FRONTPAGE

«Museum für Gestaltung: Magische Textile Manifeste. Von Bauhaus bis Soft Sculpture»

Von Ingrid Isermann

Das Museum für Gestaltung feiert das 150-Jahre-Jubiläum mit einer fulminanten Ausstellung über textile Kunst. Ob gewebt, gestickt, appliziert oder getuftet: zu sehen sind 60 farbenprächtige und facettenreiche Positionen der Textilkunst.

Gleich zu Beginn der Ausstellung schweift der Blick auf ein Spinnennetz, das aus bunten aneinandergeketteten Nylonstrümpfen besteht: «Nylons in Space» der deutschen Künstlerin Ulrike Kessl überrascht mit dem Blick nach oben, flankiert von Christoph Heftis und Caroline Achaintres flauschigen tierischen Kreationen.
 
Eine vielfältige Farben- und Mustervielfalt – der Gang durch die Ausstellungshalle zeigt poetische Fahnen und Gespinste von Lisbeth Burri und Verena Sieber-Fuchs, die mit einer augenzwinkernder Assemblage lockt, während die Schweizer Grande Dame der Textilkunst Elsi Giauque rein mit Kettfäden agiert. Die Mittelachse der Wandelhalle lädt zu chronologischen Entdeckungen ein, wo die Fäden zwischen den einzelnen Textilkünstler:innen verlaufen, die von neu entstandenen Arbeiten zurück durch die jüngere Geschichte der Textilkunst bis zur Gründung des Bauhauses 1919 führt. Textilien sind ein Geflecht, denen ein Text, sprich eine Botschaft, eingeschrieben ist, nebst den sonst üblichen Designerlabeln. Wo die Nachkriegszeit ein Augenmerk auf figurative Szenen richtet, verweisen Gebrauchstextilien in geometrischer Formensprache auf den Einfluss des Bauhauses. 

 

Textilkunst als weibliche Domäne – Kreativität als Lebensart
Prägende Namen der Textilkunst sind neben Elsi Giauque, Sophie Taeuber-Arp und Sonia Delaunay auch Lissy Funk und Doris Stauffer. 1918 trifft Elsi Giauque (1900-1989) in Sophie Taeuber-Arps Textilklasse an der Kunstgewerbeschule ein, wo sie 1944 selbst Dozentin wird. An ihrem Wohnort, der Festi Ligerz, betreibt sie mit der ehemaligen Schülerin Käthi Wenger ein Atelier für experimentelle Gewebe, die auch Elsi Giauques freie Arbeiten ausführt. Gemeinsam schaffen sie transparente Raumkunst, die optische Farbmischungen evoziert und als massgeblich in der Bewegung weg von der Wand gilt.
 

Nach Tanzkursen bei Mary Wigman in Dresden und Webunterricht im Appenzell findet Lissy Funk (1909-2005) als Lehrerin der Frauenarbeitsschule in Basel zur Bildstickerei als künstlerisches Medium. Seit 1933 führt sie im eigenen Atelier in Zürich grossformatige Werke für öffentliche Bauten und Hotels aus, figurative oder ausbalancierte Farb- und Strukturarbeiten, die sie selbstbewusst mit gestickten Signaturen versieht.
 

Nach dem Studium an der Fotoklasse der Kunstgewerbeschule Zürich (1952-1955) wendet sich Doris Stauffer (1934-2017) künstlerischen Assemblagen aus Alltagsobjekten zu. Sie unterrichtet die Fachklassen Form + Farbe. Politisch engagert gründet sie 1969 die Frauenbefreiungsbewegung FBB und 1971 die F + F Schule für experimentelle Gestaltung mit, die sie mit dem Konzept des Teamworks prägt. Die Frau erscheint in ihren Arbeiten als unverwüstliches Stehaufchen. «Mich selbst hat immer Kreativität als Lebensart interessiert» ist ihr Lebensmotto.

