FRONTPAGE

«Unsere Kampf-Piloten»

Von Margrit Sprecher

 

Kaum ein Reporter konnte bisher einen Blick in den F/A-18 Kampfjets werfen. Wer einmal hinter die Kulissen der Fliegerstaffel schauen möchte, wie die Schweizer Luftwaffe tickt, erfährt in diesem Buch in einer Collage aus zehn Bildern mit Fotos von Fabio Biasio das Leben einer Militärpiloten-Klasse.

 

Nur selten und bruchstückhaft, meist nach Pannen, Unfällen oder Skandalen, erfährt die Schweiz, wie die Schweizer Luftwaffe tickt. Dieses Buch zeigt in einer Collage aus zehn Bildern das Leben einer Schweizer Militärpiloten-Klasse. Es beginnt bei den Prüfungen, wo aus Hunderten von Bewerbern die zwölf Richtigen ausgewählt werden, beschreibt, wie diese Männer ohne störenden Ecken und Kanten in die Familie der Armee-Elite eingeführt werden und erklärt, warum sie ohne zu zögern jeden Abschussbefehl ausführen würden. Margrit Sprecher beleuchtet die Männerrituale der Militär-Piloten und ihre Hintergründe. Ein neues Kampfflugzeug wird es jedoch vorläufig nicht geben. Das Schweizer Stimmvolk hat den Kauf des schwedischen Kampfjets Gripen am 18. Mai 2014 abgelehnt.

 

 

Die Besten der Besten
Der Schweizer Militärpilot ist so genormt wie die Maschine, die er fliegt.


Tausende junger Schweizer wollen nur eines: einen Platz im Cockpit eines Militärflugzeugs. Der erste Schritt dazu ist einfach: Mit einem Klick lässt sich der Anmeldebogen der Militärpilotenschule aus dem Internet herunterladen. Der Schulprospekt verblüfft mit Poesie: «Sogar Vögel würden sich wünschen, bei uns das Fliegen zu lernen.» Und er überrascht mit offenem Elitedenken: «Militärpilot ist einer der exklusivsten Berufe überhaupt».
Doch es stimmt. Die Schule bildet jährlich nur zwölf bis sechzehn Schüler aus. Es gibt in der Schweiz weit mehr Herzchirurgen, Atomphysiker und Grossbank-Direktoren als Kampfpiloten.
Für viele ist das Fliegen ein Bubentraum. Mit zwölf schenkte ihnen das Mami eine Pilotenbrille, mit fünfzehn der Götti eine Pilotenuhr, mit sechzehn bauten sie das erste Mo- dellflugzeug. Häufig liegt die Leidenschaft in der Familie. Schon der Vater wollte Militärpilot werden, hat es aber nicht geschafft. Andre wollen Kampfpilot werden, weil ihnen das Talent zum Fussball- oder Popstar fehlt. Sie finden es geil, mit dem teuersten Spielzeug herumzuspielen, das ein Mann heute besitzen kann. Selbst die luxuriöseste Jacht kostet weniger als ein amerikanischer F22 Raptor. Selbst im exklusivsten Privatjet darf der Besitzer nicht herumballern und Bomben abwerfen.
Dazu kommt die Uniform. Verglichen mit dem Fliegerkombi wirken andere Monturen wie Strampelanzüge. Den Effekt nutzen auch Staatschefs. Der amerikanische Ex-Prä- sident George W. Bush borgte sich ein US-Airforce-Outfit, um der Welt den Sieg über den Irak zu verkünden. Der russische Präsident Wladimir Putin sucht jede Gelegenheit, um sich als Kampfpilot zu präsentieren. Sofern er nicht gerade mit nacktem Oberkörper durch die Tundra reitet, nach tausendjährigen Amphoren taucht oder eine Raubkatze streichelt.
Läuft ein spektakulärer Fliegerfilm, steigt die Anmeldeflut in der Militärpilotenschule. Wie in «Top Gun» oder «Sky Fighter» im Kampfjet durch den Himmel jagen … Adlergleich auf den Feind niederstechen. Enge Kurven fliegen, wenn sich der andre beim Dog Fight nicht abschütteln lässt. Und hängt er noch immer am Sack, ein Looping machen und zuschauen, wie der Verfolger aufgibt oder senkrecht zu Boden stürzt.
Sechshundert Männer und ein paar Frauen jährlich erfüllen alle Aufnahmebedingungen der Militärpilotenschule. Sie sind körperlich fit, Leutnant in der Armee und nicht älter als sechsundzwanzig. Und sie haben auf dem Fragebogen mit einem Kreuz bestätigt, ausgeglichen und teamfähig, stress- resistent und verantwortungsbewusst zu sein.
Seit ein paar Jahren verlangt die Schule zusätzlich die Matura und das «Potential zur Hochschulausbildung». Das findet Chefausbilder Beat Matter persönlich schade. «Wir verlieren viele Leute, die fliegerisch gut wären.» Die Schule ist anderer Ansicht: Die Hightech-Ausrüstung an Bord erfordert heute Ingenieurwissen.
Früher gebrauchte man in Sachen Anforderungsprofil deutlichere Worte. Die Armee suchte «rassige Kerle, die in harter Schule nicht erlahmen, Burschen von Charakter».

