FRONTPAGE

«Etel Adnan, Latifa Echakhch, Peter Hächler im Museum Haus Konstruktiv»

Von Ingrid Isermann

 

Eins, Zwei, Drei… Als erste Schweizer Institution präsentiert das Museum Haus Konstruktiv eine Einzelausstellung der 1925 in Beirut geborenen Künstlerin Etel Adnan, die zu den grossen Entdeckungen der dOCUMENTA (13) zählt. Adnan hat mit ihren kleinformatigen Malereien, Tapisserien, Faltbüchern und Super-8-Filmen die Kunstwelt erobert. Bekannt wurde sie zunächst jedoch als Schriftstellerin, Dichterin und Kulturredakteurin. Zurich Art Prize 2015 für Latifa Echakhch. Bildhauer Peter Hächler mit Metamorphosen.

 

 

Adnans Malerei kennt keine Hierarchie zwischen Primär- und Mischfarben; ihr Kolorit ist reich und leuchtend. Die mit einem Spachtel aufgetragene Farbe fügt sich in klar konturierten Flächen zu beinahe architektonisch anmutenden Bildordnungen, die denen von Nicolas de Staël (1914–1955) formal verwandt sind.

Zu ihrer Vorgehensweise erklärte die Künstlerin in einem in der Ausstellung zu sehenden interessanten Video-Gespräch mit Sabine Schaschl: «Wenn ich eine Farbe auftrage, dann hat diese Farbe ihre eigene Intensität, doch sie hat auch eine Form. Sie muss eine Form haben. Man kommt nicht darum herum. Und das bedingt den nächsten Schritt. (…) Es geht darum, stets ein neues Gleichgewicht zwischen Farbe und Bedeutung herzustellen.»

 

Etel Adnans Bilder entstehen in einem Malvorgang, ohne Unterbrechung und ohne nachträgliche Korrekturen. Das kleine Format ihrer Gemälde vergleicht die Künstlerin mit dem Schreiben von Gedichten: «Gedichte sind klein und kompakt. Und meine Leinwandbilder sind genauso. (…) Im Grunde genommen sind sie visuelle Gedichte». In ihren Faltbüchern, die Etel Adnan seit 1964 entwickelt, greifen Zeichnung, Dichtung und der Prozess des Schreibens selbst unmittelbar ineinander. Zusammengefaltet, sind diese Leporellos kleine, intime Bücher, in voller Länge ausgefaltet, werden sie zu Raumobjekten. Eigens für die Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv entwarf die 91-jährige Künstlerin einen „Matterhorn-Leporello“, eine kleine  Hommage an die Schweiz.

Zu ihren wichtigsten Publikationen zählen der Roman «Sitt Marie Rose» (1977), für den sie den «Prix de l’amitié franco-arabe» erhielt, der Gedichtband «Arabische Apokalypse» (1980) und das Künstlerbuch «Reise zum Mount Tamalpais» (1986). Ihre ersten Malereien entstanden Ende der 1950er Jahre in den USA, wo sie nach ihrem Philosophie-Studium (an der Sorbonne, in Berkeley und in Harvard) als Dozentin tätig war.

 

 

 

Etel Adnan

Gespräche mit meiner Seele

 

Liebe Seele, wir leben

    eine kurze Zeit,

sind tot für eine Unendlichkeit

   an Zeit

Wäre Unsterblichkeit

   einfach das Überleben der

      Erinnerung?   So oft stirbt Erinnerung

           vor ihrem Besitzer

Liebe Seele, du sagst mir nicht

    was oder wer ich bin,

           bin ich, weil ich gewesen bin?

 

 

Auszug aus dem schönen Katalog zur Ausstellung «La joie de vivre».  

 

20. Januar 2016, 18.30 Uhr: Literarischer Abend. Im Rahmen der Ausstellung «Edel Adnan – La joie de vivre» veranstaltet das Haus Konstruktiv gemeinsam mit dem Literaturhaus Zürich einen Abend im Museum Haus Konstruktiv.

 

27. Januar, 18.30 Uhr: Vortrag. «Edel Adnan: Zwischen-Welten» von Daniel Kurjakovic, Kunsthistoriker/Kurator, Paris.

www.hauskonstruktiv.ch

 

 

Latifa Echakhch: «Zurich Art Prize 2015» 

Haus Konstruktiv präsentiert mit Latifa Echakhch (geb. 1974 in El Khnansa, Marokko) die diesjährige Gewinnerin des «Zurich Art Prize». Die in enger Zusammenarbeit mit Zurich Insurance Group etablierte Auszeichnung wird 2015 zum achten Mal verliehen. Die Preissumme von CHF 80’000 fliesst in eine speziell für das Museum Haus Konstruktiv konzipierte Einzelausstellung.

