FRONTPAGE

«LWL – Museum für Kunst und Kultur Münster»

Von Rolf Breiner

 

Münster ist die Metropole des Münsterlands mit über 300 000 Einwohnern, gut 50 Kilometer östlich von Dortmund. Bischofs- und Verwaltungssitz, Unistadt mit rund 55 000 Studenten und Studentinnen und somit eine der grössten Universitäten Deutschlands. Seit September 2014 besitzt die Stadt mit dem LWL-Museum für Kunst und Kultur eine markante Attraktion mehr.

Man kennt den Prinzipalmarkt (nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg penibel nach alten Stadtbildern wiederaufgebaut), den St.-Paulus-Dom (Bischofssitz) oder die Lambertikirche (mit den Käfigen der Wiedertäufer). «Nordisches Rom» wurde Münster einst geadelt. Ein pfiffiges Bonmot über Münster besagt: «Entweder es regnet oder die Glocken läuten – und wenn beides zusammenfällt, dann ist Sonntag». Einen weiteren Bekanntheitsgrad erhält die münsterländische Metropole durch die Fernsehkrimis «Wilsberg» (seit 1995)) mit dem notorisch geldschwachen Buchantiquar und Privatdetektiv Georg Wilsberg (Leonard Lansing) und seinem beamteten Adlatus Ekkehard Talkötter (Oliver Korittke). Und natürlich durch die Münsteraner «Tatort»-Täter, mit dem grummeligen St.-Pauli-Fan und Kriminalhauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und dem snobistischen Rechtsmediziner Professor Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers). Das kurrlige Gespann (seit 2002) steht immer noch an der Spitze der beliebtesten «Tatort»- Ermittler und erzielte im September 2014 mit 13,13 Millionen die Zuschauerhöchstnote in Deutschland. Auch wenn nur etwa ein Drittel der Folgen in Münster selbst gedreht wird, vor allem Aussenaufnahmen, haben diese Serien viel zum guten Image der Stadt beigetragen.

 

 

Aus Alt mach Neu
Abgesehen von den rebellischen Wiedertäufern, denen Friedrich Dürrenmatt ein Drama gewidmet hat, den mittelalterlichen Kirchenbauten und bekannten Ermittlern in Fernsehdiensten, wartet Münster seit letztem Herbst mit einem kolossalen Kunstwerk auf, das Kunst und Kultur beherbergt.
Der Museumsneubau, getragen vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), beanspruchte elf Jahre Planung und fünf Jahre Bauzeit (Kosten: 48 Millionen Euro). Federführend war der Heidelberger Architekt Volker Staab, der in Berlin lebt, arbeitet und in Stuttgart lehrt. Der jüngere Altbau, just mal 37 Jahre alt, musste aus verschiedenen Gründen (permanent hohe Reparaturkosten, schwache Dämmung und Energetik etc.) weichen. Der wahre Altbau von 1908 wurde geschickt integriert und verbunden. Der Gesamtkomplex wirbt mit Offenheit. Der einladende Eingang über eine breite Treppenanlage führt in einen weiten Innenhof mit Café/Restaurant, Shop, grossem Foyer und Kassen. Der Innenhof öffnet sich 14 Meter hoch bis zur gläsernen Decke, wirkt licht und offen wie auch die grosszügigen Treppenaufgängen zu den verschiedenen Stockwerken. Der frühere Haupteingang wird nun zum aparten Nebeneingang mit Blick auf den Domplatz, auf den man auch in oberen Stockwerken immer wieder phantastische Ausblicke hat. Die Vergänglichkeit beziehungsweise Zeugen in Form von Skulpturen, Altären, Gemälden und mehr hat man ebenso vor Augen, wie man dem Himmel so augenfällig nah ist!
Der Neubau im Herzen von Münster bietet also facettenreiche Perspektiven vom fast majestätischen Hauptportal zur Rothenburg bis zum Spitz oder Bug auf anderen Seite zum Domplatz. Beide Eingänge werden von Schaufenstern flankiert. Die Sandsteinverkleidung – typische Münsterländer Materialen also – wirkt elegant und erhaben. Museumsdirektor Hermann Arnhold freut sich, dass die Museumseinladung zum Flanieren funktioniert – auch ohne Eintrittsticket. Das kostet übrigens für Erwachsene 8 Euro, für Familien 17 Euro.

