FRONTPAGE

«Das fleissige Hausmütterchen»

Von Hedi Wyss

Ein Huhn ausnehmen, eine Wurst herstellen, Kaninchen züchten, Babykleider stricken? Gemüse ziehen, den Apfelbaum schneiden? Ein Wohnzimmer einrichten und eine Kochkiste herstellen? Wie man all das macht, steht in dem Buch von Susanne Müller „Das fleissige Hausmütterchen“ das anfangs des 20. Jahrhunderts während mindestens 30 Jahren ein absoluter Bestseller war. Auch als ich es vor einigen Jahren in einem Antiquariat entdeckte, hatte es einen stolzen Preis. Als Kuriosum habe ich es gekauft, aber manchmal konsultiere ich es dennoch, wenn ich nicht weiss, wie man Quittengelee herstellt, oder wenn ich ein Hausmittel gegen hohes Fieber suche. Es ist wirklich alles drin, was damals in einem Haushalt hergestellt und organisiert werden musste.
Eine Art Kulturgeschichte der Zeit, in der unsere Grossmütter lebten.
Manchmal blättere ich einfach darin herum, obschon ich schon gefunden habe, was ich suchte. Ich bin fasziniert und doch auch irritiert.
Fasziniert davon, wie vielfältig das häusliche Leben war, wie interessant auch, wenn es von Tierzucht bis Pflanzenkunde Konservierung von Lebensmitteln, und Umgang mit Dienstboten, alles einschloss, was heute an Maschinen, automatisierte Abläufe und Fabriken ausgelagert ist. Irritiert und schockiert doch, dass es noch gar nicht lange her ist, dass die Rollen so klar verteilt waren, und den jungen Frauen meist nur ein einziger Beruf, der der Ehe-und Hausfrau offen stand. Wenn ich das Vorwort lese, diese mahnenden Worte an die junge Frau, diese unerbittlichen Appelle ja reinlich, fleissig und unermüdlich zu sein in der Sorge um Haushalt und Familie, dann bin ich doch froh, ein paar Jahrzehnte später auf die Welt gekommen zu sein. Wenigstens hatte ich die Wahl, wenigstens gab es schon damals, als ich jung war, einige andere weibliche Vorbilder als nur die Frauen mit ihren Putzkesseln auf der Treppe des Mietshauses.

 

Maschinen waschen heute Geschirr und Kleider, der Roboter mäht den Rasen, der Salat aus dem Supermarkt ist schon gerüstet und gewaschen, das Grillfleisch gewürzt, und statt mit Sand und Seife den Dreck mit Muskelkraft weg zu scheuern, gibt’s heute Wundermittel, die mit viel Chemie Sauberkeit ohne Anstrengung herzaubern können. Fabriken haben übernommen, was früher in Haus und Garten mühevoll hergestellt wurde. Und die Zukunft sieht betörend aus: wir müssen nichts mehr herstellen, nichts mehr zubereiten, die Industrie übernimmt alles.
Nun produziert auch nicht mehr der Bauernhof Fleisch, Milch und Eier, sondern die Industrie. Was auf uns zukommt, zeigt sich etwa in der USA, wo die C.A.F.O, die „Concentrated Animal Feeding Operations“ dafür sorgen, dass all diese Lebensmittel billig und genussfertig verpackt in den Supermärkten bereit liegen.
Im „fleissigen Hausmütterchen“, sieht die Hausfrau noch das Rind schön aufgeteilt je nach Körperteil und weiss, wo das Filet sitzt. Sie ist sich bewusst, dass der Schinken vom Bein eines Tieres kommt, das vorher aufgezogen gemästet und getötet werden musste. Und das Kaninchen für den Sonntagsbraten hat sie selber ausgenommen und zerteilt.

 

Dass heute in den USA ein Hamburger billiger ist als ein Salat, ist der industriellen Art von Produktion zu verdanken, die absolut keine Rücksichten mehr auf Tierschutz und Umwelt nehmen kann. Denn die Rendite, die Produktion ist der absolute Massstab.

Etliche Publikationen zeigen seit kurzem auf, welcher Preis für solch industriell produzierte tierische Erzeugnisse gezahlt werden muss: Riesige Mist-Seen stinken zum Himmel, verpesten die Luft, und werden zum Gesundheitsrisiko für die Menschen. Resistente Bakterien machen Antibiotika unwirksam, und Hormone aus dem Fleisch verändern den Stoffwechsel der Konsumenten. Das Buch von Jonathan Safran Foer „Eating Animals“ „Tiere essen“ und ein Bildband „C. A. F. O“ zeigen den Horror: Puten und Hühner, züchterisch so verändert, dass sie dauernd unter Schmerzen leiden, Schweine und Rinder so zusammengepfercht, dass sie dauernd mit Medikamenten traktiert werden müssen.
In den USA mit ihren fehlenden Vorschriften in Bezug auf Tierschutz und Umweltschutz fängt an, was sich bei steigendem Fleisch Konsum über den ganzen Erdball ausbreiten wird, denn die grossen Konzerne der Fleischproduktion haben schon nach Europa und Asien expandiert. Nicht nur das Steak im Vakuumpack, auch die ganze industrielle Nahrungsmittelproduktion, die schmackhaften Fertigsuppen, die in klares Plastics eingepackten Gemüse, die Instant-Menüs, und all die andern Leckereien, haben einen Preis, der nicht auf dem Preisschild steht. Den zahlt nicht der Konsument, sondern die Natur, das Tier, die Umwelt und schlussendlich dann die kommenden Generationen, die mit dem überfischten, durch riesige Mengen von Plastikabfällen verseuchten Meer, mit den durch Pestizide und Dünger zerstörten Böden, und den Auswirkungen der Erderwärmung leben müssen.

Die alten Tugenden, die dem „fleissigen Hausmütterchen“ gut anstanden: Sparsamkeit, und Reinlichkeit erreichen nun das Gegenteil: Je billiger das Fleisch und andere Lebensmittel, desto mehr konsumieren wir davon (und werfen Unmengen weg). Je sauberer die neusten chemischen Wundermittel Wäsche und Wohnung machen, desto grösser die Kosten, die wir alle für Umwelt -und Gesundheitsschäden mal bezahlen müssen.

Und doch, das Buch von Susanne Müller bewahre ich sorgfältig auf. Denn wer weiss, wenn alles zusammenbricht, werden wir vielleicht froh sein um ganz fundamentale Techniken des Überlebens. Und da und dort gibt es ja die Pioniere schon, die eigenes Gemüse zwischen Hochhäusern in der Stadt ziehen, ein paar Hühner im Hinterhof halten, unter den Apfelbäumen, die sie frisch gepflanzt haben. Eine Art Opposition gegen den Trend, eine Art Vorsorge für ein Nachher, das sicher irgendwann eintritt.

 

Susanna Müller: „Das fleissige Hausmütterchen“ Ein Führer durch das praktische Leben für Frauen und erwachsene Töchter“ Zürich, Verlagsbuchhandlung Albert Zeller 1927 24. Auflage (136.-145- Tausend)

 

Johnathan Safran Foer „Eating Animals“ Little, Brown and Company.
Deutsch: „Tiere Essen“ Kiepenheuer und Witsch.

 

„CAFO, Concentrated Animal Feeding Operation. The Tragedy of Industrial Animal Farming“
Edited by Daniel Imhoff. Earth Aware, San Raffael California

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