In der NZZ schrieb zu Mussolini-Zeiten ein italienischer Journalist: «Die Flugwaffe erfordert genau das, was der Faschismus als tägliche Eigenschaftsprüfung von den Jungen fordert: rasche Auffassungsgabe, Individualismus im Kampf, Gleichgültigkeit gegenüber der Gefahr.» Etliche Schweizer Luftwaffenoffiziere fanden den Vergleich durchaus passend.
Es dauert Wochen, bis die Besten der Besten aus der Bewerberflut herausgefiltert sind. Viele scheitern schon an den medizinischen Untersuchungen. Linsenträger und Laseroperierte haben keine Chance. Auch Zahnfüllungen sind problematisch. Liess der Arzt ein winziges Luftbläschen unter der Füllung, kann dieses in grosser Höhe den Zahn auseinander sprengen.
Andern wird die Zentrifuge zum Verhängnis. Dabei sitzt der Pilotenanwärter in einer Art Trommel, die zu drehen beginnt, rasch und rascher wird und schliesslich schleudert wie eine Waschmaschine im Spülgang. Jetzt rast sein Herz, das Blut sackt in die Beine. Der Prüfling spannt Bauch und Hintern an, wie man es ihm ärztlich empfohlen hat. Ist die Höchstgeschwindigkeit erreicht, wirken Kräfte auf den Kör- per ein, wie sie bei engen Kurvenmanövern entstehen. Sein Gesicht entgleist, seine Lippen flattern. Sackt er zu früh ohnmächtig im Sessel zusammen, bedeutet dies das endgültige Aus für seine Militärpilotenkarriere.
«Dafür kannst du nichts. Das sind objektiv messbare Daten», sagt dazu der Glarner Pilotenschüler Pirmin. «Schwieriger zu durchschauen» fand er die psychologischen Tests. «Da waren auch recht intime Fragen». Um sich nicht zu ärgern, beschloss er, die Sache nicht persönlich zu nehmen. «Entweder du passt denen oder eben nicht.»
Der Frageraster wird immer enger gestrickt. Hängen bleiben sollen alle, deren Charakterprofil zu grosse Ausreisser nach oben und nach unten aufweist. Menschen mit ausgeprägten Eigenschaften passen nicht in ein modernes Cockpit. Ausgemerzt werden zu Selbstbewusste und zu Schüchterne, zu Grobschlächtige und zu Empfindsame, zu Temperamentvolle und zu Phlegmatische, zu Wagemutige und zu Ängstliche. Und vor allem: alle Einzelgänger.

 

«Nous sommes tous des bêtes sociales»

 sagt der Neuenburger Vincent. Das zeigte sich schon früh. Als Jugendliche gründeten sie Vereine und engagierten sich in Clubs. Teamsportarten wie Eishockey, Hand- oder Fussball lagen ihnen näher als Velofahren oder Tennis. Auffällig viele haben mehrere Geschwister; jeder Dritte war früher Pfadfinderführer. «Was, ihr auch?», fragt Vincent erstaunt in die Runde.

