FRONTPAGE

«Den Schwarzen Diamanten auf der Spur»

Von Ingrid Schindler

 

Aus dem Tricastin in der provençalischen Drôme kommt das Gros der begehrten «Périgordtrüffeln». Jetzt ist Saisonstart für die besten der schwarzen Trüffeln und sie sind so günstig wie lange nicht.

Blitzschnell zieht der Herr im Cashmeremantel ein paar Tausendernoten aus der Innentasche und steckt sie dem einfach gekleideten Mann mit der Strickjacke zu. Der überreicht ihm eine unscheinbare Stofftasche, deren Inhalt in einer grossen Plastikbox im Kofferraum des schwarzen Mercedes mit italienischem Kennzeichen verschwindet. Dann zieht sich der feine Herr mit weiteren Stoff- und Plastiktütenträgern in die dunkle Hofeinfahrt zurück, vor der der Mercedes parkt. Dort hängen sie die Einkaufstaschen zum Wiegen an eine alte, römische Handwaage, schütteln die Köpfe, zücken Taschenrechner, notieren Zahlen auf Zettel und reichen sie flüsternd hin und her. Finster blicken sie herüber, als die Kamera klickt. Man wird sich offenbar nicht handelseinig und will nicht beobachtet werden. Da greift einer der Männer in die Tasche, holt eine dunkle Knolle hervor, schabt mit den Fingelnägeln an der Schale und hält sie dem Herrn in Schwarz unter die Augen.

 

 

„Der Verkäufer zeigt, dass die Fruchtschicht unter der schwarzen Schale ebenfalls braun-schwarz und weiss gemasert ist und es sich um einen echten Tuber melanosporum und nicht um die weniger wertvollen Wintertrüffel (Tuber brumale), Burgundertrüffel (Tuber uncinatum) und andere, innen hellere Trüffelarten handelt“, kommentiert Bernard Duc Maugé das Geschehen.
Bernard ist einer der Brüder der Confrérerie du Diamant noir, die den Trüffelmarkt in Richerenches am 21. November eröffnen. Der „Mélano“, wie sie den besten und teuersten der schwarzen Trüffeln nennen, hat als Périgordtrüffel oder Tartuffo di Norcia Karriere gemacht, als Provencetrüffel kennt man ihn kaum. Die grosse Mehrheit der sogenannten Périgordtrüffeln stammt jedoch von hier, genauer gesagt aus der südlichen Drôme und der nördlichen Vaucluse am Ostufer der Rhône.
Laut AOC-Herkunftsbezeichnung heisst der schwarze Diamant, wie ihn Gastrosoph Brillat-Savarin bezeichnete, korrekt Truffe noir du Tricastin. Das Tricastin ist Frankreichs ergiebigstes Trüffelparadies und stellt mit Mengen zwischen 60 und 90 Prozent den Löwenanteil der französischen Trüffelernte.
Von November bis März werden die schwarzen Trüffeln geerntet, im Januar und Februar schmecken sie am intensivsten. Gehandelt werden sie in Richerenches, einem unspektakulären Dorf inmitten von Eichenwäldern, Olivenhainen, Weinbergen und Lavendelfeldern. Das Provinznest im Tricastin ist der wichtigste Trüffelmarkt Frankreichs, ja sogar der grösste Umschlagplatz für Trüffel in Europa, auf dem nur en gros gehandelt wird. Für die neue Ernte kommen Grosshändler bis aus Paris, Toulouse, Italien oder Übersee hierher. Hauptschauplatz ist eine von Platanen bestandene Dorfstrasse, in der die Produzenten mit ihren Säcken zwischen den parkenden Autos der Einkäufer kursieren. An den geöffneten Heckklappen wechseln Hunderte von Kilos von Trüffeln und Hunderttausende von Euros in bar den Besitzer, leise, diskret, ohne Rechnung und Beleg.

