FRONTPAGE

«Körper»

Von Hedi Wyss

Körper, befremdend realistisch, schimmernde Haut schattiert mit fleischigen Schatten, Berlinde De Bruyckeres (*1964) aus Wachs geformte und bemalte Plastiken faszinieren gegenwärtig in einer Ausstellung im Kunstmuseum Bern.

Ohne Kopf der menschliche Körper, das Paar, der geschundene Leib. Die Ausstellung in Bern wird ergänzt durch Werke von Pasolini, von Lucas Cranach. Eine grosse Skulptur  – zwei Körper auf einem weichen Bett, liegen unter Hodlers grossem Bild, die «Nacht». Die Assoziationen Leiden, Leiblichkeit, Tod werden wach. Und doch ist da Lebendigkeit stark. Berlinde De Bruyckere bildet mit absoluter Virtuosität die Oberfläche lebendiger Körper in einer Genauigkeit nach, die wieder auch Schönheit zeigt. Die Fragilität eines Fussgelenks, mit den genau beobachteten Farbstufungen der Haut, von rosa bis blaugrau, die Formung der Zehen, von bestechender Natürlichkeit, und doch wieder gebrochen dadurch, dass die Künstlerin die Spuren an den Rändern, die bei dem Wachsguss entstanden sind, teilweise erhalten hat.

 

Wenn man in dieser Ausstellung vielleicht an Günter Hagens «Körperwelten» denkt, so ist das nicht unberechtigt, doch zeigt sich gleich, dass das absolut nichts miteinander zu tun hat. Denn Berlinde De Bruyckeres Skulpturen sind in ihren Gebärden so andeutungsreich, so schwebend zwischen Symbol und Realismus, dass sie mehr wecken als Erstaunen oder einen sanften Schrecken wie Hagens präparierte Leichen. Und wie der auf einer hohen Säule arrangierte schon fast abstrahierte «Schmerzensmann», so liegt da auch der gehäutete Hirsch, dramatisch und von einer traurigen Eleganz wie die menschlichen Leichen. «My deer» nennt sie ihn – mein Hirsch, mein Lieber tönt in diesem Wort an.

Und da ist auch, im Kunsthaus Zürich das Pferd, hingelegt, ein Körper nicht tot, nicht lebend, ohne Gliedmassen. Leiber menschliche und nicht menschliche.

«We are flesh», in einem Interview sagt De Bruyckere dies: «Wir alle sind Fleisch, Mensch und Tier. Dasselbe Fleisch, dieselben Muskeln Sehnen, Häute.» Verwandte?

 

Wir sind ja Säugetiere, gehören zu den Menschenaffen. Und einen Zoologen hörte ich kürzlich sagen, dass die Unterscheidung Tier Mensch, die scharfe Trennlinie zwischen diesen beiden, eigentlich logisch falsch sei. Wir Menschen wären eine Art unter vielen andern. Der sogenannte «homo sapiens» sei genetisch mit den Schimpansen viel näher verwandt als etwa die andern Menschenaffen untereinander. Ach ja. Schockierend, oder erhellend, oder zum Nachdenken anregend?

 

Interessant, dass gleichzeitig auch in Bern die wunderbare Installation «Die Subjektivierung der Wiederholung» von Yves Netzhammer ausgestellt ist.  Eine ganz andere Welt ist das, und doch finden sich auch hier wie in fast allen bewegten Computervideos in Netzhammers Installationen Allusionen an Menschliches-Tierliches-Kreatürliches, das sich ineinander verwandelt sich begegnet, sich auseinander entwickelt, miteinander verschmelzt.

 

Die Kunst zeigt, was heute in der Geistesgeschichte seit etlichen Jahren festzustellen ist. Dank umfassender Forschungen über Verhalten von Tieren, über Bewusstsein,  Denkleistungen, die, wie man früher glaubte den Menschen vorbehalten sind, nehmen wir die Welt der nichtmenschlichen  Lebewesen differenzierter wahr. Und immer wieder entdecken Wissenschaftler überraschende Fähigkeiten bei verschiedensten Lebewesen, die der Mensch nicht besitzt. Tragik oder Ironie,  dass dies in einer Zeit geschieht, da die sich explosionsartig vermehrende Spezies Mensch allen andern Mitbewohnern der Erde in rasendem Tempo den Lebensraum zerstört.

 

Grosse Kunst hat die Sensoren dafür und die Mittel, dieses Drama darzustellen.

 

Kunstmuseum Bern, bis 12. Februar 2012. www.kunstmuseumbern.ch

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