FRONTPAGE

«Angelina Jolie über die UNO, Flüchtlinge, und ihren neuen Film «Unbroken»

Von Sacha Verna

 

Ein 17-minütiges Gespräch mit der Schauspielerin und Regisseurin über die letzten Dinge, ihren neuen Film «Unbroken» und die UNO: «Es gibt heute mehr Flüchtlinge als nach dem Zweiten Weltkrieg, als die UNO gegründet wurde. Es gibt unzählige Kriege an unzähligen Orten, die jetzt, in diesem Moment, Leben kosten».

Man kann nur ein Problem mit Angelina Jolie haben, nämlich keines. Und das ist das Problem. Angelina Jolie ist schön, erfolgreich, gut und glücklich. Wie schön? Als hätte der liebe Gott beim Basteln seinen inneren Michelangelo und Photoshop gleichzeitig entdeckt. Wie erfolgreich?

Sie war 2013 zum dritten Mal die bestbezahlte Schauspielerin Hollywoods und liegt nur knapp hinter Coca-Cola, was ihre internationale Bekanntheit betrifft. Als Sonderbeauftragte des UN Hochkommissariats für Flüchtlinge düst die 39-Jährige à la Good-Karma-Express um den Globus, gründet Schulen in Afghanistan, Krankenhäuser in Kambodscha und schleppt die Weltpresse in die Lager Vertriebener nach Afrika, um auf deren Elend aufmerksam zu machen.

Angelina Jolie ist Sexsymbol und Mutter Barmherzigkeit in einem. 2002 fing sie mit der Adoption von Kindern an und tat in wenigen Jahren mehr für das Image alleinerziehender Mütter als Generationen von MuKi-Aktivistinnen vor ihr.
Inzwischen sind die Jolie-Pitts zu acht, mit drei eigenen und drei angenommen Kindern. Selbst Zyniker räumen ein, dass diese Frau ihren Nachwuchs offenbar nicht bloss als Lifestyle-Accessoire betrachtet, sondern das Muttersein als Aufgabe fürs Leben. Die Familie jettet wie ein Völkerbund im Kleinformat jeweils geschlossen zwischen ihren diversen Domizilen, Drehorten und Hilfsprojekten hin und her. Im Namen des ganzen Clans verstreut die Jolie-Pitt Foundation Karitatives und Gemeinnütziges auf sämtlichen Kontinenten wie andere Toastkrümel auf dem Küchentisch.

Lady Diana war auch schön und gut. Aber sie war unglücklich und endete tragisch. Mutter Theresa war gut und zumindest glückselig in spe, aber keine Aphrodite. Bei Angelina Jolie gibt es kein „aber“. Ihre Verwandlung vom Bengel zum Engel ist vollkommen. Die wilden Zeiten, in denen sie sich die Namen ihrer Ehemänner (zwei vor Mr. Pitt) tätowieren liess und den üblichen Exzessen Prominenter frönte, sind ferne Vergangenheit. Niemand verkörpert Glamour und Gutmenschentum so perfekt wie sie.

Dabei leckt Angelina Jolie keineswegs bloss an der Buttercrème des Lebens. Das Verhältnis zu ihrem Vater, dem Schauspieler Jon Voight ist gespannt wie ein elektrischer Draht. Ihre Mutter Marcheline Bertrand starb 2007 an Krebs. Um ihr eigenes Krebsrisiko zu reduzieren, unterzog sich Angelina Jolie 2013 einer doppelten Brustamputation. Rückzug aus der Öffentlichkeit? Trauma-Tätscheln in Luxus und Selbstmitleid? Mitnichten. Angelina Jolie verfasste einen vieldiskutierten Meinungsartikel für die «New York Times», in dem sie ihre Gründe für die präventive Operation erläuterte. Sie wolle andere Frauen in einer ähnlichen Situation ermutigen, erklärte sie. Sie fühle sich kein bisschen weniger als Frau als zuvor. Ihre unverminderte Weiblichkeit demonstrierte Angelina Jolie bei ihrem ersten Auftritt nach dem Eingriff in einem schwarzen Kleid von Yves Saint Laurent mit durchsichtiger Bauchpartie. Strahlend schritt sie in London über den roten Teppich zur Première von «World War Z», eines Endzeit-Thrillers mit Zombies und ihrem Ehemann. Sie stahl jeder Apokalypse die Schau.