 

 

Glückspiel

 

Die Mitglieder der Trüffel-Bruderschaft, erkennbar an schwarzen Hüten, Umhängen und Plaketten am gelben Band, sorgen dafür, dass die Geschäfte seriös abgewickelt werden, soweit sich das bei aller Heimlichtuerei gewährleisten lässt, und setzen den Tageskurs der Trüffelsorten fest. „Nachfrage und Angebot bestimmen den Kurs“, sagt Bernard, gibt dann aber zu, dass sich die Produzenten am Telefon oder im Café in Richerenches zuvor absprechen. Die Grossistenpreise liegen an diesem ersten Handelstag bei 200 bis 300 Euro das Kilo, je nach Qualität. „Man spürt die Krise. Letztes Jahr haben sie das Doppelte betragen, vor allem US-Kunden halten sich bis jetzt zurück. Aber in den nächsten Wochen werden die Preise erfahrungsgemäss sprunghaft ansteigen und sich bis Weihnachten verdreifachen“, meint Insider Bernard, der nicht nur selbst Trüffeln kultiviert, sondern auch ein Buch darüber geschrieben hat und das Maison de la Truffe et du Tricastin in Saint-Paul Trois-Châteaux leitet.

 

 

Die meisten der schwarzen Trüffel des Tricastin stammen aus Plantagen, was im Fall der noch teureren weissen Alba-Trüffel nicht möglich ist. Klima, Lage, Boden, alles ist hier ideal für die Trüffelkultur, vorausgesetzt, es wurden zuvor keine Fungizide, Pestizide und Dünger ausgebracht. Um Rhizome und später die unterirdischen Knollen zu bilden, braucht das Pilzgeflecht einen Wirtsbaum, über dessen Wurzelenden es sich symbiotisch mit Zucker- und Nährstoffen versorgt, die es mangels Chlorophyll nicht bilden kann. Verschiedene Eichenarten, wie Steineiche und Quercus Ilex, sowie Nussbaum, Haselnuss und Pappel, bieten sich als Wirte an. „Freies Gelände, in dem man nach Belieben Trüffeln suchen kann, gibt es längst nicht mehr“, sagt Bernard. Jeder, der kann, pflanzt hier Trüffeleichen an. Schwierig sei der Anbau nicht, sondern eher eine Art Glücksspiel.

Auf dem Markt in Richerenches kann man zweijährige, mit Trüffelsporen „geimpfte“ Eichensetzlinge für 12 Euro das Stück kaufen. Ob daraus tatsächlich je Trüffeln entstehen, bleibt die grosse Frage. Bodenanalysen bieten keine Garantie, dass nach rund zehn Jahren Trüffeln unter den Eichen gedeihen. „Dann hat man wenigstens die Bäume“, scherzt Phala Ayme, die selbst Trüffeleichen zieht. Die aus Kambodscha stammende Französin hat gut lachen: Sie bewirtschaftet mit ihrem Mann Gilles von Frühjahr bis Herbst 20 Hektar Wein und im Winter elf Hektar Eichenplantagen, die im Schnitt 600 kg Trüffeln im Jahr abwerfen – ein einträgliches Zusatzgeschäft. Frost sowie besonders feuchte oder trockene Sommer können die Ernte stark verringern.

 

 

Auf den Hund gekommen

 

