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«Von wegen kalte Füsse! Reykjavik ist ein attraktives Reiseziel»

Von Ingrid Schindler

 

Die isländische Hauptstadt sendet in den stürmischen Zeiten der Finanzkrise viele Rauchzeichen. Für den Tourismus ausnahmsweise positive. Auch im Winter.

Es ist der 24. November und es fühlt sich an wie Weihnachten. Im Restaurant „Laekkarbrekka“ in Reykjavik herrscht eine heimelige Atmosphäre, während draussen der Sturm tobt. Hölzerne Weihnachtsmänner mit weissen Bärten und roten Backen sitzen in den Fensternischen, zwischen roten Kerzen, grünen Zweigen und Lichterketten, Abba und Jingle Bells erklingen im Hintergrund. Das Weihnachtsbuffet ist aufgebaut. Es bietet einen Querschnitt dessen, was die Isländer gern essen: Hering, Langusten und Räucherlachs, Rentierpaté, Wildentenbrust, Puffinfilet (Papageientaucher), Lamm in vielen Variationen, Stockfisch, Fohlensteaks und Schweinebauch mit Rotkraut und Karamellkartoffeln sowie Kuchen. Alles schmeckt fein, aber süsser bzw. salziger als bei uns.

Man kann auch ein Fisch- oder Hummermenü bestellen. Der Dreigänger kostet umgerechnet zwischen 60 und 80 Schweizer Franken, das ist nicht einmal halb soviel wie im Sommer. Island ist durch die Finanzkrise erschwinglich geworden. Das Restaurant ist voll besetzt. Die Gäste an den Nebentischen sprechen Englisch, Holländisch, Dänisch, Französisch, Spanisch und Deutsch, Isländisch natürlich auch. „Die Hotels sind gut gebucht, an den Wochenenden und den Feiertagen ist alles voll“, sagt die Rezeptionistin des eleganten Art-Deco-Hotels „Borg“. Und das Ende November, wenn kein vernünftiger Mensch nach Island fliegt. Wenn der Tag kurz, das Wetter grässlich und touristisch normalerweise tote Hose ist. Gerade einmal fünf Stunden liegen zwischen Sonnenauf- und -untergang, wenn sich die Sonne überhaupt blicken lässt. Dafür bläst der „blaue“ Wind.

 

 

Ausverkauf in Reykjavik?

Die Nachfahren der Wikinger winken ab. Weder wird Island „verramscht“, noch sind die Läden leer. Im Gegenteil, das Weihnachtsgeschäft läuft dank der Besucher aus dem Ausland besonders gut, während sich die Isländer zurückhaltender als in den letzten Jahren zeigen. „Die Auswirkungen der Finanzkrise werden wir erst nächstes Jahr spüren, jetzt ist es zu früh, den Schaden abzusehen“, meint David Johannsson, Direktor des Isländischen Fremdenverkehrsamt in Neu-Isenburg (D), das zuständig für Kontinentaleuropa ist. Johannsson sieht die Lage relativ entspannt. „Alles funktioniert wie eh und je. Aber das neue Island wird sich mehr bescheiden, auf die eigenen Werte und Produkte besinnen und nicht mehr wie in den letzten Jahren mit Geld um sich werfen.“

 

Durch den gewaltigen Kurseinbruch der Isländischen Krone ist die grösste Vulkaninsel der Welt als Reiseziel attraktiver geworden. Die exorbitanten Preise haben sich mehr als halbiert. Billig ist deshalb noch lange nichts, beim Essen und den Zimmerpreisen bewegt man sich heute in etwa auf Schweizer Niveau. Für den Tourismus ist die Krise eine Chance. Man hofft, dass die Besucherzahlen weiter steigen und, wie Johannsson sagt, „sich Island über den Outdoor-Tourismus hinaus als Ganzjahresdestination etabliert“. Die Entwicklung der letzten Jahre war sehr positiv.

Kamen 2002 knapp 280‘000 Reisende auf die Insel, waren es 2007 460‘000 Besucher. Seit 2002 hat Reykjavik um 75 % Kapazität bei den 4-Sterne-Hotels zugelegt, die Planung eines grossen Fünfsternhotels am Hafen ist jedoch auf Eis gelegt, bis der Finanzmarkt wieder sicherer wird.

 

Dampf und Rauch – Hotspot Hotpot

Nicht nur im Sommer, auf den sich der Outdoor-Tourismus hauptsächlich konzentriert, sondern auch in der kalten Jahreszeit lässt sich hier gut verweilen. Dafür sorgen unter anderem die heissen Quellen. Auch wenn es für manche Gäste unheimlich ist, dass es in Island „Orte mit Fussbodenheizung gibt, ohne dass eine da ist“, wie Johannsson sagt. Die Geysire machen nicht nur die Füsse warm, sie versorgen das ganze Land mit Energie – und heissem Badewasser.

Die Isländer lieben es, sich nach nervtötenden Börsen-Nachrichten im TV im Hotpot oder Geysir-Bad zu relaxen und die Lage zu besprechen. Auch Touristen schätzen nach Ausritten oder Whalewatching-Trips in klirrender Kälte die wohltuende Wärme der Bäder. Touristisches Highlight ist die Blaue Lagune, die inmitten von Lavafeldern eine halbe Stunde vom Flughafen Keflavik entfernt liegt. Weit günstiger ist das Baden in der Stadt, zum Beispiel im populären Spa-Ressort „Laugar“. Dieses befindet sich im „Tal der heissen Quellen“ in Reykjavik, die seit 80 Jahren die Stadt beheizen. Dem austretenden Dampf verdankt Reykjavik seinen Namen – „Rauchbucht“.

