FRONTPAGE

«Vom Japonismus zu Zen. Paul Klee und der Ferne Osten»

Von Ingrid Isermann

Paul Klee ist in Japan so präsent wie kaum ein anderer westlicher Künstler. Über alle Sparten hinweg – von der Musik bis zum Comic – beschäftigen sich seit Jahrzehnten japanische Künstlerinnen und Künstler mit dem Schaffen von Klee. Sein reduzierter Stil aber auch die «fernöstliche Stimmung» seiner Werke faszinieren in Japan ein breites Publikum.

 

Erstmals präsentiert das Zentrum Paul Klee mit der Ausstellung «Vom Japonismus zu Zen. Paul Klee und der Ferne Osten» den vielseitigen Einfluss von Paul Klee auf die japanische Kunst und Kultur bis zu unserer Gegenwart. Klee selbst liess sich aber auf ebenso vielfältige Weise von der fernöstlichen Kunst inspirieren. Japonismus war zu seiner Zeit en vogue. Klee war aber nicht nur von der fernöstlichen Motivik und Ornamentik, sondern auch von der Tuschtechnik, der Kalligraphie und einer zen-buddhistischen Haltung fasziniert. Die Ausstellung des Zentrum Paul Klee thematisiert und vollzieht den interkulturellen Dialog zwischen West und Ost und steigt damit in eine Debatte ein, die derzeit eine enorme Aktualität hat.

 

Klee folgte den französischen Künstlern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, etwa Künstlern des Impressionismus oder der Gruppe Nabis, die von japanischer Kunst stark beeinflusst wurden. Rund zwanzig Jahre später erreicht der ‹klassische› Japonismus Deutschland und wurde auch hier über Ausstellungen und Publikationen einem breiten Publikum bekannt und in Künstlerkreisen diskutiert.

 

Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Klee-Rezeption im heutigen Japan. Schon in den 1910er Jahren wurde Klees Schaffen in Japan wahrgenommen. Seither haben sich neben bildenden Künstlern ebenso Musiker, Dichter, Comiczeichner und Architekten mit Klee und seinem Werk auseinandergesetzt.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Osamu Okuda und Marie Kakinuma und entstand in Zusammenarbeit mit dem Museum für Ostasiatische Kunst Köln, wo die Ausstellung von September 2014 bis Januar 2015 zu sehen sein wird. Zur Ausstellung ist ein reichhaltiger Katalog erschienen www.zpk.org/(bis 12. Mai 2013)

 

Paul Klee und der «klassische» Japonismus
Von Osamu Okuda

 

Unter dem Begriff Japonismus versteht man heute allgemein das Interesse an japanischer Kultur und deren Einfluss auf die westliche Kunst Mitte des 19. Jahrhunderts bis nach der
Jahrhundertwende. Die Öffnung des fernöstlichen Inselreichs 1854, aber auch die Teilnahme
Japans an den Weltausstellungen in Paris, lösten zunächst in Frankreich eine grosse Begeisterung für die Kunst und das Kunstgewerbe dieses Landes aus. Insbesondere die Künstler des Impressionismus und Postimpressionismus sowie der Gruppe der Nabis setzten sich mit den Farbholzschnitten von Hokusai, Hiroshige, Utamaro u. a. auseinander. Dieser sogenannte klassische Japonismus erreichte rund 20 bis 30 Jahre später Deutschland, wo der Impuls, der von der Kunst Japans ausging, nicht so stark war wie zuvor in Frankreich.

 

Klee begann seine künstlerische Karriere zu einem Zeitpunkt, als die jungen Künstler in
Deutschland allmählich auf die japanische« Quelle selbst» aufmerksam wurden. Vor diesem Hintergrund schuf er zwischen 1900 und 1908 einige Werke, in denen die Einflüsse japanischer Farbholzschnitte (Ukiyo-e) sichtbar sind. Ob ihm dabei tatsächlich ein original japanisches Werk als Vorbild diente, ist schwer nachweisbar; in seinen umfangreichen Tagebüchern und Briefen werden zumindest keine japanischen Künstler erwähnt.

