FRONTPAGE

«Die Magie des schönen Scheins»

Von Ingrid Isermann

 

Die Ausstellung «Magie der Dinge» im Museum für Gestaltung Zürich stellt eine ästhetische Werbestrategie ins Rampenlicht: Banale Alltagsdinge als Objekt der Begierde strahlen von den Plakatwänden und verlocken zum Kauf. Der alleinige Fokus auf das Produkt und seinen Markennamen genügt heute nicht mehr. Die mit dem Produkt und der Marke assoziierten Lebenswelten wollen immer aufwändiger inszeniert werden.

 

Es waren so bedeutende Gestalter wie Niklaus Stoecklin, Peter Birkhäuser oder Otto Baumberger, die den Dingen in ihren Plakaten sinnliche Präsenz und eine magische Aura verliehen. Auch heute noch sind Schuhe, Zahnpasta, Putzmittel alltägliche, uns selbstverständlich gewordene Gebrauchsgegenstände. Nie aber wurden sie so wunderbar in Szene gesetzt und im Plakat gefeiert wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Deutsche Lucian Bernhard erkannte damals die Werbewirksamkeit einer kompakten Verschmelzung von Produkt und Markenname. In der Frühzeit des Markenartikels wollten die sogenannten Sachplakate zum Kauf von Produkten verführen, die in den Zwischenkriegsjahren allerdings erst für gehobene Schichten erschwinglich waren. Diese Produktplakate wurden damit zu Vorboten unserer Konsumgesellschaft, aus der Markenartikel und Selbstbedienungsläden nicht mehr wegzudenken sind.

Plakate als gemalter fotografischer Realismus

Gleich eingangs der Ausstellung im Museum für Gestaltung begrüsst ein Triptychon von Willy Eidenbenz, Franz Gygax und Fritz Bühler die Besucher mit den menschlichen Grundvoraussetzungen nach Trinken, Essen und Wärme und die magische Inszenierung findet ihre Entsprechung an der gegenüberliegenden Wand in den Objekten in Originalgrösse.
Die meist gemalten Vorlagen vermitteln eine surreale Aura und eine magische Präsenz alltäglicher Produkte. Das Motiv des Glanzes ist vielen dieser Alltagsobjekte eigen, seien es Schuhe, eine Sonnenbrille oder Zahnpasta und Zahnbürste.

Viele dieser Plakate, wie das Bally-Plakat von Pierre Gauchat wurden im Steindruck als Lithographie hergestellt, was heutzutage praktisch verschwunden ist. Das Plakat von Otto Baumberger für PKZ von 1923 beispielsweise ist eines der herausragenden Produktplakate, die berühmt wurden und einen hohen Wiedererkennungswert zelebrierten.

Immer auch spiegelt sich der Zeitgeist in diesen Sachplakaten, in denen angeleitet wird, zu sparen, oder eine Stellvertreterposition für politische Sachverhalte eingenommen wird.

 

Auch wenn meist heutige Plakate nicht über die gleiche handwerkliche Qualität verfügen, ist der Einfluss dennoch nicht ganz verschwunden, wie das Kulturplakat des Sparschälers Rex von Alfred Neweczerzal der Niederländerin Irma Boom für das Museum für Gestaltung 2009 Every Thing Design (Foto: Franz Xaver Jaggy/Umberto Romito) zeigt, ein Alltagsprodukt, das zu einem Designklassiker wurde. Die Konnotationen, die anklingen, oszillieren zwischen Bescheidenheit und Glamourisierung wie bei den Sachplakaten.

 

Höhepunkt des Sachplakats in den 1940er Jahren
Den Höhepunkt feierte das Sachplakat in den 1940er Jahren in der Schweiz. Dieser Erfolg war sowohl dem raschen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes als auch einer besonderen Affinität schweizerischer Gestaltung für diesen Stil präziser Gegenstandstreue geschuldet.
Dabei erfuhr Bernhards flächige Darstellung, die die Dinge kontextlos zur Darstellung bringt, im Schweizer Sachplakat eine einzigartige Weiterentwicklung. Bedeutende Gestalter verliehen dem Waschpulver, einem Knopf oder einer Zündkerze durch die plastische, stofflich-haptische Nahaufnahme im Plakat betörende Sinnlichkeit und eine magische Aura. Durch bewusst gesetzte Schattenwürfe und Glanzlichter sowie das effektvolle Zusammenspiel mit anderen Dingen strahlten die Markenprodukte zudem auch emotionale Verführungskraft aus.

 

Das Ende des Sachplakats kommt mit der Inszenierung des Lifestyles
Mit der Demokratisierung des Konsums zu Beginn der 1960er-Jahre und der Sättigung der Grundbedürfnisse in der westlichen Gesellschaft veränderten sich die Werbestrategien erneut. Der alleinige Fokus auf das Produkt und seinen Markennamen genügt heute nicht mehr. Die mit dem Produkt und der Marke assoziierten Lebenswelten wollen immer aufwändiger inszeniert werden. Die Zeit einer informativen Sachwerbung hat damit vorerst ausgedient, emotionale Zusatzwerte, „Lifestyle“, werden den Konsumenten angeboten. Im Kulturplakat erlebt die magische Darstellung von Dingen allerdings mit neuen Gestaltungsmitteln eine gewisse Renaissance: Dem Alltag entrückt, offenbart sich hier ihre ursprüngliche Ästhetik, wird Altbekanntes neu gesehen. (I.I.)

