FRONTPAGE

«Rum und Regenwald statt Strand»

Von Ingrid Schindler

 

Die französische Antilleninsel Martinique setzt verstärkt auf Agrotourismus und will Touristen für ihre Terroirprodukte, kreolische Kultur und die grandiose Natur begeistern. Wie zum Beispiel für Rhum agricole und den üppig-grünen Inselnorden.

 

Martinique, Bananen, Tropenblumen und Zuckerrohr, das gehört zusammen. Die französische Karibikinsel lebt von der Agrarindustrie und exportiert Exotisches von A wie Ananas bis Z wie Zuckerrohr. Vor allem ins Mutterland Frankreich und die EU. Wo es Zuckerrohrplantagen gibt, sind Rumbrennereien nicht weit und auf Martinique und ihren Antillenschwestern Guadeloupe und Marie-Galante versteht man sich bestens darauf, das Rohr zu destillieren. Das Ergebnis ist Weltspitze, vergleichbar mit Cognac und Malt Whiskey. Der Rum wird hier nicht wie üblich aus Melasse, sondern aus frischem Zuckerrohrsaft gebrannt und reift in Eichenfässern heran. Manchmal Jahrzehnte lang.

 

Seit 1996 trägt Rhum agricole aus Martinique als einziger der Welt das Herkunftslabel AOC. Es versteht sich, dass man dem Geist des Zuckerrohrs bei der Reifung im Fass kleine Opfer bringen muss. «Zwei bis drei Prozent Alkohol verdunsten im Jahr in den Holzfässern, das ist der Tribut an die Geister», sagt Charles Larcher, Directeur Général von Rhum Clément, wo man seit 1887 Rum produziert. Je älter der Rum, desto wertvoller und desto mehr „Opfer“. Im Lauf der Zeit kommt da ganz schön was zusammen.
Auf der Habitation Clément bei Le François erfährt man viel über das Destillat. Man kann weissen und braunen, jungen, alten und sehr alten Rum nach Lust probieren, die Degustation ist im Eintritt enthalten. Der Spaziergang durch die Habitation ist ebenfalls ein Genuss, schon allein der Aufgang durch die majestätischen Alleen aus Kokos- und Königspalmen und die fächerartig gefiederten Arbres du Voyageur. Das weitläufige Gelände der Rumfabrik ist heute der grösste Privatpark Martiniques (17 ha, 300 verschiedene Baumsorten) und die gewaltige, alte Produktionsanlage ist ein grandioses Industriemuseum, das nebenbei als Kulisse für kulturelle Veranstaltungen und Filmproduktionen dient. «Der Rum wird ein paar Kilometer entfernt gebrannt», sagt Larcher, «die Fässer lagern immer noch hier».

 

«Es gibt 15 Rummarken und sieben Produzenten auf Martinique», erzählt der Manager und gibt offen zu, dass auch andere exzellente Qualität produzieren, wie JM in Bezug auf braunen und Neisson in punkto weissem Rum. Aber nirgends könne man sich so gut in das Leben der Plantagenbesitzer in der Kolonialzeit zurückversetzen als im eleganten Herrschaftshaus der Cléments. Das Gebäude wirkt so, als seien die früheren Bewohner gerade einmal für fünf Minuten ausser Haus. Einziger Wermutstropfen ist, dass man hier nicht übernachten kann.

Wer sich auf Martinique stilvoll betten will, muss in der Regel tief in die Tasche greifen. Im besten Haus der Insel, dem Cap Est, einem luxuriösen Viersternehotel in Le François, kostet die Gartensuite im günstigsten Fall 450 Euro pro Nacht, man kann aber auch für 1000 Euro zur gleichen Zeit in der Business-Suite nächtigen, Frühstücksbüffet inbegriffen. Die günstigste Saison ist Anfang April bis Ende August. Fünfsternehotels gibt es auf Martinique nicht. «Die Zeiten für teuren Tourismus im US-Format sind vorbei», meint Larcher. Der Tourismus ist dabei, sich neu zu definieren. Martinique setzt auf Ökotourismus und innovative Konzepte wie Tak-Tak.

 

Tak-Tak ist ein agrotouristisches Netzwerk

Tak-Tak ist ein agrotouristisches Netzwerk, das nachhaltigen Ökotourismus zu fairen Preisen anbietet. Rund 60 Partner hat Gründer und Geschäftsführer Patrick Duchel seit 2000 in das Réseau bis jetzt eingebunden: Gastwirte und Bauern, die günstige Privatunterkünfte auf dem Land anbieten, Fischer, Imker, Agrarproduzenten wie Charles Larcher, Blumenzüchter, Naturguides, Musiker oder Autoverleiher. Auch Museen und Gemeinden machen bei Tak-Tak mit. Der Name klingt ein bisschen kindisch und ist auch so gemeint: «Er bezeichnet einen grossen Käfer, der Tak-Tak machte, wenn Kinder mit ihm spielten. Früher. Denn er wird wegen der Insektizide und Pestizide, die auf den grossen Bananenmonokulturen eingesetzt werden, immer seltener», erklärt Duchel.

Der Ökotouristiker ist ein leidenschaftlicher Verfechter des Gegenteils: Er will die Natur schützen und die Biodiversität der schönen Blumeninsel erhalten. Duchels Ideal ist der alte kreolische Garten, wie ihn schon die Karibenindianer anlegten. «In der Mischkultur des Jardin créole gedeiht alles, was man zum Überleben braucht: Stachelgurken (Christophines), Yamswurzeln, Kochbananen, Maniok, Süsskartoffeln, Kokosnüsse, Guaven, Avocados und vieles mehr Die Basics der kreolischen Küche eben». Dazwischen wachsen Heil- und Würzkräuter, so dass sich die Pflanzen gegenseitig schützen. Giftige Spritzmittel braucht es nicht.