Trotzdem lässt sich die frühe Begegnung Klees mit fernöstlicher Kunst rekonstruieren: Auf seiner Italienreise besuchte er im April 1902 die «Jahresausstellung in der Galleria d’Arte Moderna» in Rom, in der neben den Arbeiten französischer Impressionisten und Aquarellen Auguste Rodins zahlreiche japanische Holzschnitte von Hokusai, Hiroshige oder Utamaro zu sehen waren.3 Zwei Jahre später besuchte Klee das Münchner Kupferstichkabinett, um die Arbeiten von Aubrey Beardsley zu studieren. Sein lapidarer Kommentar darüber im Tagebuch: «Der Stil japanisiert und gibt zu denken» ist aufschlussreich, da er beweist, dass Klee bereits Kenntnis über die japanische Kunst und den Japonismus besass. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als gerade um 1900 in Deutschland verschiedene reich illustrierte Bücher zu japanischer Kunst erschienen.

 

Im September 1906, frisch vermählt mit Lily Stumpf, zog Klee von Bern nach München. Der Klee-Biograf Erich Pfeiffer-Belli überliefert eine in unserem Kontext bemerkenswerte Anekdote aus dieser Zeit: «Im nobleren Vorderhaus wohnte Dr. jur. Emil Preetorius, der Graphiker und Ostasiensammler, der damals die ersten japanischen Holzschnitte von hoher Qualität nach Hause brachte. Er erzählte dem Verfasser: ‹Ab und zu kam aus dem Gartenhaus ein zierlicher junger Maler mit einem Spitzbart und schönen Augen, um bei mir die Sharakus und Harunobus zu betrachten. Das ‹Abstrakte› – wie er es nannte – auf diesen sehr dekorativen und künstlerisch monumentalen Holzschnitten faszinierte ihn, und er meinte, ‹dergleichen sollte man auch machen, nicht nachmachen.›»

Die Frage, ob es sich beim Begriff des «Abstrakte» um ein wörtliches Zitat handelt, lässt sich wohl indirekt durch folgende Passage aus Klees autobiografischem Text positiv beantworten: «1906 (Bern) Eine practisch bedeutsame Erleichterung brachte mir die erstmalige Disciplin vor der Natur abstract zu gestalten (kleines Gartenbild und andere asiatisch gesehene Dinge).»
Klee konnte ferner spätestens ab 1908 die umfangreiche Sammlung japanischer Holzschnitte des Verlegers Reinhard Piper besichtigen, der damals in der Nähe von Klees Wohnung lebte. Darunter befanden sich auch die Hundert Ansichten des Berges Fuji von Hokusai .

 

Piper gründete 1904 den eigenen Verlag R. Piper & Co, in dem von Julius Kurth 1910 die erste Sharaku-Monografie und ein Jahr darauf Der Japanische Holzschnitt. Ein Abriss seiner Geschichte erschienen. Klee besass die beiden Bücher und im zweiten gennanten Buch sind, wie wir sehen werden, die Werke Iris und eine Seite aus dem Hokusai Manga abgebildet, die Klee als Vorbilder für seine eigenen Arbeiten dienten.

 

 

Frühe Landschaftsbilder Paul Klees
Im Spätsommer 1900 malte Klee als Auftragswerk eine Aarelandschaft auf einen fünfteiligen
Wandschirm. Die Maler des Impressionismus und Postimpressionismus benutzten den ostasiatischen Wandschirm vor allem als mobile Trennwand in grossräumigen Ateliers und schufen auch selber mehrteilige Kompositionen mit vertikaler Feldaufteilung. Um 1900 waren, unter dem Einfluss japanischer Kunst, zusammenfaltbare Wandschirme auch modische Requisiten für Jugendstildesigner.

 

Klees Wandschirm ist ebenfalls beeinflusst von der neuen Stilrichtung des dekorativlyrischen
Naturalismus eines Walter Leistikow oder Ludwig Dill.1 Doch aus heutiger Sicht erscheint, wie Michael Baumgartner schreibt, «das Ensemble mit seinen gleichsam fotografischen Perspektivwechseln und kontrastierenden Bewegungsrhythmen als höchst eigenwillige Komposition, die über die dekorativen Gestaltungsmuster des Jugendstils hinausweist […]»
In Klees Kompositionsweise der fünfteiligen Flusslandschaft erkannte Siegfried Wichmann als erster den Einfluss fernöstlicher Kunst: «Höhe bedeutet hier gleichzeitig Tiefe des Raumes, im Grunde Naturwiedergabe, die ostasiatischer Herkunft ist. Die Niedersicht gestattet den Einblick in die sich zwischen Hügeln windende Flusslandschaft und vermittelt die Dinge gestaffelt im Landschaftsraum.» Einen vergleichbaren Landschaftsprospekt mit starker Aufsicht zeigt zum Beispiel das japanische sechsteilige Schirmpaar aus der frühen Edo-Zeit, Ansichten in und ausserhalb der Hauptstadt.
Auffallend bei Klees Wandschirm ist die Diskontinuität der fünfteiligen Kompositionsfolge mit wechselnden Blickpunkten, aber auch die gestaffelte, hochformatige Raumdarstellung der einzelnen Felder. Eine Kombination der beiden Darstellungsweisen findet
man etwa in Hokusais Landschaftsskizzen in seinem Manga, in denen verschiedene
Einzugsgebiete eines Flusses in unterschiedlichen Varianten und aus verschiedenen Perspektiven locker nebeneinandergesetzt werden.

