FRONTPAGE

«Vivien Stein: Heinz Berggruen Leben & Legende»

Von Ingrid Isermann

Als Heinz Berggruen (1914-2007) mit 91 Jahren starb, wurde er in Berlin als Ehrenbürger wie ein Staatsoberhaupt verabschiedet. Die Stadt, in die der deutsch-jüdische Kunsthändler und -sammler nach langen Jahren der Emigration in Paris, New York und London 1996 zurückkehrte, verdankt ihm eine der umfassendsten Sammlungen der klassischen Moderne, wie Picasso, Matisse, Klee, van Gogh und Giacometti, die im Museum Berggruen zu besichtigen sind.

Heinz Berggruen, der 1937 von Berlin nach San Francisco emigrierte, war nach dem Krieg Kunsthändler in Paris mit Zweigstelle in der Schweiz.
Das kürzlich erschienene Buch der Kunsthistorikerin Vivien Stein wirbelte einigen Staub auf, sie bezichtigt den Kunstmäzen der Geschäftemacherei und u.a. durch Steuerflucht ein gewaltiges Vermögen aufgebaut zu haben.
Die Grundlage der Recherchen für das brisante
Buch waren die 1996 erschienenen Memoiren
von Heinz Berggruen, zahlreiche Interviews, Zeitungsartikel, Archivstudien und Gespräche mit Zeitzeugen, die die Autorin akribisch verfolgte und aufarbeitete. Eine detektivische Arbeit, die den Ruf des Kunsthändlers Heinz Berggruen fundamental in Frage stellt.
Empörung wurde in Berliner Zeitungen und Kreisen laut, die die Vorwürfe als „Infamitäten“ und „latent antisemitisch“ verurteilten, die «Süddeutsche Zeitung» stimmte hingegen in ihrer Rezension der jüdischen Autorin zu.
Nicht ganz einsichtig ist, was die Autorin gerade zu diesem Zeitpunkt zu ihren Überlegungen und Nachforschungen brachte, die zu dem umstrittenen Buch führten, immerhin vier Jahre nach dem Tod des prominenten Kunsthändlers?

Vivien Stein zeichnet ein Bild von Heinz
Berggruen „als einsamen, misstrauischen
und gleichzeitig geltungsbedürftigen Menschen, der, wenn nicht stärker, doch wenigstens cleverer sein will als seine
eigenen Teufel. Sie drängen ihn, immer wieder und überall, die Begeisterung und Liebe, die er mit gezieltem Charmeeinsatz zu wecken versteht, so weit auszunützen, bis sich Vertrauen in Enttäuschung verwandelt und er weiterziehen muss“.

Ebenfalls in den Negativ-Sog geriet nun auch der Erbe, der Unternehmer Nicolas Berggruen, der nach dem Karstadt-Kauf auch die Kaufhof-Kette erwerben möchte. Das letzte Kapitel in diesen Spekulationen ist daher noch nicht geschrieben.
Dennoch ist die Publikation eine ausführliche Zeitdokumentation über die Verflechtungen des Kunstmarktes, über das heutige Verhältnis zwischen Deutschen und Juden, das Zusammenspiel von Museen und Händlern und Sammlern, über die Transparenz der staatlichen öffentlichen Gelder und über den Begriff des Mäzenatentums.

 

 

Vivien Stein
Heinz Berggruen
Leben & Legende
Edition Alpenblick, Zürich 2011
576 S., CHF 44.

 

Vivien Stein wurde 1951 als Tochter jüdischer Emigranten aus Berlin und Prag in New York geboren, studierte Literaturwissenschaft an der Yale University. Mit einem Fulbright-Stipendium kam sie nach Deutschland, wo sie 21 Jahre blieb und vornehmlich im Kulturbereich tätig war.
1994 zog sie von Berlin nach London, seit 2008 verwaltet sie eine internationale Non-Profit-Organisation mit Hauptsitz in Paris.

NACH OBEN

Reportage


Buchtipp


Kolumnen/
Diverses