Auf der fruchtbaren Vulkanerde Martiniques gedeiht sowieso alles wie von selbst. «Man muss nicht düngen, nur herausreissen und jäten», sagt Tak-Tak-Partner und Biobauer Léon Tisgra, der in Fond St Denis auf 500 m Höhe auf seiner Plantage Holzhäuser im traditionellen kreolischen Stil errichtet hat und an Gäste vermietet – für 285 bis 350 Euro die Woche. Man kann die gefälligen, gut ausgestatteten Cases créoles auch tageweise mieten, inkl. Table d’Hôtes mit kreolischer Bioküche und traumhaftem Ausblick auf den Montagne Pelée und das karibische Meer.

 

Tak-Tak bietet nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern tiefere Einblicke in das Leben auf Martinique. Beispielsweise organisieren Patrick Duchel und seine Partner eine «Journée du Rhum», ob bei Neisson, JM oder Clément. Je nach Wunsch der Gäste kann es auch ein Tag im Zeichen des Kakaos sein, ein Kurs in kreolischer Küche oder Blumenkunde in einem tropischen Garten Eden, eine Initiation in altkaribische Indianerriten oder in kreolischer Musik. Auch Sportliches steht zur Wahl, wie Reiten oder Wandern à la Indiana Jones im Regenwald um den Montagne Pelée oder Canyoning in den Flüssen Martiniques. Zu den Musts gehören für Veranstalter Patrick Duchel die «Journée en mer» inkl. Schildkröten- und Delfinwhatching, Fischen und Strandpicknick sowie der «Vulkantag» in Saint Pierre.

 

Am 8. Mai 1902 wurde das Paris der Antillen, wie man die ehemalige, weltoffene Inselhauptstadt Saint Pierre nannte, zum Pompeji der Antillen. Die über 30‘000 Einwohner kamen in einem apokalyptischen Asche- und Gesteinsregen ums Leben, nur einer überlebte: der Gefängnisinsasse. Schon Wochen zuvor hatte sich die Katastrophe angekündigt, die freien Tiere und Vögel das Weite gesucht, die Bevölkerung jedoch zögerte zu lange. Heute befindet sich über dem Hameau du Morne des Cadets, dem Anwesen Léon Tisgras, eine Vulkanbeobachtungsstation, die Besuchern offensteht. «Durch die Ausbrüche des Mont Pelé hat man den Vulkanismus verstehen gelernt», sagt Duchel. Am «Journée Saint Pierre« besichtigt er mit seinen Gästen auch die Ruinenstadt, das heutige Saint Pierre und das neue Geowissenschaftliche Museum.
Die Aktivitäten von Tak-Tak konzentrieren sich weitgehend auf den wilderen Norden der Insel, der gebirgiger, feuchter und viel üppiger als der flachere und trockenere Süden ist. Während die schönsten Strände und damit die Zentren des Tourismus im Süden Martiniques liegen, wie Anses d’Arlets, St. Anne, Trois-Ilets oder der Palmenstrand von Les Salines, trumpft der Norden mit seinen grünen Bergen und ihrem dschungelartigem Bewuchs auf. Hier oben gibt es noch unberührten Primär-Regenwald, der unter Naturschutz steht. Tak-Tak setzt bewusst einen Kontrapunkt zum Badetourismus und lässt die Besuchern nicht nur ins türkisblaue karibische Meer, sondern in die Tiefen der Wälder, der kreolischen Seele und Kultur eintauchen. Diese Eindrücke halten meist länger vor.

 

Martinique Facts

Grösse: 1100 km2
Hauptstadt und Flughafen: Fort-de-France
Höchster Punkt: Montagne Pelée 1397 m
Durchschnittliche Tagestemperatur: 27° C
Einwohner: 400‘000
Währung: Euro
Nationalität: französisch, DOM (Departement d’Oure-Mer)
Zeitunterschied zur MEZ: minus 5 Stunden
Besucher: ca. 500‘000 im Jahr (2006 und 2007)
Herkunft der Besucher: über 80 % aus Europa, davon 76 % allein aus Frankreich
Gästebetten: 15‘300
Hotelstruktur: 5 Sterne 0, 4 Sterne 3, 3 Sterne 29, 2 Sterne 27, Gites ruraux 441

Anreise: Direkt ab Paris mit Air Caraibe, Corsair Fly, Air France in ca. 8 Stunden
Organisierte Reisen mit Tak-Tak: 7 bzw. 10 Tage inkl. ÜN , Essen, Guides, täglicher Exkursionen und Besichtigungen, Transport für ca. 960 bzw. 1180 Euro pro Person von April-Juni und Sept.-Nov., kleine Gruppen von 10-14 Personen, individuelles Programm.

Auskunft: Patrick Duchel, Réseau Tak-Tak, , Tel. 0596 69 13 69, www.taktak-martinique.com. Agritouristische Unterkünfte siehe ebenfalls Tak-Tak und www.martiniquetourisme.com, Léon Tisgra (Hameau du Morne des Cadets), www.tonton-leon.com.
Hotel: Cap Est, www.capest.com.
Rhum agricole: Habitation Clément, www.rhum-clement.com. Rum von Clément wird in der Schweiz über Charles Hofer SA in Wangen bei Olten vertrieben, Rum von JM über Rhumhouse in Winterthur. Man findet Clément Rum u.a. bei Martel in St. Gallen.

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