Nasseri Muster in kleinste Einheiten und fertigt darauf basierend gefaltete Formen aus Metall, die in der Miniatur maskenähnliche Züge annehmen. Zu hunderten in einer Rechteckform an die Stirnwände des Ausstellungsraums appliziert, präsentieren sie sich als eine Art universelles grafisches Alphabet. Mit beiden Werkgruppen schreibt Nasseri die Formen und Muster in eine reiche Geschichte ein, die weit über das 20. Jahrhundert zurückreicht und global verflochten ist.

 

Franziska Furter: I Can See Clearly Now
Die petrolfarben gestrichene Wand der Säulenhalle leitet in die im selben Farbton gehaltenen Kabinette, die von der Schweizer Künstlerin Franziska Furter (*1972) eingerichtet wurden, die schon mehrmals mit Nasseri zusammen ausgestellt hat. Furter versteht sich in erster Linie als Zeichnerin, was anhand der grossformatigen dreiteiligen Tuschearbeit auf Papier I Can See Clearly Now ersichtlich wird, die eigens für die Ausstellung entstanden ist. Furter entwickelte sie im Rekurs auf standardisierte Hintergrundbilder für Mangazeichnungen und orientierte sich dabei an Vorlagen für Explosionen, die in der Vergrösserung ornamentale Züge vorweisen. Je nach Betrachtung drängt die Explosion in den Raum hinein oder hinaus; der Raum selbst ist instabil geworden. Im Kabinett daneben schlingen sich auf Nylonfäden aufgereihte silberne Perlen wie eine räumliche Zeichnung netzartig durch die Luft. Die Linien verdichten sich zu Knäueln, Schlaufen und Knoten und visualisieren, so die Künstlerin, Gedankengänge oder Lebenswege. Schlicht in ihrer Linienform und Farbigkeit, zeigt diese Arbeit zugleich eine opulente Fülle an Perleneinheiten.

 

Nathalie Du Pasquier: Gesamtkunstwerk des Gründungsmitglieds Kollektiv Memphis
Die französische Künstlerin und Designerin Nathalie Du Pasquier (*1957), die sich anfangs der 1980er-Jahre als Gründungsmitglied des Kollektivs Memphis einen Namen gemacht hat, wurde eingeladen, den zweiten Raum im dritten Stock für die Inszenierung einiger ihrer Werke zu nutzen. Die architektonischen Bedingungen dieses Raums und die Einbauten der vorangegangenen Ausstellung erwiesen sich als besonders reizvoll für Du Pasquier. Das begehbare Gesamtkunstwerk lässt Architektur, Malerei und Objekte sowie Ausstellungsdisplay gleichwertig zusammenfinden. Die Künstlerin kombiniert Objekte, die sowohl an Reliefs des russischen Konstruktivisten Wladimir Tatlin als auch an modernistische Architekturmodelle erinnern, mit abstrakt-geometrischen Wandmalereien. Deren auf Le Corbusiers Farbskala abgestimmte Tonalität wird in den Sockeln, auf denen die Objekte platziert sind, wieder aufgegriffen.

 

Peter Halley: Die Infrastruktur der Geometrie
Vier Gemälde des amerikanischen Künstlers Peter Halley (*1953) sind im ersten Raum des vierten Stocks zu sehen. In Auseinandersetzung mit der amerikanischen Farbfeldmalerei begann Halley Mitte der 1980er-Jahre, abstrakt-geometrische Malereien zu realisieren, die sich durch ein einfaches Formenvokabular und eine leuchtend bunte Farbgebung auszeichnen. Viele seiner Gemälde zeigen im Zentrum ein Quadrat oder ein Rechteck, dessen Oberfläche durch die Beimischung von feinkörnigem Sand aufgeraut ist und so an verputzte Wandflächen erinnert. Die zentrale Form wird jeweils von einem orthogonalen Verbundnetz aus Balken und Linien in kräftigen Farben umschlossen. Für Halley sind die geometrischen Formen nicht neutral, sondern sinnbildlich; er vergleicht sie mit Infrastrukturen wie Gefängnissen, Zellen oder Leitungen und reflektiert mit seinen Werken die immer deutlichere Gestaltung des sozialen Raumes nach nüchtern-planerischen Massgaben.