Klee malte 1906 erneut eine Aarelandschaft in Öl und bezog sich dabei auf den bekannten Holzschnitt von Hokusai Hodogaya aus der Serie 36 Ansichten des Berges Fuji 4. Schon 20 Jahre zuvor hatte Paul Cézanne, inspiriert durch Hokusais Blatt, das Gemälde Kastanienbäume im Jas de Bouffan (1885–1887), heute im Minneapolis Institute of Arts, geschaffen, in dem er den Berg Fuji durch den Mont Sainte-Victoire ersetzte. Die bildparallele Baumreihe in Hokusais Landschaftsdarstellung strukturiert den Mittelgrund, der sich im Durchblick durch die Stämme in den fernen Hintergrund öffnet. Klee übernahm für seine Aarelandschaft das Kompositions-system Hokusais und imitierte auch die ornamental wirkenden Baumkronen des Holzschnittes. Anders als Hokusai verlieh er aber den grünen Ästen einen freien, luftigen Charakter. Ähnlich wie die bildparallele Baumreihe inspirierte das Gitterwerk, das für japanische Holzschnitte kompositorisch eine entscheidende Rolle spielt, Künstler wie Edouard Manet, Paul Gauguin oder Edouard Vuillard. Ein Vergleich zwischen dem Hinterglasbild belebter Platz vom Balcon aus, 1908, mit Hiroshiges bekanntem Blatt Besucher des Tori-no-machi Marktes von Asakusa Tambo aus der Serie Hundert berühmte Ansichten von Edo zeigt, dass auch Klee versuchte, dieses Kompositionsprinzip zu nutzen. Die Struktur des Balkongitters schafft eine räumliche Zäsur zwischen dem Vordergrund und dem entfernten Platz. Damit löste sich Klee allmählich vom akademischen System der Zentralperspektive und erfand eine neue, multiperspektivische und abstrakt-flächige bildnerische Räumlichkeit.

 

 

Tipp: Sonntag| 17/03/2013 14:00—17:00 Uhr
Japanischer Nachmittag
Kurzkonzerte, Lesung, Tee-Salon.
Mit Jürg Halter, dem Ensemble Paul Klee, Leiko Ikemura, Nana Hitawari, Katharina Suske und Julian Sartorius.

Katalog

Paul Klee und der Ferne Osten
Vom Japonismus zu Zen
Herausgegeben vom Zentrum Paul Klee, Bern
und dem Museum für Ostasiatische Kunst, Köln.
Mit Beiträgen von Osamu Okuda und Marie Kakinuma.
Scheidegger & Spiess 2013.
152 Seiten, 157 farbige und 6 sw Abbildungen
20.5 x 24.5 cm. CHF 44.00 EUR 38.00.
ISBN 978-3-85881-373-2

 

 

 Ausstellungstipps

«Haris Epaminonda: Parallele Projektionen»

Vom 15. Februar bis 5. Mai 2013 präsentiert das Kunsthaus Zürich die Filmprojektion «South of Sun» von Haris Epaminonda (*1980). Es ist die erste Einzelausstellung der jungen Zypriotin in der Schweiz. Im Zentrum steht ein neuer Film, der geheimnisvolle Landschaften des Nahen Ostens, Architektur, Menschen und Rituale zu assoziationsreichen und bildstarken Kompositionen zusammenfügt, der Premiere im Kunsthaus Zürich feiert.

 

Für ihre erste Einzelpräsentation in der Schweiz produzierte Haris Epaminonda (*1980) ihren bisher aufwändigsten Film, «Chapters», der im Kunsthaus Zürich Premiere feiert. Die in Berlin lebende Künstlerin drehte den Film, der in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für zeitgenössische Kunst «Point» in Nicosia, dem Modern Art Oxford und der venezianischen Fondazione Querini Stampalia entstanden ist, letzten Herbst in Zypern.

