FRONTPAGE

«Theater Neumarkt: Von Liebe, Lust und Lügen»

Von Rolf Breiner

 

Peter Kastenmüller startet in seine zweite Saison am Theater Neumarkt Zürich. Der Regisseur setzt auf innovative Arbeit und Themenschwerpunkte als Plattformen. Nach «OH MARKT / NO MARKT» beginnt die nächste Ausgabe mit der Thematik «LÜGEN» am 26. September. Das Festival NO MARKT dauert vom 4. bis 7. September. Ein Gespräch mit dem Theaterdirektor Peter Kastenmüller.

Sein Arbeitsraum befindet sich unter dem Dach mit Blick auf Zürich, auf das Niederdorf, ein, zwei Stockwerke über dem eigentlichen Theatergeschehen. Aufgeräumt, entspannt und tatendurstig, erwartete uns der gebürtige Münchner zum Gespräch. Theaterleiter Peter Kastenmüller (44) hat vor einem Jahr ein Konzept initiiert, das für Zürich gewöhnungsbedürftig ist. Der Publikumszuspruch hielt sich bisher im Rahmen, genaue Zahlen wurden noch nicht publiziert. Gleichwohl sind wieder drei Plattformen angesagt: «Lügen» (26. September bis 31. Dezember 2014, «Alpenwut» (ab Januar 2015) und «Draussen» (ab April 2015).

 

 

Sie haben seit über 15 Jahren an verschiedenen Theatern quer durch Deutschland gearbeitet und vor einem Jahr in Zürich geankert. Werden Sie hier nun sesshaft?
Peter Kastenmüller: Ja, das könnte man schon so sagen. Das Tolle an diesem Beruf – als junger Mensch – ist das Fahren und Unterwegs sein. Wenn man älter wird, kommen andere Faktoren hinzu, es wird mit Familie schwieriger, das Unterwegssein zu organisieren. Dann verstärkt sich auch die Sehnsucht nach einer nachhaltigeren und konzentrierteren Arbeit. Das ist für mich jetzt eingetreten.

 

Wie lange dauert Ihr Vertrag mit dem Theater Neumarkt?
Vier Jahre.

 

Sie haben als Leiter zusammen mit Ihrem Co-Partner Ralf Fiedler mehrere Funktionen, einmal im administrativen, zum andern im künstlerischen Bereich. Ein Jahr in Zürich liegt hinter Ihnen. Sind Eingewöhnungs- und Formungsphase sowie Teambildung nun abgeschlossen?
Nein, das ist ein fortwährender Prozess. Man ist erst fertig, wenn man seine Arbeit gemacht hat, wenn der letzte Spieltag vorbei ist. Das erste Jahr ist entscheidend, weil man Strukturen aufbaut, die auch Jahre wirken sollen. Das ist bereits geschehen. Man muss schnell sein und im ersten Jahr viel wagen, um im zweiten Jahr sicherer zu sein. Man hat ja auch erste Erfahrungswerte, ein besseres Bild, aber abgeschlossen ist dieser Prozess nie, es kommen immer neue, spannende Phasen.

 

Haben Sie viele Altlasten vorgefunden, die Sie eventuell beeinträchtigt oder eingeschränkt haben?
Das Haus ist uns von einer erfolgreichen Direktion in einem sehr guten Zustand übergeben worden. Da wir mit einem völlig anderen Konzept angetreten sind, mussten wir aber sowieso alles neu überdenken und an unsere Bedingungen anpassen.

 

Wem sind Sie verantwortlich?
Dem Verwaltungsrat, mein Ansprechpartner ist der Vorsitzende Thomas Busin.

 

Wie hoch ist Ihre Budget?
Rund 5 Millionen Franken.

 

Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Wir haben alle künstlerischen Vorhaben umgesetzt und eine Organisationsform ausgetestet, wir produzieren nach Plattformen mit thematischen Blöcken. Das ist neu und innovativ für Theater – das haben wir in die Gänge gebracht. Unsere künstlerischen Ziele haben wir erreicht. Aber es gibt noch viel zu tun. Man muss sich ständig überprüfen und weiterentwickeln.

 

Und wie ist das beim Publikum angekommen?
Es braucht Gewöhnung. Das ist ein knallhartes Tagesgeschäft und Zürich ist ein extrem hartes Pflaster. Wir müssen um das Publikum kämpfen, müssen uns bekannt machen. Das findet bei einem Teil des Publikums ein positives Echo, andere wünschen sich alte Zeiten wieder. Wir konnten neues, auch jüngeres Publikums ins Neumarkt bringen, die Struktur hat sich verändert. Wir sind dabei, unseren Platz zu finden, aber diese Herausforderung nehmen wir gerne an.