 

Mary Heilmann: Driving at Night
Im nächsten Raum zeigt die amerikanische Künstlerin Mary Heilmann (*1940) eine Auswahl von Malereien, Keramiken und Möbeln, die zwischen 1982 und 2020 entstanden sind. Ihre abstrakten, durch einen ausdrucksstarken Gestus geprägten Malereien arrangiert Heilmann zu mehrteiligen, kühnen Kompositionen. Film, Musik und Literatur beeinflussen ihr Schaffen gleichermassen. Die kleinformatige Arbeit Driving at Night beispielsweise erinnert an Lichtkegel, die die Scheinwerfer eines fahrenden Autos in die Dunkelheit werfen und regt dazu an, diese Szene in eine Erzählung oder einen Film einzubetten. Die zarte Farbpalette und sichtbare Rasterung von Werken wie Green Kiss oder Our Lady of the Flowers, ein Verweis auf Jean Genets Roman Notre-Dame-des- Fleurs von 1943, spielen mit Stilmitteln der amerikanischen Minimal Art, wobei Heilmann deren Reduziertheit mit poetischen Setzungen in kräftigem Dunkelgrün oder Pink sogleich wieder durchkreuzt. Die Präsentation im Haus Konstruktion eröffnet einen Einblick in das Œuvre dieser einflussreichen Künstlerin, das sich durch einen energiegeladenen Duktus, feine Ironie und eine lustvolle Beschäftigung mit den Stilprinzipien der Moderne auszeichnet.

 

Elza Sile: Vier Aluminiumtafeln und ein zauberhafter Bilderkosmos
Eine andere Stimmung finden die Besucherinnen und Besucher im nächsten Raum vor. Die in Zürich wohnhafte lettische Künstlerin Elza Sile (*1989) zeigt darin vier Aluminiumtafeln, die sie intensiv bearbeitet und ausgebeult, perforiert, eingeritzt, mit Farbe versehen hat, ob unmittelbar aus der Tube gedrückt oder sorgfältig aufgetragen. Die Werke sind eigens für die Ausstellung entstanden und vor Ort vollendet worden. Sie erinnern unter anderem an den zauberhaften Bilderkosmos von Alice im Wunderland und an die Reisen der Protagonistin in winzige oder überdimensionierte Welten. Manche besonders dicht bearbeitete Partien ziehen die Aufmerksamkeit nahezu magnetisch auf sich. Gleichzeitig wirkt der Blick über die gesamte Installation wie die fantastische Sicht eines Astronauten aus dem All.

 

 

Sylvie Fleury: Glamour, Trash und Konsum
Glamour, Luxus, Trash, Verführung und Konsum, das sind Begriffe, die Sylvie Fleury (*1961) in ihrem künstlerischen Schaffen wirkungsvoll und nicht ohne (Selbst-)Ironie verhandelt. Mit Strategien der Aneignung und Nachahmung macht die Schweizerin auf Parallelen zwischen Kunstmarkt und Konsumwelt aufmerksam, beispielsweise mit dem Bronzeguss einer Handtasche der Marke Celine oder Shaped Canvases in Gestalt überdimensionierter, glitzernder Lidschatten- und Make-up-Paletten.

Davon, dass Fleury nicht nur mit der Populärkultur, sondern auch mit der männlich geprägten Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts mit Augenzwinkern spielt, zeugen zwei Werkserien, in denen sie ikonische Werke der (geo- metrischen) Abstraktion aufruft und diese gezielt mit weiblich konnotierten Eingriffen verändert.

In Anlehnung an Piet Mondrian schuf sie neoplastische Kompositionen mit schwarzen, orthogonalen Linienformationen auf weissem Grund. Manche der Flächen sind nicht gemalt, sondern bestehen aus flauschigem Kunstpelz, womit die strenge Ordnung, aber auch die sofortige Wiedererkennbarkeit der «Marke Mondrian» humorvoll unterwandert wird.

Einen ähnlichen Effekt erzeugt Fleury, wenn sie die Oberfläche quadratischer Bildträger im Überfluss mit funkelnden Swarovski-Kristallen versieht. In ihrer Widersprüchlichkeit weisen Fleurys Objekte binäre Zuschreibungen wie männlich/ weiblich, rational/emotional, hart/weich oder produktiv/reproduktiv als sozial konstruierte Kategorien aus.
Die sehr sehenswerte Ausstellung «Geometrische Opulen» zeigt, wie sich  zementierte Sichtweisen und vermeintliche Gegensätze wie jenen zwischen Geometrie und Opulenz auflösen können und Raum für überraschende Zusammenspiele eröffnen.

 

Ausstellung 10.2.-8.5.2022
www.hauskonstruktiv.ch
Öffentliche Führungen, jeweils Mi. 18.15 Uhr und So. 11.45 Uhr
Sonntagsatelier – Workshop für Kinder ab 5 Jahren,
6.,13.,20.,27. März, 3.,10. April, 8. Mai, jeweils 11.15-13.15 Uhr

 

 

 

Kunsthaus Zürich Chipperfield-Bau:

«YOKO ONO.

THIS ROOM MOVES AT THE SAME SPEED AS THE CLOUDS»

 

Yoko Ono (*1933) ist eine der einflussreichsten zeitgenössischen Künstlerinnen. Ihre Performances und Aktionen der 1960er- und 1970er-Jahre haben Kultstatus. Im Chipperfield-Bau werden nun ihre Werke reinszeniert und ausgestellt. Die Künstlerin ist an der Konzeption der Ausstellung persönlich beteiligt.

