FRONTPAGE

«Im Regenwald von Französisch Guyana»

Von Ingrid Schindler

 

Das grösste Waldgebiet Europas befindet sich in Südamerika: Französisch Guyana ist fast völlig von Primärregenwald bedeckt. Das Übersee-Département in Amazonien ist einer der letzten ursprünglichen Flecken des Planeten.

Nach Camp Cisame führt keine Strasse. Um das kleine Lager am Ufer des Approuague in der grünen Hölle Französisch Guyanas zu erreichen, muss man die Piroge nehmen, eines der schmalen, langen, Stromschnellen-tauglichen Boote, die dem traditionellen Einbaum der Indios nachempfunden und mit leistungsstarkem Aussenborder ausgestattet sind.
Das Ufer des breiten Flusses im Einzugsgebiet des Amazonas zieht sich als endloses, immergrünes Mangroven- und Urwaldband dahin, von menschlicher Besiedlung keine Spur. Irgendwo unterwegs setzen wir einen tiefgebräunten, sehnigen Mann in der Wildnis ab. An einem im dichten Blattwerk versteckten Steg nehmen ihn Frau und Hund in Empfang, er hievt schwere, wasserdichte Proviantboxen aus dem Boot hinauf. «Ein Métropolitain, ein Aussteiger aus dem Mutterland, der als Fremdenlegionär nach Guyana kam und jetzt als Goldwäscher im Busch lebt », erzählt uns der Bootsführer.

 

 

Das einfache Leben.
Alles Leben fern der Küste spielt sich in der ehemaligen französischen Strafkolonie auf dem Wasser ab. Strassen ins Innere des Departements, das zweimal grösser als die Schweiz und mit 200‘000 Einwohnern extrem dünn besiedelt ist, gibt es nicht. Nur an der Küste führt eine Strasse entlang; sie endet jeweils an den Strömen, die die Grenzen bilden: am Maroni im Nordwesten an der Grenze zu Surinam und am Oyapock im Südosten, der Frankreich von Brasilien trennt. Tourismus ist in Französisch Guyana noch ein Fremdwort; die meisten, die hier herkommen, haben mit dem europäischen Weltraumbahnhof in Kourou oder der Erforschung des Regenwalds zu tun.

 

 

Gesetz der Wildnis.
Unser Ziel, Camp Cisame, ein knappes Dutzend offener Holzhütten, ist ebenfalls nur durch einen schmalen Steg mit der Welt verbunden. Hier draussen gibt es kein Handy, keinen Internetanschluss, kein TV, keinen Luxus. Nur ein Satelliten-telefon für ernste Notfälle. «Die Hängematte ist das Bett der Wildnis », erklärt Valdo, unser Guide. Der Indio vom Stamm der Galibi weist uns in Urwaldregeln ein: Man schläft wegen der Insekten niemals auf dem Boden, dreht die Hängematte als erstes um und schüttelt sie aus, damit sich keine unliebsame Gäste darin verbergen, bevor man sich hineinlegt. Deshalb, und wegen der hohen Luftfeuchtigkeit, breitet man Leintuch und Decke erst vor dem «Zubettgehen» darin aus. Taschen verschliesst man gut und hängt sie, wie die Kleider, an die Haken der Matte, damit sich nichts darin einschleichen kann.
Nachdem wir unsere Matten gewählt haben, reibt Valdo sich und uns im Gesicht und an freien Körperstellen mit den tiefroten Samen des Roucou-Strauchs ein, der neben unserer Hütte wächst. Roucou ist der Schutz der Indios gegen Mücken und Infektionen, vor Sonnenbrand schützt es auch. Dank Roucou sehen wir aus wie Rothäute. Der Begriff wurde übrigens von spanischen Invasoren geprägt, als sie in Guyana erstmals rot bemalte Eingeborene sahen.