«Unbroken» ist der zweite Spielfilm, bei dem Angelina Jolie Regie führt. Die Dreharbeiten für dieses Kriegsdrama mit Wohlfühl-Bonus begannen, kaum hatte sie sich von der Operation erholt. Für den 65-Millionen-Streifen absolviert sie einen jener knochenbrechenden PR-Marathons, die nur Hollywoodies ihrer Liga überstehen, ohne beim zwölften Interview des Tages ins Koma zu fallen oder allgemeingefährlich zu werden.

Es ist das zweitletzte Interview in einer Suite des Hotel Mandarin Oriental in New York. Angelina Jolie wirkt wie die Frische und Gelassenheit selber. Ja, sie sieht genau so umwerfend aus wie auf der Leinwand. Ja, sie ist so wahnsinnig nett und uneitel, wie alle versichern, die sie einmal getroffen haben. Die Kinder spielten einige Stockwerke weiter oben mit Papa, sagt sie. Am Morgen seien sie eislaufen gewesen. Wie eine ganz normale Familie.

In den folgenden 17 Minuten klingt Angelina Jolie mal wie ein Motivationscoach, mal wie eine Politikerin kurz vor dem Wahlkampf und dann wie eine Sonntagschülerin. Sie überzeugt in jeder Rolle. Problem? No problem. Jedenfalls nicht ihres.

 

 

Haben Sie Angst vor dem Tod?

(Pause) Nein…nein. Als meine Mutter starb, hatte ich eine Art Erkenntnis: Was immer es ist, das nach dem Leben kommt – ob man nun glaubt, dass darauf das grosse Nichts folgt oder der Himmel -, was immer dieses Unbekannte also ist, meine beste Freundin ist schon dort. Diesen Gedanken finde ich sehr tröstlich, und deshalb schreckt mich der Tod kein bisschen. Wir sollten uns ohnehin mehr auf das Diesseits konzentrieren, anstatt uns mit Sorgen über das Jenseits zu plagen. Lebe ich ein Leben, mit dem ich zufrieden sein kann, wenn ich sterbe? Tue ich mit Leidenschaft, was ich am besten kann? Kann ich hinter jeder meiner Handlungen stehen?

 

Ihr neuer Film „Unbroken“ handelt vom edlen Handeln und vom Wert des Lebens, von Tod und Erlösung. Der Protagonist übersteht als abgeschossener Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg und als Kriegsgefangener der Japaner unsägliche Leiden und fängt irgendwann an zu beten. Wann haben Sie zuletzt gebetet?

Ich bete nicht, jedenfalls nicht im traditionellen Sinn. Meine Mutter war sehr religiös und stellte ihr Leben in den Dienst von anderen. Ich versuche, nach denselben Prinzipien zu leben wie sie, aber es sind keine religiösen. Dabei schrecke ich wie in «Unbroken» nicht davor zurück, Glaubensfragen zu stellen. Gibt es Wunder? Wir wissen so wenig. Es geht darum, sich als Teil von etwas zu sehen, das grösser ist als man selbst. Ich achte auf die Spuren, die ich in dieser Welt hinterlasse und auf meine Beziehung zu anderen. Ich möchte ein anständiger Mensch sein.

 

 

Glauben Sie an das Gute im Menschen?

Ja. Der Glaube an die Existenz des absoluten Bösen ist zu einfach. Wenn wir uns die Schreckgestalten der Geschichte anschauen und einfach sagen «Die waren halt böse», brauchen wir sie nicht zu verstehen. Dabei müssen wir gerade solche Menschen analysieren. Wie sind sie zu dem geworden, was sie sind, und welche Mechanismen haben ihnen dazu verholfen? Nur so können wir verhindern, dass einzelne, Gruppen oder ganze Völker ähnliche Gräuel wieder und wieder begehen.

 

 

Die Frohbotschaft von «Unbroken» lautet: Es besteht immer Hoffnung. Sehen Sie die Hoffnung nach zwölf Jahren als Botschafterin des UNO Hochkommissariats für Flüchtlinge nicht manchmal als «Opium für die Armen der Welt»?