 

 

Blick in die Vergangenheit und zum Himmel
Gezeigt werden auf einer Ausstellungsfläche von 11 5000 Quadratmeter (entspricht der anderthalbfachen Grösse des Fussballfelds im Stade de Suisse) satte 1300 Exponate (aus der Museumssammlung mit über 350 000 Objekten). Welche Vorzüge stellt der Museumsdirektor heraus? «Unsere Marke ist unsere Vielfalt», unterstreicht Hermann Arnhold. «Das ist für sich gesehen noch kein Programm, das wäre wie gemischter Salat. Wir haben Kunst vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart, Spitzenausprägungen in der Kunst des Mittelalters, im 17. Jahrhundert in der Malerei und in der Klassischen Moderne.»

Die Sammlung ist klar gegliedert – chronologisch vom ersten Obergeschoss (Mittelalter, Renaissance, Barock) zum zweiten (Moderne). Im Lichthof des Altbaus findet sich das Skulptur-Projekt-Archiv. In insgesamt 51 Räumen präsentieren sich Beispiele des Christentums, der Geschichte, der Lebensart, der Malerei, der Kunst.
Als kleine Orientierung quer durch zehn Jahrhunderte möchte ich zehn Beispiele aus der permanenten Ausstellung skizzieren, die es mir besonders angetan haben, die Aufmerksamkeit wecken und ihre Geschichte haben.
Das Bockhorster Triumphkreuz, ein Kruzifix aus Eichenholz, entstanden um 1200. Es zieht einen gleich zu Beginn im ersten (blauen) Raum magisch an. Der sterbende Jesus mit Krone, nicht aus Dornen, sondern aus Paletten. Triumph über den Tod. An den vier Enden des Kreuzes finden sich die Symbole der Heilsgeschichte: Engel (Matthäus), Stier (Lukas), Löwe (Lukas) und Adler (Johannes). Die Medaillons stehen auch für Menschwerdung, Opfertod, Auferstehung und Himmelfahrt. Um 1200 beginnt man, Christus nicht mehr als erhabenen Jüngling, sondern als leidenden Mensch darzustellen.
Meister von Schöppingen, Altaraufsatz von 1450-1475. Die ungemein belebte und bevölkerte Passions- und Heiligenszenen aus der Pfarrkirche in Haltern (Niederrhein) gelangten in den Kölner Dom. 1959 erwarb das Landesmuseum die Rentable. Zentrales Thema ist der starke Auflauf auf dem Kalvarienberg (hebräisch Golgatha) mit rund 50 Personen. Interessant, die Aussenseiter der Flügel zeigen Szenen aus dem Leben Johannes‘ des Täufers. Der Meister von Schöppingen ist wohl der erste westfälische Malter, der sich im 15. Jahrhundert an niederländischer Tafelmalerei orientiert.
Muttergottes um 1520, Öl auf Holz. Das Tafelbild des Niederländers Jan Gossaert hält sehr körperlich und detailliert im Stofflichen einen innigen Moment zwischen Mutter und Jesuskind fest, das nackt und drall am Busen hängt. Gossaerts Madonnenbilder dienten der privaten Andacht und waren begehrt. Ein Werk, von Flandern beeinflusst, im Zeichen der Renaissance.
Adam und Eva, 1525 von Lucas Cranach d. Ä., Öl auf Eichenholz. Cranachs Werkstatt in Nürnberg produzierte das berühmte Paar vor nordischem (deutschen) Hintergrund mit Hirsch häufiger. Bis zu 50 Ausführungen lassen sich nachweisen Das Bild im Landesmuseum stammt vom Meister selber. Er idealisiert das Liebespaar nicht, es wird natürlich, wenn auch mit entsprechenden Zweig dargestellt. Die Schlange schlängelt sich vom Baum, während das Paar einander zärtlich zugetan ist.