Früher verwendete Epaminonda vorgefundenes Filmmaterial, das mit anderem kombiniert und neu zusammengeschnitten wurde. Den neuen Film drehte sie selbst und hinterfragt dabei die klassische Form des Filmemachens. Statt einer linearen und festgeschriebenen Erzählstruktur zu folgen, wird sich die Arbeit in den nächsten Monaten und im Laufe der kommenden Ausstellungsstationen stetig weiterentwickeln.

Den Anfang macht die Präsentation im Kunsthaus Zürich, wo Haris Epaminonda das gedrehte Material in seiner ganzen Fülle und nur leicht bearbeitet zeigt: insgesamt sechs Stunden Film, ursprünglich auf 16 mm gedreht und dann digitalisiert.

 

Vier Projektionen paralleler Bildwelten
Die Aufnahmen werden auf vier Projektionen im Raum verteilt gezeigt und enthalten erzählerische Elemente, wie jene von Liebe, Sehnsucht und ewiger Trennung, die auftauchen und wieder verschwinden oder sich überlagern in den parallel projizierten Bildwelten. So entsteht eine assoziative Reise, die sich durch Zufall, Zeit und den Blick der Zuschauer ständig verändert und neu zusammenfügt. Die Schauspieler, Objekte, Tiere und Räume oszillieren dabei zwischen skulpturalen Repräsentationen und den symbolisch-metaphorischen Bedeutungen ihrer selbst.
Der eigens für den Film komponierte Sound entstand in Zusammenarbeit mit «Part Wild Horses Mane on both Sides», einem Duo aus den Tonkünstlern Kelly Jayne Jones und Pascal Nichols. Die Besucher erwartet im Kunsthaus ein Universum melancholischer Schönheit, das Haris Epaminonda gemeinsam mit Kuratorin Mirjam Varadinis inszeniert, also hingehen und anschauen!

 

 

«Stille Reserven im Aargau: subversiv und frisch»
Schweizer Malerei 1850 – 1950 im Aargauer Kunsthaus, Aarau


Der Ausstellungstitel Stille Reserven impliziert eine Art künstlerischen Vorrat, der im stillen Kämmerlein ein unbeachtetes Dasein führt. Doch mit der Präsentation von über 300 Werken aus der privaten Sammlung von Peter Suter und des Aargauer Kunsthauses werden diese Schätze nun ans Licht gebracht.

 

Und darunter finden sich manche Perlen schon vergessener Künstler wie auch namhafter Maler wie Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti, Arnold Böcklin. Die Meisterwerke treten in Dialog mit unbekannten Arbeiten und bieten spannende Begegnungen. Viele der Namen hat man noch nie gehört oder sie gehören einer anderen, verblichenen Epoche an. Die Bilder sind es aber nicht und haben sich ihre Frische bewahrt, ohne konserviert zu wirken. Da sind Entdeckungen zu machen, die durchaus beglücken können. Und der ausgezeichnete Katalog ist eine sichere Investition.
Die Ausstellung Stille Reserven ist wunderbar präsentiert, was zum Augenschmaus beiträgt. Dabei wird die Aufmerksamkeit auf Werke gelenkt, die bisher wenig oder gar nicht in der Schweizer Kunstgeschichte besprochen wurden. Gleichzeitig begünstigen die zahlreichen überraschenden Gegenüberstellungen eine kraftvolle Entfaltung unentdeckter Perspektiven. Auch dieses noch schlummernde Deutungspotenzial kann im Sinne einer stillen Reserve aufgefasst werden. Zwei verschiedene Kunstsammlungen – in einem Dialog zusammengeführt – beweisen die Vielfalt der Schweizer Kunstlandschaft. Eine Entdeckung!
www.aargauerkunsthaus.ch (26.1.2013 – 28.4.2013)

 

Katalog
Stille Reserven
Schweizer Malerei 1850–1950
Herausgegeben von Thomas Schmutz und Peter Suter.
Mit einem Vorwort von Madeleine Schuppli,
Beiträgen von Thomas Schmutz und Peter Suter
sowie einem Gespräch zwischenHans Ulrich Reck und Peter Suter
Scheidgger & Spiess 2013.
Geb., 280 Seiten, 333 farbige und 1 sw Abbildungen 24 x 31 cm.
In Zusammenarbeit
mit dem Aargauer Kunsthaus, Aarau.
CHF 69.00 | eur 58.00.
ISBN 978-3-85881-376-3

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