 

Ausstellung mit Plakatklassikern, Sachfotografien und Werbefilmen
Die Ausstellung zeigt rund 80 Klassiker aus der Plakatsammlung des Museum für Gestaltung Zürich und stellt sie Sachfotografien gegenüber, die in ihrer Konzentration auf das Wesen der Dinge ähnliche Tendenzen verdeutlichen. Als konträres Medium hingegen funktioniert der Werbefilm, der meist den Nutzen der Produkte in ausführlicher Erzählung ins Zentrum rückt. Die Ausstellung wirft damit einen Blick auf die Entwicklung der Produktwerbung im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen.

 

Zukunft Toni-Areal
Die Plakatsammlung wird Ende 2013 ins Sammlungszentrum im Toni-Areal ziehen. Bereits laufen aufwändige Vorbereitungen, um die rund 350 000 Plakate für den Umzug in ihr zukünftiges Archiv transportfähig zu machen. Mit der Ausstellung «Magie der Dinge» wird also nochmals die Chance genutzt, eine Auswahl der Plakatklassiker zu zeigen, die die Plakatsammlung – eine der weltweit umfangreichsten und bedeutendsten Sammlungen ihrer Art überhaupt – beherbergt.

 

Verlosung
In der Ausstellung bieten Lua-Hocker von Reseda Home eine Sitzgelegenheit, nach Ausstellungsende werden diese verlost. Mehr dazu ist in der Ausstellung oder auf der Website des Museums zu erfahren.

 

Publikation zur Ausstellung
Magie der Dinge – The Magic of Things, „Poster Collection“
Mit Texten von Gerda Breuer und Bettina Richter
Museum für Gestaltung Zürich (Hg.), D/E, Lars Müller Publishers, CHF 35, Euro 28
Bestellbar unter: www.museum-gestaltung.ch/e-shop
(Ausstellung bis 6. Januar 2013)

 

Museum für Gestaltung Zürich
Ausstellungsstrasse 60, CH-8005 Zürich
Telefon +41 (0)43 446 67 67
Fax +41 (0)43 446 45 67
www.museum-gestaltung.ch
welcome@museum-gestaltung.ch

Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag 10–17 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr
Lange Nacht der Museen: 1./2.9. 19–02 Uhr
Feiertage: 26.12.2012 und 2.1.2013 10–17 Uhr
Geschlossen: Montags sowie 24./25./31.12.2012 und 1.1.2013

 

Ausstellungsgespräche

Mittwoch, 5. September 2012, 18 Uhr
Sparzwänge und Verführung durch Kaufkraft: Die Schweiz auf dem Weg in die Konsumgesellschaft in den 1940er und 1950er Jahren
Jakob Tanner, Historiker, Professor an der Universität Zürich, und Bettina Richter, Kuratorin der Ausstellung und Plakatsammlung

Mittwoch, 24. Oktober 2012, 18 Uhr
Produktwerbung im Fokus: Vom Sachplakat zur Lifestyle-Werbung
Remy Fabrikant, visueller Gestalter, CEO JWT/FABRIKANT, und Christian Brändle, Direktor Museum für Gestaltung Zürich

Mittwoch, 28. November 2012, 18 Uhr
Eine neue Sicht auf die Welt? Neue Sachlichkeit, Sachplakat und Sachfotografie
Guido Magnaguagno, Kunsthistoriker, ehemals Direktor Museum Tinguely Basel, und Bettina Richter, Kuratorin der Ausstellung und Plakatsammlung

Mittwoch, 12. Dezember 2012, 18 Uhr
Magie der Dinge heute
Martin Woodtli, visueller Gestalter, und Bettina Richter, Kuratorin der Ausstellung und Plakatsammlung

Samstag, 20. Oktober 2012, 15 Uhr
Resultate eines Vermittlungsprojekts mit Kindern und Senioren in Kooperation mit den Zürcher Gemeinschaftszentren Buchegg und Wipkingen

Erzählcafé
Sonntag, 25. November 2012, 15 Uhr
Weitere Informationen unter: www.museum-gestaltung.ch

Öffentliche Führungen
Sonntag, 11 Uhr: 2./16./30.9., 7./14./21./28.10., 11./25.11., 9./23.12.2012, 6.1.2013
Mittwoch, 18 Uhr: 19./26.9., 3./10./17./31.10., 14.11.2012
Workshops „Moment mal! Nahaufnahme
Für Familien: Samstag, 6. und 27. Oktober 2012, 14–16.30 Uhr
Für Schulen: Daten auf der Website und nach Vereinbarung
Projektpräsentation „DingGeschichten“

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