Zu vermuten ist, dass auch die politischen Ansichten eine Rolle spielten. Unter den Pilotenschülern gibt es weder bekennende Linke und Grüne noch SVP-Turbos. Ein zu leidenschaftliches Polittemperament könnte wohl das Gleichgewicht in der Klasse und die Konzentration auf das Fliegerische stören.
«Das Schülermaterial hat sich vereinheitlicht», bestätigt die Schulleitung. Der moderne Militärpilot ist so genormt wie die Maschine, die er fliegt.
Siebzehn junge Männer, noch immer fünf zu viel, schafften es in die Endrunde. Alle haben Nerven dick wie Schuhbändel. Alle schätzen eine Situation richtig ein und denken voraus. Alle wirken sympathisch und offen. Ungeläufige Gesichter gibt es ebenso wenig wie zu grosse und zu kleine. Alle können «im denkbar schlimmsten Fall», wie das umschrieben wird, auf Befehl und ohne zu zögern ein vollbesetztes Passagierflugzeug abschiessen. Und alle wollen nur eines: fliegen.
Wer schliesslich zur Triple-A-Auslese gehörte, erfuhr die Klasse «auf megaharte Art», wie Georg sagt. Der Hellraumprojektor ging an, und an der Wand erschienen die Namen aller, die bestanden hatten. «Es war totenstill», erinnert er sich. «Dann stand einer nach dem andern unauffällig auf und ging nach draussen. Erst im Korridor haben wir gejubelt». Fünf Männer blieben sitzen. Das fand selbst Frohgemüt Georg brutal. «Aber du kannst es nicht ändern.» Aus den PAS, den Pilotenanwärtern, waren APS geworden, abverreckte Piloten. «Keine Ahnung, was die jetzt machen», sagt Georg und fährt mit der Hand rasch über seine Igelfrisur. Für Verlierer haben die Pilotenschüler weder Zeit noch Sinn.
Viele APS kehren in ihren erlernten Beruf zurück, Konstrukteur, Elektroniker, Informatiker. Einige bewerben sich bei der Armee als Flugzeugmechaniker. Wenn schon nicht selbst fliegen, dann wenigstens die Maschinen warten. «Und uns das Cockpit-Leiterli hinhalten», ergänzt Georg mit der fröhlichen Sorglosigkeit des Siegers. Vincent, ein Mann von knochiger Ernsthaftigkeit, korrigiert ihn umgehend. Streng hebt er die Hand und zählt an drei didaktischen Fingern ab, was es zum Fliegen braucht: «Erstens ein Flugzeug, zweitens einen Mech und drittens einen Piloten.»
Es gibt Verlierer, die können ihren Traum vom Fliegen nicht vergessen. Tag für Tag stehen sie als Plane-Spotter am Pistenrand von Flugplätzen. So wie Thomas, arbeitslos. Er kennt jeden Kampfpiloten mit Vornamen. Er weiss jederzeit, wo die Kampfjets gerade gewartet werden. Für ihn gibt’s nichts Grösseres als ein «Voller-Schub-und-weg». Und keine schönere Musik als das Donnern und Grollen eines anfliegenden Kampfjets. Seit man in Emmen den Anflugwinkel abflachte, ist der Lärm sogar noch grösser geworden. «Das fährt einem ein wie eine Faust in die Magengrube».
Am Wochenende und an Feiertagen, wenn die Schweizer Luftwaffe am Boden bleibt, besucht Thomas das Verkehrshaus Luzern. So wie andere im Zoo direkt die Elefanten oder Affen aufsuchen, steuert er auf die Flugzeughalle zu. Hier stehen die Douglas, Fokker und Coronado. Im weissen Flugsimulator kann man steil in den Himmel starten; bei Pilotenfehlern schüttelt und rüttelt das Cockpit. Dann wieder schwankt die Kapsel, legt sich gefährlich in die Kurve und einmal gar auf den Rücken. Natürlich ist das nicht «the right stuff». Aber doch besser als gar nichts.

 

(Buchauszug mit freundlicher Genehmigung des Echtzeit-Verlags, Zürich).

 

 

Margrit Sprecher gehört zu den renommiertesten Autorinnen und Reporterinnen der Schweiz. Von 1983 bis 2003 war sie Redaktorin der «Weltwoche», seither arbeitet sie als freie Mitarbeiterin unter anderem für die NZZ und «Das Magazin». 1985 wurde sie mit dem Zürcher Journalistenpreis und 1992 mit dem Egon-Kisch-Preis ausgezeichnet. Margrit Sprecher ist Reporterin für in- und ausländische Medien und Autorin von Büchern wie «Leben und Sterben im Todestrakt» und «Expeditionen in die Mitte des Volkes». Sie lebt in Zürich. Für dieses Buch sass sie im Cockpit einer Armeemaschine, am Tisch einer Männer-WG und nahm teil am Trainingscamp am Neuenburgersee, wo die Notlandung geübt wird.

Fabian Biasio arbeitet seit 2001 als freischaffender Fotograf. Der Schlüssel zu dieser Reportage waren Kontakte, die er nach seiner militärischen Versetzung als Armeefotograf zum «Fachstab Kommunikation Luftwaffe» knüpfen konnte. Sie verschafften Margrit Sprecher und ihm Zugang zu einem Bereich, der normalerweise verschlossen bleibt.