 

 

Tropennacht.
Danach ist Zeit zum Relaxen in der Hängematte. Bettet man sich diagonal, kommt Kreuzweh gar nicht erst auf, die Lage ist überraschend bequem. Welche Wonne, sich ins Reich der Träume zu schaukeln, während der nächste Regenguss sintflutartig auf das Dach trommelt und sich der Tag zu Ende neigt! Den obligaten T‘i-Punch, den Apero aus Zuckerrohrsirup, Limettensaft und Rum, haben wir uns heute redlich verdient.
Der Gong schlägt zum Abendessen. Einheimisches kommt auf den Tisch: Salat mit Maniok, dem Nahrungsmittel der Indios, Poulet boucané, geräuchertes Huhn, die Spezialität der Schwarzen und Kreolen, sowie Fisch mit Chili, in Kokosmilch gegart, Reis und gebratene Kochbananen. Das Essen ist gut, es fehlt an nichts. Bald danach kehrt Ruhe ein, man steht schliesslich mit der Sonne auf.
Waldesstille? Nein, Baustellenlärm! Nachts wird die Wildnis wach: Vögel schreien, Papageien kreischen, Frösche sägen höllisch darauf los, Brüllaffen spielen Autobahn, ihre Laute tönen wie das Brausen schneller Wagen. Die meisten Tiere sind nachtaktiv, wie Tapir, Ameisenbär, Ozelot, Stachelschwein, Jaguar oder die Kaimane. Kein Wunder, sehen wir sie tagsüber nicht. Ausserdem fehlt uns der geschärfte Blick der Einge-borenen. Im Zoo von Guyana holen wir das Versäumte nach, wo man 500 einheimische Tiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachten und sich mit Hilfe von Seilen und Hängebrücken selbst in die Wipfel des Walds hocharbeiten kann. Doch zunächst überlegen wir, welche Aktivitäten des Camps wir die nächsten Tage nutzen wollen: ob wir indianisch fischen, auf einen Inselberg steigen und im Regenwald biwakieren, Riverraften, Gold waschen oder einfach nur entspannte Tage in der Hängematte verbringen wollen. Wie das Faultier, das in schwindelnder Höhe lässig in den Bäumen hängt. Der Alltag ist planetenweit entfernt.

 

 

Französisch Guyana

Allgemeines: Kleinstes Land Südamerikas (91‘000 km2), französisches Übersee-Departement, Währung: Euro, Sprache: Französisch, Hauptstadt: Cayenne (50‘000 Einwohner), Sicherheit: gross, wegen des Weltraumzentrums in Kourou hohes Aufkommen an Fremdenlegion und Polizei.

Tourismus: Ökotourismus im Aufbau, mit Biodiversität im Zentrum (Regenwald-, Schildkröten-, Caiman-, Vogelschutz-gebiete u.a., Indianerkulturen); weitere Highlights: Raketenstarts in Kourou (frühzeitige, kostenlose Akkreditierung, www.cnes-csg.fr), ehemalige Strafkolonien (Bagnes) auf den Teufelsinseln/ Iles du Salut, Zoo de Guyane, Carneval. Für Badetourimus nicht primär geeignet.

Klima: Ganzjähriges, feucht-heisses Äquatorialklima (ø 27 °C), keine Zyklone, Trockenzeit: Juli – Dez., Regenzeit: April – Juli, Rest: Sonne und Regen.

Anreise: Direktflüge von Paris-Orly bzw. Lille – Cayenne mit Air Caraibes (www.aircaraibes.com) ab ca. 500 Euro hin und zurück, auch mit Air France, ca. 8 Std. Flugzeit, 4 Std. Zeitverschiebung. Gelbfieberimpfung: obligatorisch, Malariaprophylaxe, Tetanus-, Hepatits-A-Impfung: empfehlenswert.

Unterkunft Preisbeispiele: 2 Tage/ 1 ÜN, inkl. Vollverpflegung, Pirogenfahrt, Aktivitäten im Camp Cisame (www.cisame-guyane.fr) bzw. in der Ecolodge in der Réserve de Kaw (www.jal-voyages.com) ab ca. 150 Euro/ Pers.; Hotels in/ um Cayenne: Montjoyeux Les Vagues, 4 Sterne, ab 140 Euro, Novotel, 3 Sterne, ab 65 Euro, l’Ebène Verte, Landhaus, ab 65 Euro, Motikôté, Gästezimmer, ab 55 Euro.

Info: www.tourisme-guyane.com, www.franceguide.com

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