Schon Gilles‘ Grossvater hat auf der Domaine de Bramarel bei Château Grignan Trüffel kultiviert. Die Eichen stehen in lockeren Reihen von circa sechs Metern Abstand und sind frei zugänglich, durch keinen Zaun geschützt. Lediglich Verbotsschilder mit dem Aufdruck „Truffière protégée par la loi – Accès interdit“ warnen davor, sich hier zu bedienen. „Wer sich nicht daran hält, wird mit der Knarre bedroht“, sagt Phala ungeniert. Nicht nur draussen in den Hainen, sondern auch im Haus. „Im Winter kommen schnell fünf- bis sechsstellige Werte zusammen. Da machen wir gern um sechs Uhr abends die Fensterläden dicht und laden das Gewehr.“
Auch die Trüffelhunde bleiben unter strenger Obhut im Haus, denn sie sind ebenfalls eine begehrte Beute. Ein „chien fait“ sei schlicht unbezahlbar, weil lang und aufwändig trainiert. Die jungen Welpen bringt man schon mit der Muttermilch auf den Geschmack, indem man die Zitzen der Mutter mit Trüffeln einreibt und diese auch ins Futter der Hundebabies mischt. Unermüdlich lernt man den jungen Hunden beim Versteckspiel, Trüffeln suchen. Finden sie sie, werden sie belohnt. Dieses Prinzip gilt auch, wenn aus Spiel längst Ernst und der Hund der Schlüssel des Geschäfts geworden ist.

 

„Los, Aria, such! Wo ist der Trüffel?“ Phala treibt ihre freundliche Hündin energisch an. Weil diese lieber „just for fun“ durch den Herbstwald streunen möchte, feuert Frauchen eine regelrechte Kommandosalve auf die vierjährige Labradorhündin ab. Endlich pirscht diese mit der feinen Nase dicht über dem Boden durchs Laub. Da! Sie schnüffelt intensiv an einer Stelle, verliert aber rasch das Interesse und zieht weiter. Phala lässt nicht locker und befiehlt so lange, „Zeig’s nochmal! Schau nochmal nach!“, bis Aria mit den Vorderpfoten zu graben beginnt. Sofort ist Phala mit ihrem Haken zur Stelle und gräbt die Trüffel selber aus, bevor der Hund Lust bekommt, sie zu verspeisen.
Phala deutet mit dem Finger auf kleine rotbraune Käfer im Boden: ein sicherer Hinweis auf den zu hebenden Schatz. Auch Hexenringe aus Pilzen, „Brûlées“, Ringe aus „verbrannter Erde“ um die Eichen, Sprünge im Boden und leichte Aufwerfungen zeigen reife Trüffel an. „Gilles‘ Grossvater hat sich auf Trüffelfliegen als Indikatoren verlassen. Doch am besten ist der Hund. Er täuscht sich nie“, sagt Phala. Schweine setzt man schon lange nicht mehr ein; sie folgen schlechter, lassen sich schwerer ins Auto hieven und sind weniger angenehme Mitbewohner als Hunde. „Und halte mal ein Schwein zurück, wenn es Trüffeln fressen will. Da reicht es nicht, ‚Stop, à moi!‘ zu rufen wie bei Aria.“

 

 

Geschmacksgaunereien

 