 

 

Margrit Sprecher

Unsere Kampf-Piloten

Bilder von Fabian Biasio

Echtzeit-Verlag Zürich, 2014

Klappenbroschur, 128 Seiten

CHF 32 Franken. € 24 Euro

www.echtzeit.ch

 

 

Furiose Premiere im Neumarkt: «Karte und Gebiet» nach Michel Houellebecq

 

Von Ingrid Isermann

 

An der Premiere im vollbesetzten Neumarkt Theater, das die Stühle rundum platziert hatte, sodass sich das Geschehen wie in einer Arena abspielte, gab sich das assoziationsreiche Spiel frisch und spritzig, wo sich die Schauspieler und Schauspielerinnen gegenseitig die Bälle zuwarfen. Ein munteres Sommervergnügen als Alternative zum derzeit regierenden König Fussball.

Und wo Michel Houellebecq draufsteht, ist auch Houellebecq drin. Und der spart bekanntlich nicht mit Seitenhieben auf die lieben Kollegen wie Frédéric Beigbeder (Simon Brusis), Kunstexperten wie Jeff Koons, Supermodel Kate Moss oder IT-Grössen wie Steve Jobs und Bill Gates. Aber halt, die erste Szene gehört einem Mann mit kleinem Hund, die zu Akkordeonklängen ihre Runden ziehn, bevor die schaurige Moritat des Gemetzels beginnt.
Denn der Kommissar hat ein blutiges Verbrechen aufzuklären, den Mord am Schriftsteller Michel Houellebecq (Martin Butzke). Das tiefsinnige Drama wird unterspielt von farbiger Lichtregie und Ohrwürmern, die man von früher kennt, wie beispielsweise «forever young». Doch auch hier spielt der Tod eine gewichtige Rolle, über den en passant parliert wird. Krimis sind ja in und der Tod kommt nicht ohne sie aus.

Das Bühnenstück nach dem Roman «Karte und Gebiet» erzählt die Biografien dreier Künstler, die seltsam antimodernen Bekenntnissen folgen und sich «rätselhaften, unvorhergesehenen Botschaften unterwerfen». Die Stationen des Lebens des Künstlers Jed Martin (Maximilian Kraus) begleiten kleine Geschichten der Kunst des 20. Jahrhunderts, vom Anfang bis zum Ende der Moderne. Den Durchbruch verschaffen ihm künstlerische Reproduktionen von Michelin-Strassenkarten unter dem Motto «Die Karte ist interessanter als das Gebiet». Die Zerstörung eines Gemäldes mit dem Titel «Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf» markiert den Wendepunkt in seiner künstlerischen Biografie. Jed Martin will ein Porträt von Michel Houellebecq anfertigen und bittet den Schriftsteller um ein Vorwort zu seinem Katalog, der sich sehr viel Zeit ausbedingt mit Seitenhieb auf die Kritik, die ihn schon weidlich ausgeschlachtet hat.
«Fettig Beute, richtig fette Beute»… heisst es an anderer Stelle von einem Kritiker, den leichtfüssigen Slapstick-Szenen folgen auch schwerfälligere Aktionen. Doch die Satire auf den Kunst- und Literaturbetrieb ist amüsant und mit Houellebecqschem schwarzem Humor getränkt. Der nicht Halt macht vor Architekturikonen wie Le Corbusier oder William Morris. Wer sich in der Szene nicht so gut auskennt, sollte sich den Roman noch zu Gemüte führen.

Gegen Ende seines Lebens hat sich das Prinzip «Karte» für Jed Martin erledigt, er dokumentiert nun nur noch die vegetative Überwucherung eines riesigen Gebiets, das er sich mit dem mit der Kunst verdienten Geld gekauft hat. Ein Gebiet ohne Karte, das den Menschen überleben wird. Die Moderne ist eine Wunde wie die Existenz des Menschen auf der Erde, lautet das Fazit. Aber die Wunde wird sich schliessen.

Der Schlusspunkt des «green grass of home» bilden die über den Kubus huschenden Videos der molekularen Biologie und das Bühnenbild mit in Büschen und Pflanzen eingehüllten Darstellern unter dem Motto: «Die Vegetation und die Schönheit wird siegen».

Das Publikum revanchierte sich für die Lektionen mit viel Applaus.

Weitere Vorstellungen: theaterneumarkt.ch

Karte und Gebiet
Regie: Peter Kastenmüller
Kostüme: Sara Kittelmann
Film: Tobias Yves Zintel
Dramaturgie und Textfassung: Ralf Fiedler
Premiere: 19. Juni 2014, Dauer 2 Stunden.
Mit Maximilian Kraus, Martin Butzke, Yanna Rüger, Janet Rothe,

Heiner Stadelmann, Simon Brusis

 

 

 

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