Die drei Grazien als Verkörperung der Jahreszeiten, um 1600, Öl auf Leinwand, von Dirck de Quade van Ravesteyn. Eine dralle barocke Inszenierung der heiteren drei Grazien, die für die Jahreszeiten Frühling, Sommer und Herbst stehen, sich tänzelnd umfangen, umrahmt von drei lustbaren Putten. Der Niederländer Van Ravesteyn arbeitete am Hof Rudolfs II. in Prag. Das Werk kann auch als Huldigung an den habsburgischen Kaiser verstanden werden, an Wohlstand, Blüte in Handel, Kunst und an Lebenslust.
Paradies, 1912, Tempera und Öl auf Verputz, von Franz Marc und August Macke. Das gemeinsam von Marc und Macke geschaffene Fresko ist eines der wenige Wandbilder des Expressionismus. Keine klassische Darstellung freilich. Es entstand im Oktober 1912 in Mackes Bonner Atelier. Es wurde 1980 von der Wand abgelöst und nach Münster gebracht. Gemäss Experten wurde die Gesamtkomposition wohl von Macke entworfen, aber von Marc vollendet.
Bildnis Frau Dr. Plietzsch, 1921, Öl auf Leinwand, von Max Pechstein. Im Fokus steht die Ehefrau von Eduard Plietzsch, einem Kunsthistoriker und -sammler, der sich für die Werke junger Expressionisten einsetzte. Interessant sind bei diesem melancholischen Porträt die Insignien für Pechsteins Vorliebe für die Südsee (Maske, Hütte). Seine Reise in die Südsee hat ihn geprägt, doch der Erste Weltkrieg verhinderte weitere Reisen. Es blieben Illusionen, letztlich das Ende der Sehnsucht und der Untergang.
Der Hörende, 1930, Öl und Wasserfarben auf Leinwand, von Paul Klee. Klee lehrte ab 1920 am Bauhaus und unterrichtete u.a. Gestaltungslehre. In dieser Zeit befasste er sich intensive mit dem Gesicht, mit Augen und Ohren. Sein Leinwandbild basiert auf Zeichnungen, verknüpft Hören und Sehen in Verbindung zur Musik.
Vogelfutterbüste, 1969, Gegossene Schokolade, Sperrholz, von Dieter Roth. Der Schweizer Künstler arbeitet oft seriell, auch diese Büste gibt es in mehreren Ausführungen. Das ironische Selbstporträt entstand offenbar als Reaktion auf James Joyces Roman «Portrait Of The Artist As A Young Man». Ein Schildchen bringt es auf den Punkt: P.O.TH.A.A.VFB – was so viel heisst wie «Portrait Of The Artist As Vogelfutterbüste».
Peace of Münster, Betonsteine von Carl Andre. Ein Meer aus weissen Quadern: Der Minimal-Art-Künstler Andre will mit seiner steinernen musterhaften Anordnung ein abstrahiertes und zeitloses Sinnbild der Zerstörung, einen Einschnitt in Raum und Zeit installieren – und belebt damit den Lichthof zum Altbau. Das acht auf acht Meter grosse Feld wirkt ruhig, gleichmässig und reliefartig – mahnend und zeitlos.
Dass das LWL-Museum auch ein Herz für Kinder hat, zeigt es mit der Ausstellung «Sag, was ist das für ein Tier: Grüffelo & Co.» (bis 9. August 2015). Basierend auf dem Erfolgskinderbuch von Axel Scheffler (Illustrationen) und Julia Donaldson (Texte), werden Originalzeichnungen, Entwürfe und verwandte Bücher gezeigt. Dazu gehören auch Werke der Künstler wie Tomi Ungerer oder Maurice Sendak. Im Grüffelo-Buch ist der Held eine kleine Maus, die ihren Feinden Angst macht, indem sie den furchterregenden Freund Grüffelo erfindet. Und wie es sich gehört, wird hier nicht nur gelesen, geschaut, sondern auch gemalt oder gebastelt. Die Kinder sind begeistert.
Weitere Informationen
www.lwl-museum-kunst-kultur.de

 

 
Ausstellungen: Otto Piene, Licht (13. Juni bis 20. September 2015),
Wilhelm Morgner und die Moderne. Van Gogh, Gauguin und der Blaue Reiter (14. November bis 6. März 2016.
«Einblicke – Ausblicke. 100 Spitzenwerke im neuen LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster», Grossband, Wienand Verlag, Köln 2014

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