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«Kunstfreilager – der Basler Kunst-Campus»

Von Simon Baur

 

Drei ganz unterschiedliche Campus-Projekte werden in den kommenden Jahren in Basel umgesetzt. Während die Chemiegiganten Novartis und Roche im Norden und Osten der Stadt ihre Forschungs- und Laborgebäude für zukünftige Life-Science-Strategien in ehrgeizigen Architekturparks organisieren, wird im Süden mit dem Dreispitz eine rund 50 Hektar grosse Industrie- und Gewerbezone partiell für kunst-spezifische Projekte verwendet.

 

Bereits 2002 legte das Architektenteam Herzog & de Meuron ein Leitbild für die Entwicklung des Gebietes (www.dreispitz.ch) hinter dem Gundeldingerquartier vor, indem die Entwicklungs-potentiale der einzelnen Teilbereiche des Areals untersucht wurden.

Dabei führten die Architekten einprägsame Begriffe ein, die sich teilweise bis heute erhalten haben und mit denen urbane Gebiete und Elemente benannt werden: So verbindet der zentrale „Broadway“ als mögliche Grünachse die Teilgebiete „Manhatten“ (Nordspitze), mit „Soho“ (kleinteilige Struktur im mittleren Bereich) und die Industrie- und Lagerareale „Queens“ (Südspitze) in dessen Bereich die Architekten 2003 das Schaulager für die Emanuel-Hoffmann-Stiftung realisiert haben.

 

Wichtigster Verkehrsknotenpunkt bildet die mittlerweile realisierte S-Bahn-Station Dreispitz, der eine optimale Anbindung an den Bahnhof SBB und an das Stadtzentrum gewährleisten soll.

Im Bereich des ehemaligen Zollfreilagers sahen die Architekten einen «Campus des Bildes» vor, der bis 2015 unter dem Begriff«Kunstfreilager» weitgehend umgesetzt sein sollte. Nachdem in den letzten beiden Jahren die Dreispitzhalle an der Helsinki-strasse – die Strassen tragen allesamt Namen von Grossstädten wie Helsinki, Mailand, Wien, Florenz, Venedig oder Oslo – sich für kulturelle Aktivitäten etablieren konnte und das lokale „Radio X“ im vergangenen Sommer, sowie das „Haus für elektronischen Künste“ und diverse Ausstellungs-räume und Künstlerateliers seit Anfang Juni im mittleren Bereich der Oslostrasse eine neue Bleibe gefunden haben, steht mit dem Umzug der Hochschule für Gestaltung und Kunst bis spätestens 2014 – der Termin wird seit Jahren nach hinten verschoben – ein Grossprojekt vor seiner Umsetzung.

 

Die Bereiche Kunst, Innenarchitektur/Szenografie, das Lehramt bildende Kunst, Industrial- und Mode-Design sowie dasHyperwerk (ein Institut, das sich in projektorientierter Ausbildung und Forschung mit den Fragen des gesell-schaftlichen Transformationsprozesses hin zur Informationsge-sellschaft befasst), sollen in das ehemalige Zollfreilagergebäude einziehen, dass für diesen Zweck von Müller Sigrist Architekten, Zürich, umgebaut wird.

 

Am Ende dieses Gebäudes, hinter einer alten Laufkatze, die als Relikt der ehemaligen Industriearchitektur erhalten werden soll, wird der achtstöckige Nutzbau stehen, der aus einem Wett-bewerb ausgelobt und von Morger+Dettli Architekten, Basel, für sich entschieden wurde. In ihm sollen die Visuelle Kommunikation, die Masterstudiengänge sowie die gesamte Verwaltung untergebracht werden.

Auch die Werkstätten, deren Unterbringung in den ersten Konzepten vernachlässigt wurde, haben auf dem Gelände – in einer ehemaligen Autogarage – einen Ort gefunden. Etwas weiter südwestlich, im Anschluss an das Haus für elektronische Künste, soll auch das Kunsthaus Baselland untergebracht werden.

 

Die Direktorin Sabine Schaschl und der Vorstand des Kunstvereins haben den Standortwechsel geprüft und befürworten ihn, nach wie vor warten sie auf die verbindliche Positionierung des Kantons bezüglich Finanzierung. Ob sich dieser bei seinen aktuellen rigorosen Sparvorgaben zu einer solchen zukunftsweisenden Investition entschliessen kann, lässt sich mit Blick auf die kürzlich abgelehnte Subventionserhöhung an das Stadttheater Basel durch eine Volksabstimmung bezweifeln.

Anders als beim Theater handelt es sich beim Kunsthaus Baselland um ein interkantonales Prestigeprojekt mit internationaler Ausstrahlung. Es ist zudem der einzige Ort im ländlichen Baselbiet, in dem ernstzunehmende Ausstellungen nationaler und internationaler Gegenwartskunst präsentiert wird.