 

Die Zürcher Textilkünstlerin und Illustratorin Moik Schiele (1938-1993), eine Tochter des Verlegers und Globus-Werbeleiters J. K. Schiele (1902–1988), besuchte von 1957 bis 1961 die Textilfachklasse an der Kunstgewerbeschule Zürich, wo sie von Elsi Giauque unterrichtet wurde, die einen grossen Einfluss auf ihr künstlerisches Schaffen hatte. Die Ausbildung schloss sie mit dem Diplom als Gobelin-Weberin ab. 1961 eröffnet sie ihr eigenes Atelier in Zürich, schafft grossformatige Werk-Aufträge für Firmen und öffentliche Bauten und modernisiert mit seriellen Arbeiten die Tapisserie. Ihre intensiven verdichteten Farbnuancen erzeugen eine optische Sogwirkung als bezeichnendes Motiv in ihrem Gesamtwerk. 1976 erhielt sie den ersten Preis der Color Convergence, Pittsburgh. Von 1969 bis 1977 nahm sie an der Biennale internationale de la tapisserie teil. «Selbstfindung durch die Arbeit kann Befreiung und Geborgenheit sein», so Textilkünstlerin.

 

In der Sphäre des Bauhauses
Nach figurativen symbolischen Szenen der Nachkriegszeit wechseln sich in der Sphäre des Bauhauses Handweberei und Vorlagen für die industrielle Herstellung ab, mit bekannten Protagonistinnen wie Anni Albers und der Bauhaus-Meisterin Gunta Stölzl (1897 in München-1983 in Zürich). Nach der Kunstgewerbeschule München tritt Gunta Stölzl 1919 ins Bauhaus Weimar ein, wo die Dozenten Paul Klee und Johannes Itten sie gestalterisch prägen. Als erste Meisterin produziert sie am Bauhaus Dessau Entwürfe für die Industrie. Aus politischen Gründen zieht sie 1931 nach Zürich, wo sie ihre Produktion weiterführte und in der Handweberei SPH-Stoffe qualitativ ästhetisch und handwerklich hochwertige Gebrauchsstoffe herstellte, die auch an der Schweizerischen Landesausstellung von 1939 gezeigt wurden.

 

Die Vielfalt der Ausstellung erstreckt sich nicht nur über die verschiedenen Materialien, ob weich oder flauschig, sondern auch in geometrischen Formen, die über die Teppiche flitzen wie bei Moik Schieles «All»  oder pixelartig erscheinen wie bei Johannes Itten (1888-1967), einem Schweizer Maler, Kunsttheoretiker und Kunstpädagoge. In Wien lernte er Walter Gropius kennen, der ihn 1919 an das Bauhaus in Weimar berief. Itten wirkte dort von 1919 bis 1923 als «Lehrender Meister» (Formmeister mehrerer Werkstätten). 1926 bis 1934 führte Itten eine eigene Schule in Berlin, an der u.a. Lucia Moholy-Nagy, Georg Muche, Max Bronstein und der Fotograf Umbo lehrten. 1934 schlossen die Nationalsozialisten Ittens Berliner Schule. Durch seine Lehrtätigkeit und Arbeit mit Studierenden am Bauhaus wurde Johannes Itten zum Begründer der Farbtypenlehre. Itten lehrte an der Kunstgewerbeschule Zürich und zählt zu der Zürcher Schule der Konkreten. Auch ein flauschiger Wandteppich mit geometrischen Formen in schwarz-weiss von Gottfried Honegger ist in der Ausstellung zu sehen. 

 

Social Fabric

Textilien als Träger gesellschaftlicher Appelle und als zwischenmenschliches Bindeglied stehen hier im Fokus. Spezifische Techniken wie das Applizieren von Stoffresten oder alltägliche Materialien wie Strumpfhosen oder recycelte Jeans rufen eigene Erinnerungen wach. In textilen Porträts steht auch der Mensch im Vordergrund mit sich mit manifestierenden feministischen oder queeren Forderungen von subtil bis lautstark. 

 

An den Seiten der Halle zeigen mehrere Kapitel variantenreihe Arbeiten mit Titeln wie «Social Fabric» zum sozialen Geflecht, von Talaya Schmids Seuz-Installation «Meet me Here» bis zu Corinne Odermatts «One Day We Will Part».  Odermatt (*1985) setzt kulturgeschichtliche Referenzen aus Popkultur, Religion und Magie in farbgewaltige Textilien um. An der Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern im Fach Grafik ausgebildet, wird sie zur passionierten Comiczeichnerin und Co-Verlagsleiterin und Redaktorin des Magazins Strapazin. Die Nadelarbeit setzt sie als subversives Handwerk ein. In gepolsterten Appikationen oder fransenbewehrten Fahnen schlägt das Pendel von euphorischem Aufbruch bis zur Endzeitstimmung: «Mich interessiert die Ambivalenz zwischen dem Alltäglichen und dem Handlungsraum, den das Stoffliche eröffnet».