Eigentlich habe ich «Unbroken» gemacht, weil ich selber immer hoffnungsloser geworden bin. Das war nur einer der Gründe, aber Louis Zamperinis Lebensgeschichte…

 

 

…auf der der Film basiert…

…diese Geschichte von jemandem, der unter den unmenschlichsten Umständen seine Menschlichkeit bewahrt, stellte etwas dar, woran ich mich festhalten konnte – woran wir uns alle festhalten müssen. Denn sie haben Recht: Ich sitze mit diesen Menschen im Schmutz von Flüchtlingslagern und weiss genau, dass dies für sie nur der Anfang ist. Durchschnittlich verbringen Flüchtlinge siebzehn Jahre in solchen Lagern. Vor kurzem bin ich von meiner dritten Reise nach Syrien zurückgekehrt. Was soll ich den Müttern und Kindern sagen, die unter Lebensgefahr die Grenze überquert haben? Es besteht kein politischer Wille, diesen Krieg zu beenden. Ich kann sie nicht trösten und ihnen versichern, dass sie bald wieder zuhause sein werden. Ich kann sie nur beschwören, an sich selber zu glauben.

 

 

Und das hilft?

Es muss, es ist das Einzige, was bleibt. Es gibt heute mehr Flüchtlinge als nach dem Zweiten Weltkrieg, als die UNO gegründet wurde. Es gibt unzählige Kriege an unzähligen Orten, die jetzt, in diesem Moment, Leben kosten. Wenn wir bedenken, mit welchen Zielen die UNO gegründet wurde – «Nie mehr wieder», Friede, Einigkeit -, dann stehen wir nicht besonders gut da.

 

 

Sind Sie frustriert?

Natürlich. Alle, die Erfahrung mit der UNO haben, sind frustriert. Aber wir sind uns auch bewusst, dass es in einer Welt ohne UNO noch viel schlimmer zugehen würde. Sie müssen auch daran denken, dass die UNO nur so stark ist wie ihre Mitgliedstaaten. Sie ist keine unabhängige Grösse, die über Wundermittel verfügt. Wenn die UNO scheitert, liegt es am Versagen der Mitgliedstaaten. Es liegt am Versagen einzelner, dass das Welternährungsprogramm über zu wenig Geld verfügt, um 1,7 Millionen Menschen vor dem Hungertod zu bewahren. An der fehlenden Unterstützung für die Flüchtlinge in Syrien sind einzelne Schuld, die ihre Macht missbrauchen.

 

 

Was wollen Sie dagegen unternehmen?

Ich will wie meine Mitstreiter die UNO von innen heraus verändern. Ich bin vom Auftrag der UNO überzeugt. Ausserdem habe ich meine Missionen. Dabei ist mir völlig klar, dass meine Freunde, die als Helfer vor Ort für das Überleben von hunderten von Menschen kämpfen, unendlich viel mehr leisten als ich, und das jeden Tag.

 

 

Womit können Sie mehr erreichen: mit Filmen oder als UNO-Sonderbeauftragte?

Es gibt kein «oder». Ich setze mich dort ein, wo ich am meisten bewirken kann. Die Tatsache, dass Sie mich interviewen, hängt mit meiner Filmarbeit zusammen. Man hört mir zu, und ich kann anderen eine Stimme verleihen, die sonst keine haben. Ich kann die Aufmerksamkeit der Leute auf vergessene und ignorierte Missstände lenken. Die Welt ist ganz entschieden aus dem Gleichgewicht geraten. Ich glaube nicht an ein Schicksal, das die Mehrheit der Menschen zu einem Dasein im Elend verdammt. Dagegen kann und dagegen muss etwas unternommen werden. Ich versuche, mein Möglichstes dazu beizutragen.

 

 

Demnächst in der Politik?

Mit allen Mitteln, die sich mir bieten, wo auch immer das ist.

 

 

(Erstveröffentlicht in «Das Magazin», Tamedia, 3. Januar 2015, mit freundlicher Genehmigung der Autorin).

 
«Unbroken»
Der amerikanische Langstreckenläufer Louis Zamperini nimmt als jüngstes Mitglied des US-Olympiateams 1936 an den Olympischen Spielen in Berlin teil. Vier Jahre später gilt Zamperini als Favorit für die Olympischen Spiele in Tokio, die wegen des ausbrechenden Zweiten Weltkrieges abgesagt werden. Zamperini zieht freiwillig als Bombenschütze in den Krieg. Nach einer Bruchlandung im Pazifik können sich er und zwei Soldaten in Schlauchbooten retten, wo sie 47 Tage ums Überleben kämpfen, ehe sie von der japanischen Navy aufgelesen werden. Im Gefangenenlager müssen sie sadistische Folterungen über sich ergehen lassen. Basiert auf dem Roman «Unbroken: A World War II Story of Survival, Resilience and Redemption» von Laura Hillenbrand, die die wahre Geschichte von Louis Zamperini erzählt.

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