 

Der andere Ort, die Kunsthalle Palazzo in Liestal ist auch ein wichtiger Player, engagiert sich aber vor allem für regionales Kunstschaffen. Kommt hinzu, dass die Ausstellungen der Kuratorin des Kunsthaus Baselland, Sabine Schaschl, nicht nur schweizweit sondern auch im Ausland hohes Ansehen geniessen.

Im letzten Jahr wurden ihr für ihre Verdienste der „Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres“ des französischen Kultur-ministeriums verliehen. Wie auch alle weiteren neuen Projekte, erhofft sich auch Sabine Schaschl von der Campus-Idee erweiterte Synergien, beispielsweise mit den benachbarten Kunstinstitutionen, aber auch mit dem international ausgerichteten Schaulager gleich um die Ecke und natürlich mehr Besucher der Ausstellungen.

 

Lehre, Forschung, Produktion und Repräsentation sollen also in einigen Jahren ganz nahe beieinander liegen. Doch auch die Bereiche Wohnen und Erholung sollen nicht zu kurz kommen, der Wohnanteil soll dereinst rund einen Fünftel der verfügbaren Bruttogeschossfläche betragen, das entspricht mehr als 1000 Wohnungen.

 

Eines der wichtigen Projekte des künftigen Kunstfreilagers hat Anfang Juni seinen Betrieb aufgenommen: das Haus für elektronische Künste. (www.haus-ek.org)

Auch wenn sich diese junge Institution vorerst in einem Provisorium befindet und in einigen Jahren an einen angrenzenden Neubau unter gemeinsamem Dach mit demKunsthaus Baselland und den Künstlerateliers der IAABvereinigt sein soll, steht damit einer der ersten Meilensteine dieses visionären Grossprojektes der Christoph Merian Stiftung.

 

Dass Basel über die Jahre zu einem Zentrum für neue Mediengewachsen ist, ist zahlreichen Wissenschaftlern, Galeristen und Künstlern zu verdanken, die sich aktiv für neue Medien einsetzen.

Das neue Haus vereinigt die Aktivitäten des «Forums für neue Medien [plug.in]» und des «Festivals der elektronischen Künste Shift» unter einem Dach. Zudem bietet die Institution im Rahmen eines überregionalen Forschungsprojektes und in Zusammenarbeit mit dem ZKM, Karlsruhe, Raum für die Konservierung, Archivierung und Dokumentation von digitaler Kunst.

 

Es soll ein Ort werden, der nicht nur neue Medien oder Netzkunst beherbergt, sondern den Begriff weiter fasst: auchFilm, Video, digitale Fotografie und vor allem Musik gehören zu jenen elektronischen Künsten, die im Zentrum des Interessens, der Förderung und Vermittlung stehen.

 

Die Absichten dieser neuen Institution bestehen nicht nur in der Präsentation sondern betreffen auch die Reflexion der Bedingungen, unter denen wir mit neuen Medien agieren und von diesen bestimmt werden.

Dies wurde in der Ausstellung «Together in Electric Dreams. Abwesende Anwesenheit» deutlich, die der Kurator Raffael Dörig kuratierte und die bis zum 18. September dauert. Die Arbeiten von Esther Hunziker, Oliver Laric, der Mediengruppe Bitnik und als Referenz eine Arbeit von Kit Galloway & Sherrie Rabinowitz widmen sich jenen Situationen, die entstehen, wenn wir uns beim chatten, skypen, streamen oder telefonieren in das Zwischengebiet von Nah und Fern begeben. Die Räume des neuen Hauses, führen den «White Cube» in ein neues Zeitalter und ermöglichen eine Konzentration auf Arbeiten, die nicht nur permanent provisorisch sind, sondern auch Gegenwart und futuristische Galaxien gekonnt gegeneinander ausspielen.

 

Die Absicht Zentrumsfunktion in Bereich Kultur zu übernehmen ist ehrgeizig, doch sie wird gelingen. Die Christoph Merian Stiftung, als Besitzerin des Geländes scheut keine Mittel und Anstrengungen, um das Gelände attraktiv zu gestalten und den künftigen Projekten optimale Bedingungen zu bereiten. Die Distanz zum Stadtzentrum wird durch eine bessere Anbindung an den öffentlichen Verkehr wesentlich verkürzt. Zudem überlegen sich Künstler und Galeristen, aber auch Musiker, Wissenschaftler und Handwerker ob sie nicht auf dem Dreispitz ihre Zelte aufschlagen wollen, um so von den Synergien, die auf dem Gelände ohne Zweifel stattfinden werden, optimal partizipieren zu können.

 

 

 

Simon Baur (*1965) lebt als Kunstpublizist und Kurator in Basel

(siehe AutorInnen).

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