 

Wo positionieren Sie Ihr Theater Neumarkt?
Wir können selber produzieren, können Künstler einladen und Produktionen thematisch an uns binden. Das Theater an der Gessnerallee arbeitet und organisiert sich anders. Im Vergleich zum grösseren Schauspielhaus beispielsweise, die ein breites Publikum bedienen müssen, können wir flexibler sein und mit unseren Inhalten spezieller umgehen. Wir möchten das etwas andere Stadttheater von Zürich sein.

 

Wo sehen Sie Ihren Fokus, was möchten Sie bewirken?
Wir verstehen uns als Ort der Konzentration, wir liefern live, eben einmalige Momente, setzen auf Begegnung. Wir sind klein und unmittelbar, haben gleichzeitig ein hohes Niveau und sind nahe an den Leuten dran, allein schon durch die Grösse. Wir behandeln Themen und versuchen, diese mit unterschiedlichen künstlerischen Handschriften zu bebildern und zu zeigen.

 

Mir ist aufgefallen, dass nicht nur im Kino, sondern auch im Theater gern Prosatexte dramaturgisch bearbeitet werden. Richard Dindo hat Max Frischs «Homo Faber» neu verfilmt. Sie haben Michel Houellebecqs Roman «Karte und Gebiet» inszeniert. Das Stück wird wiederaufgenommen. «Der Mensch erscheint im Holozän» von Max Frisch wird von Martin Butzke dargeboten. Sie selber arbeiten an einer Theateradaption des Romans «Jakobs Ross» der Schweizerin Silvia Tschui, der erst im Februar 2014 erschienen ist. Ist das eine Vorliebe von Ihnen?
Das stimmt so nicht ganz. Stücke sind sehr wichtig für uns, wir sind an Dramatik interessiert. Aber bei einer Romanadaption kann man eine Erzählperspektive einnehmen und den Gegebenheiten anpassen. Zum Beispiel sind wir mit einem jungen, kleinen Ensemble eingeschränkter und müssen dafür geeigneten Stoffe suchen.

 

Ihr nächstes grossen Thema heisst «Lügen». Was erwartet uns?
Wir beginnen am 26. September mit einem Teil der Komödie «Ein Teil der Gans im Haus der Lügen» in einer Neubearbeitung des Autoren Martin Heckmanns. Weiter geht es mit der Premiere von «Leben Lügen Sterben» am 4. Oktober. Mit dabei sind bei diesem Projekt von Uta Plate neben Lügenprofis auch 12 Zürcherinnen und Zürcher. Ausserdem führen wir mit Shakespeares «Macbeth» einen Klassiker auf – ab 15. November – ein grosses Thema über Lüge und Wahrheit und das Aushandeln der Grenzen von Lüge und Wahrheit. Dazu kommen viele weitere Veranstaltungen, von Chorgasse-Produktionen über Vorträge bis zu Stadtspaziergänge und Kindertheater. Uns interessiert der subjektive ungerechte Blick der Künstler auf die Welt. Wir sind keine moralische Instanz. Wir freuen uns, mit «LÜGEN» ein nachvollziehbares, theatralisch darstellbares Thema gefunden zu haben.

 

Wie schätzen Sie Ihre Arbeit am Neumarkt ein?
Dieses Theater ist einmalig. Wir sind das schnellste Theater in Zürich und können sehr vieles machen, auch auf Aktualitäten reagieren.

 

Man könnte meinen, das Theater Neumarkt kann sich frei bewegen und lebt mit Ungewissheiten, sozusagen von der Hand in den Mund, diese Freiheit birgt auch Gefahren…
Durchaus, wir kochen jeden Abend, wollen unsere Speisen verkaufen und müssen sehen, wer kommt. Das ist nicht einfach in einer Stadt, in der hervorragende Leute Hochwertiges produzieren.

 

Was würde Sie denn noch reizen, eine Inszenierung des Welttheaters in Einsiedeln, eine Berufung nach Salzburg oder Wien…?
Mein Bedarf an grossen etablierten Häusern ist momentan gedeckt. Ich habe hier eine traumhafte Konstellation – mit eigenem Ensemble, kann Dinge machen, die ich will. Das gefällt mir.

 

 

Theater Neumarkt

Direktor Peter Kastenmüller
Stellvertretender Direktor, Leitung Dramaturgie: Ralf Fiedler

Wiederaufnahme:
«No Markt» Festival 4. bis 7. September
Plattform «Lügen»
«Ein Teil der Gans im Haus der Lüge», Regie: Simone Blattner, ab 26. September
Hottinger Literaturgespräche mit Thomas Hürlimann am 29. September
«Der Mensch erscheint im Holozän» von Max Frisch am 2. Oktober
«Leben Lügen Sterben», Regie: Uta Plate am 4. Oktober

www.theaterneumarkt.ch
tickets@theaterneumarkt.ch

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