 

Yoko Ono setzte sich seit Beginn ihrer Karriere mit wichtigen gesellschaftspolitischen Themen auseinander, die heute noch aktuell und von grosser Relevanz sind. Sie engagierte sich seit jeher für den Frieden auf der Welt und für feministische Anliegen. Legendär sind ihre Performances mit John Lennon als „Bed-in“ und „Give Peace A Chance“.

 

Ihre funkelnden Performances formuliert sie einerseits auf spielerisch-humorvolle Weise, mal ganz radikal, dann wiederum poetisch. Einige ihrer Ideen verwandelt sie in Objekte, andere sind immateriell. Dementsprechend vielfältig ist das künstlerische Werk. Es umfasst Skulpturen, Arbeiten auf Papier, Installationen, Performances, Film und Musik. Rund 60 davon hat Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis zusammen mit Yoko Ono und ihrem langjährigen Kurator und Freund Jon Hendricks ausgewählt und zu einer Ausstellung arrangiert.

 

Zwischen Lyrik, hybrider Konzeptkunst und Performance im Kopf
Ausgangspunkt der meisten Werke sind sogenannte «Event Scores» oder «Instructions». Viele davon hat Yoko Ono 1964 erstmals in ihrem berühmten quadratischen Büchlein «Grapefruit» veröffentlicht. Dieses kleine grosse Werk der Konzeptkunst enthält Handlungsanweisungen für einfache Aktionen, ganz alltägliche Verrichtungen und Ausdrucksformen (wie Spazierengehen, ein Streichholz anzünden oder lachen) in Performances zu verwandeln.

 

Was dabei allerdings zählt ist die eigene Imagination, die Fantasie. Das Kunstwerk kann auch nur im Kopf entstehen und muss nicht unbedingt aufgeführt werden. Yoko Ono war eine der ersten, die derartige «Event Scores» verfasste, damit den Kunstbegriff radikal veränderte und nachhaltig erweiterte. Den Titel «Grapefruit» wählte die Künstlerin, weil sie die gleichnamige Frucht als Hybrid verstand, als Mischung aus Orange und Zitrone. Sie selbst empfand sich genauso als hybrid zwischen Japan und Amerika, zwischen Ost und West, zwischen bildender Kunst, Musik und Performance.

 

Diese vielfältige künstlerische Praxis ist es, die Yoko Onos Schaffen Aktualität verleiht: heute lösen sich die Grenzen zwischen den künstlerischen Disziplinen immer mehr auf. Die Idee vom Publikum als Performer sowie die Inszenierung des Individuums im Alltag mit Social Media haben eine zentrale Bedeutung erlangt.

 

Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich im neuen Chipperfield-Bau setzt bei dieser Aktualität an. Gezeigt wird eine Auswahl von zentralen Werken aus allen Schaffensperioden, mit einem Schwerpunkt auf dem Frühwerk. Die Präsentation ist keine klassische Retrospektive, sondern wird das über fünfzigjährige künstlerische Schaffen mit einem frischen Blick aus dem Heute neu beleben. Die Besucherinnen und Besucher werden auf vielfältige Weise mit involviert.

 

Erste Ausstellung im Chipperfield-Bau
Die Ausstellung von Yoko Ono ist die erste Präsentation der Künstlerin in einem grossen Schweizer Museum und gleichzeitig die erste Einzelausstellung einer internationalen Künstlerin im mittelgrossen Wechselausstellungssaal des im Oktober 2021 eröffneten Chipperfield-Baus. Begleitend zur Ausstellung ist ein vielfältiges Performance-Programm geplant, bei dem wichtige Werke von Yoko Ono reinszeniert werden (siehe www.kunsthaus.ch).

 

In einem «Programmheft» werden diese Performances und zentrale Themen von Yoko Onos Schaffen mit Texten verschiedener Autorinnen beleuchtet, u.a. mit Beiträgen von RoseLee Goldberg, Catherine Morris, Patti Smith, Dorothee Richter, Fanny Wissler und Emma McCormick-Goodhart. Die Publikation wird am Kunsthaus-Shop erhältlich sein.

Ausstellung 4. März – 29. Mai 2022

 

Kunsthaus Zürich, Heimplatz, CH–8001 Zürich
Tel. +41 (0)44 253 84 84, www.kunsthaus.ch
Fr–So/Di 10–18 Uhr, Mi/Do 10–20 Uhr.
Feiertage: siehe www.kunsthaus.ch. Eintritt: ab CHF 23.–/18.– reduziert und Gruppen. Bis 16 Jahre Eintritt frei.

NACH OBEN

Kunst