 

Im Kapitel «Trompe l’oeil» bringt Altmeister Victor Vasarely im Spiel zwischen Positiv und Negativ die Wand zum Flimmern, und Lily Binder-Wipf täuscht eine gebaute Dreidimensionalität vor.

«Stay fluid» verlässt mit Marie Schumann (*1991) die formale Norm, sie fasziniert die kulturelle Bedeutung von Textilien, und Constanza Camila Kramer Garfias, die sich mit Theorien des Postkolonialismus sowie deren bikulturellen Hintergründen beschäftigt, lässt auch das Monströse zu. 2017 und 2018 reiste sie nach Japan, um bei japanischen Färbemeistern traditionelle und alte Techniken zur Herstellung natürlicher Farben mit Pflanzen zu erlernen.  Die chilenische Textilkünstlerin lebt in München.

Audiokommentare begleiten einzelne Themen wie die aktuelle Blüte der Textilkunst oder die Entwicklung der Fiber Art weg von der Wand in den späten 60er Jahren.

 

 

Manifest der Kunstgewerbeschule
Das Lernen und Schaffen der ehemaligen Textilklasse der Kunstgewerbeschule (heute ZHdK) wird in deren kollektiver Webkunst zum Manifest. Das Studiolo hingegen schaut im 150-Jahr-Jubiläum des Museums für Gestaltung mit Katalogen und Plakaten in dessen Tradition textiler Ausstellungen. In der Vermittlungszone kreiert das Publikum mit Stoffresten, Garn und Stift persönliche textile Geschichten, die im Ausstellungsraum zur gemeinsamen Collage anwachsen. Die versammelten Exponate bieten ein aussergewöhnliches Sehvergnügen. Das Spektrum möglicher Betrachtungen erweist sich dabei als offen. Denn Manifeste wollen nicht nur gelesen, sondern auch interpretiert werden.

Ausstellung 14. Februar – 13. Juli 2025

 

 

Veranstaltungsprogramm

 

Donnerstag, 27. März 2025, 18 Uhr

Zwischen materieller Poesie und Raumgefühl

Mit Verena Brunner und Marie Schumann,

Textilkünstlerinnen, moderiert von Lilila Glanzmann,

Professorin und Leitung Studiengang Textdesign,

Hochschule Luzern

 

Donnerstag, 8. Mai 2025, 18 Uhr

Gewirkte Lehren

Mit Mirjam Deckers, Kunsthistorikerin und

Katharina Tietze, Professorin und Leitung Studiengang

Trends & Identity, Zürcher Hochschule der Künste,

moderiert von Kuratorin Sabine Flaschberger

 

Workshops für Junge & Erwachsene Samstag, 24. Mai 2025, 14-16.30 Uhr 

Claim your Merch!

Mit Daniela Mirabella, Grafiksammlung und visuelle Gestalterin

 

 

Samstag, 21. Juni 2025, 14-16.30 Uhr

Wie stricke ich einen Fanschal?

Mit Rüdiger Schlömer, Grafiker und Autor von Pixel, Patch and Pattern. Typeknitting

 

 

Für Alle

Samstag, 5. Juli 2025, 14-16.30 Uhr

Achtung, fertig, losgedruckt!

Textile Manifeste zur Frauenfussball-EM

Mit SIEBUNDBROT, Werkstatt für Siebdruck

(Kinder unter 7 Jahren in Begleitung von Erwachsenen)

 

 

Offenes Atelier

Sonntags, 14-16.30 Uhr, vom 6. April bis 6. Juli 2025

Themen zur textilen Gestaltung

Mit Vera Baumann, Textildesignerin, Ursina Spescha,

Kulturvermittlerin, und Julia Trüb, Mitarbeiterin Vermittlung

(Kinder unter 10 Jahren in Begleitung von Erwachsenen)

Anmeldung: museum-gestaltung.ch/de/besuch

 

 

Öffentliche Führungen

Sonntag, 11 Uhr

2.*/16./30. März, 13. /27. April, 11./25. Mai, 

8./29. Juni (*in Englisch)

Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr, Do 10-20 Uhr

Infos: museum-gestaltung.ch

 

Museum für Gestaltung
Ausstellungsstrasse 60
8005 Zürich

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