Apropos Wasser: „Die Isländer haben das beste Leitungswasser der Welt“, meint Maxim Fedyukin aus Moskau, der das Hotel „Leifur Eiriksson“ führt. „Man muss nur den Hahn aufdrehen, das kalte Wasser ein bisschen laufen lassen und dann kommt reinstes Gletscherwasser heraus.“ Als ob es nicht schon kalt genug wäre, gibt man allerorten noch Eiswürfel hinein.
Das „Leifur Eiriksson“, benannt nach dem ersten Entdecker Amerikas 500 Jahre vor Kolumbus, ist ein schlichtes, sauberes Hotel vis-à-vis der imposanten, neogotischen Hallgrimskirkja mit den eigenwilligen Basaltsäulen. Auf dem Kirchturm hat man einen fantastischen Überblick über die Stadt, in deren Einzugsgebiet 190‘000 Einwohner leben (bei insgesamt 320‘000 Isländern insgesamt).

 

Musthaves

Von der Kirche zieht sich die Schlagader der Altstadt, der Laugavegur, fast bis ins Hafenareal hinunter. Heizschlangen unter den Bürgersteigen halten die Haupteinkaufsstrasse schnee- und eisfrei. Rund um den Laugavegur verdichten sich Hotels, Kaffee-Bars und Restaurants, die nachts zu berüchtigten Danceclubs werden. Bunte Boutiquen mit isländischen Outdoorlabels und schriller Mode bilden Fallstricke für Fashion-Victims, und isländische Topdesigner locken mit eleganter, elfenhafter Haute Couture. Das Musthave der Saison sind gestrickte, mit Fell gefütterte Mützen, wie sie auch im Bordshop von Icelandair angeboten werden. Klassische Islandpullis und CDs made in Island gibt es natürlich auch in Hülle und Fülle; die Heimat Björks und der Sugar Cubes ist musikalisch eine wahre Wundertüte. Das Literaturangebot überrascht ebenfalls. Die Isländer sind seit jeher ein Volk von Lesern und Schreibern. Unter den Kochbücher, ist in der Buchhandlung Skifan am Laugavegur zu erfahren, liegen der italienische „Silberlöffel“ („Silfur Skeidin“) und die isländische „Cool Cuisine“ im Trend und in diesem Jahr wohl am häufigsten unter den künstlichen Christbäumen. Echte sind hier Mangelware, denn sie wachsen auf Lava und Eis nun mal nicht.

 

Coole Hotels

Eine Haustür weiter geht es ins Hotel „Room with a view“. Hier steigen gern Filmemacher, Literaten oder Musiker bei längeren Engagements ab. Einige der grosszügigen Selbstversorger-Appartements besitzen ausladende Terrassen mit „View“. Bei guter Fernsicht reicht dieser über Stadt und Bucht hinaus bis zum weissen Vulkankegel des Snaefellsjökull. Der 1446 m hohe Vulkan markiert das Ende der langgezogenen Halbinsel Snaefellsness. Nebenbei: Der Zwei- oder Dreitagestrip dorthin lohnt sich unbedingt, da er die ganze Pracht Islands ‚en miniature‘ offenbart – im Grossformat. Je nach Wetterverhältnissen sind die Strassen und Pisten im Winter problemlos befahrbar und im nächsten Moment machen sie der wütende Wind oder ein Islandtief unpassierbar.
Von manchen Zimmern des „101 hotel“ hat man ebenfalls eine gute Aussicht. Früher war das Designhotel, das sich nach der Postleitzahl des Stadtzentrums nennt, Gewerkschaftssitz, heute ist es Treffpunkt der Reichen und Schönen und zählt laut Condé Nast Traveller zu den 50 coolsten, neuen Hotels der Welt. Konsequent hat es die Besitzerin Ingibjörg S. Palmadottir in Schwarz und Weiss gestylt, ein Farbkonzept, das auch in anderen Reykjaviker Hotels, zum Beispiel dem Borg oder Thingholt, ins Auge fällt.
Besonders cool ist die Bar des „101“. „Hier wurden die Bankendeals ausgehandelt und nahm die Finanzkrise ihren Ausgang“, sagt Steinthor Kari Karason. Der Architekt hat sein Büro in der Nähe und geht hin und wieder auf eine Hummersuppe oder einen Drink in die Bar. Die Banker sind heute nicht mehr da, sondern „längst in ihren Lofts in New York.“ Wer ansonsten nasse Füsse bekommt, dem hilft ein Blick in die Kleiderschränke des Hotels. Die sind standardmässig mit Socken, Mützen und anderem Nützlichen ausgestattet, gegen Bezahlung natürlich. Und das kann sich heute auch ein Gast leisten, der kein Banker ist oder war.

 

 

Info und Adressen in 101 Reykjavik
Vorwahl von Island 00354

Isländisches Fremdenverkehrsamt, D – Neu Isenburg, www.visiticeland.com
101 hotel, Hverfisgata 10, www.101hotel.is
Room with a View, Laugavegur 18, www.roomwithaview.is
Hotel Borg, Posthusstraeti 11, www.hotelborg.is
Leifur Eiriksson, Skolavörthustigur 45, www.hotelleifur.is
Thingholt, Thingholtstraeti 3-5, 101 R., www.centerhotels.com
Laekjarbrekka, Bankastraeti 2, 101 R., Tel. 551 44 30, www.laekjarbrekka.is

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