Aria ist mittlerweile stolz am Werk. Immer schneller kommen grosse, kleine, schöne, runde oder warzig wuchernde Knollen aus der Finsternis ans Licht. Reif sind sie alle, denn erst dann verströmen sie ihr betörendes Aroma. Würde man sie nicht ernten, verfaulten sie einfach unter der Erde, so Phala, und das wäre sündschade.
Das findet auch Koch Hervé Dodane, der bei Gilles und Phala regelmässig Trüffeln kauft. Während Phala die frisch geernteten Bodenschätze mit Bürsten reinigt und Gilles für Touristen ein Trüffelcarpaccio zum Testen vorbereitet, geben sich Privatkunden die Klinke in die Hand. Der Koch aus Grignan verrät, was man mit Trüffeln alles parfümieren kann: Soufflée, Pasta, Omelette, Brie, „aber nur ein, zwei Tage lang, sonst schmeckt er zu sehr nach Pilz“, Trüffelbutter, die wunderbar zu Kartoffelpüree und Fischfilets passt und sich gut einfrieren lässt. Nur von gebratenem Geflügel mit Trüffelscheiben unter der Haut hält der Trüffelfan nichts: „Das stammt noch aus der Zeit der Urgrossväter, die Trüffel schubkarrenweise aus den Wäldern holten, so viel gab es damals davon. Mit den wenigen Spalten von heute schmeckt das nach nichts.“
„Ausser es wird getrickst“, erwidert ein anderer Kunde. Warum wohl die billigen, geschmacklosen Chinatrüffel gleich neben synthetisch aromatisiertem Trüffelöl im Regal in der Métro lägen? Alle im Raum pflichten bei und kennen irgendjemand , der Truffe de Chine (Tuber Indicum) als Melanosporum verkauft. Die beiden Extreme sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Ein Dritter wirft ein, dass er von einem wisse, der teure Trüffelpasta aus zehn Prozent echtem Mélano und 90 Prozent aromatisiertem Chinatrüffel herstelle. Kenner schmeckten den Unterschied natürlich sofort.
Besucher können ihr Geschmacksempfinden bei den Aymes schulen. Anhand von Tellern voller fein gehobelter Trüffelscheiben, die die übliche Menge von zehn Gramm pro Person bei weitem überschreiten, werden Geschmacksnoten analysiert: Humus, Moos, Fäulnis, Pilz, Unterholz, Muskat, Haselnuss, Sellerie, schwarzer Rettich, Blumenkohl … Ach was, der unvergleichliche Geschmack lässt sich nicht beschreiben, sondern nur erleben. Aber noch besser mit Olivenöl, Baguette, Fleur de Sel und Weisswein aus dem Tricastin statt pur.

 

 

Trüffelwochenende im Tricastin

Info: Das Tricastin erstreckt sich im Département Drôme zwischen Montélimar im Norden, Orange im Süden, der Rhône im Westen und Nyons im Osten. Die Coteaux du Tricastin sind als Weinbaugebiet bekannt. Touristische Highlights sind das über dem Rhonetal auf einem Felsen thronende Château Grignan, von dem man einen grandiosen Rundblick hat, das trutzig-romantische Château von Suze la Rousse, in dem die Université du Vin ihren Sitz hat, und pittoreske Felsendörfer wie Garde-Adhémar. Information: www.ladrometourisme.com, www.rhonealpes-tourisme.com

 

Trüffel-Veranstaltungen: Eine JOURNEE DE TRUFFE inklusive Trüffelsuche, Tasting, Markt- und Produzentenbesuch ist buchbar bei www.office-tourisme-tricastin.com, www.truffle-and-truffe.com bzw. im MAISON DE LA TRUFFE ET DU TRICASTIN in St-Paul-Trois-Châteaux oder direkt bei Gilles et Phala Ayme auf der Domaine de Bramarel in Grignan, www.ayme-truffe.com. Das Tourismusamt vermittelt Produzenten, die Besucher empfangen. Die UNIVERSITE DU VIN, Le Château, Suze-la-Rousse, www.universitedevin.com, veranstaltet ATELIERs GOURMAND AUTOUR DE LA TRUFFE. Am 3. Sonntag im Januar findet in Richerenches eine Trüffelmesse mit Versteigerung der grössten Trüffeln statt. Täglich Trüffelmärkte im Tricastin, samtags in Richerenches, sonntags in Saint-Paul Trois-Châteaux.

 

Übernachten/ Essen: HÔTEL RESTAURANT 4* VILLA AUGUSTA (Relais & Châteaux) und Restaurant DAVID MOLLICONE, ambitionierte, erstklassige Küche, in Saint Paul Trois Châteaux, www.villaaugusta.fr; CLAIR DE LA PLUME, in Grignan, charmantes Hotel mit Naturpool und Bio-Küche, www.clairlplume.com; LE POEME DE GRIGNAN, www.lepoemedegrignan.com, Trüffel-Restaurant von Hervé Dodaine; typische Bistrots du Pays mit einfachen Trüffelgerichten: L’AUBERGE DE LA POSTE, in Bouchet, oder L’Absinthe, La Garde Adhémar, siehe www.bistrotdepays.com.

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