 

Latifa Echakhch, die im Alter von drei Jahren nach Frankreich kam und heute in Martigny in der Schweiz lebt, hat die internationale Kunstwelt unter anderem mit ihrer Arbeit «Fantasia» an der Biennale von Venedig 2011 auf sich aufmerksam gemacht. 
Querstehende weisse Fahnenstangen ohne Fahnen bewachten den Eingang zur Biennale. Charakteristisch für ihre Werke ist der Einsatz einfacher, aber stets eindrücklicher Gesten und Materialien. Konzentriert und zielgenau richtet die Künstlerin ihr Augenmerk auf Fragen der individuellen und kulturellen Identität, auf persönliche und kollektive Geschichten und auf soziopolitische Veränderungen, die unsere Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellen.

Unter dem Eindruck der aktuellen Flüchtlingswelle präsentierte sie auf der diesjährigen 14. Istanbul Biennale zwei Videofilme, die das Meer als Hoffnungsträger thematisieren. Auch für die Konzeption ihrer Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv spielten die Bilder der Flüchtlingsdramen eine zentrale Rolle: Eine Reihe von Paravents sind mit in Tinte getauchten Kleidungsstücken behangen. Die menschenleeren Hüllen erinnern an nasse, auf der Flucht verloren gegangene Kleidung. Auf den Paravents hinterlassen sie dünne Rinnsale aus dunkler Farbe.

Fliessende Tintenspuren tauchten bereits in Echakhchs Arbeit «À chaque stencil une révolution» (2007) auf, deren Titel auf ein Zitat Jassir Arafats über die revolutionär bewegten späten 1960er Jahre zurückgeht. Blaue, an der Wand befestigte Durchschlagblätter, wie sie damals häufig zur Verbreitung politischer Aufrufe verwendet wurden, waren von Echakhch mit einer Lösung behandelt worden, die die darin enthaltene Tinte zerfliessen liess – ähnlich mancher politischen Idee, die wie Tinte verrinnt und in Vergessenheit gerät. 

Brückenschläge wie diese bestimmen die Werke Echakhchs.

In einer weiteren neuen Arbeit für die Ausstellung im Museum Haus Konstruktiv widmet sich die Künstlerin motivisch den in romanischen Volkstraditionen vorkommenden «Géants» und «Gigantes». Die bis zu sechs Meter hohen Figuren, meist Sinnbilder für König und Königin, werden bei Prozessionen und Festumzügen durch die Stadt getragen. Echakhch löst sie aus ihrem ursprünglichen Kontext und platziert sie im Raum. Ruhend werden sie zu einem Stillleben, zur «nature morte», und ihre durch die Riesengrösse symbolisierte Übermenschlichkeit wird revidiert. Echakhch erzählt an der Pressekonferenz, wie sie zu den Ausdrucksformen der Riesen kam, sie orientierte sich an den Puppengesichtern der Schweizer Künstlerin Sasha Morgenthaler (1893-1975), der jetzt auch im Kunstmuseum Thun eine Ausstellung gewidmet ist, die ihre Sasha-Puppen mit einem eher ausdruckslosen Gesicht ausstattete, das vielfältige Projektionen zulässt. Die Figuren sind weder weiss noch schwarz und sind eher einem mediterran-arabischen Raum zuzuordnen. Der Zurich Art Prize ist ein Kulturengagement von Zurich Insurance Group. www.hauskonstruktiv.ch

 

 

Bildhauer Peter Hächler – Metamorphosen

Peter Hächler (1922 – 1999 in Lenzburg) zählt zu den renommiertesten und formalästhetisch radikalsten Bildhauern der Schweiz. Sein Œuvre zeichnet sich ebenso durch ein streng geometrisches Formenvokabular wie durch intuitive, spielerische Setzungen aus. Nach über 20 Jahren widmet das Haus Konstruktiv dem Aargauer Künstler unter dem Titel «Metamorphosen» eine Einzelausstellung in einem Museum.

 

Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf seinem Lenzburger Atelier, das in das Museum überführt wurde. Modelle aus unterschiedlichen Materialien, figurative Skulpturen, Porträts, Fotografien, Zeichnungen, Skizzen und Drucke aus sämtlichen Schaffensperioden sowie Objekte, die Hächler als Inspirationsquelle dienten, erlauben einen unmittelbaren Blick in die Arbeitsprozesse des Künstlers.

Hächlers Werk zeichnet sich in besonderem Masse durch seine Materialvielfalt aus. Ab den 1970er Jahren beginnt er mit neuen, in der Industrie verwendeten Materialien zu experimentieren; es entstehen Grossplastiken aus Beton, Kunststoff, Eisenguss oder aus Chromstahl, die noch heute im öffentlichen Raum zu sehen sind. Viele dieser Arbeiten sind als architekturbezogene Kunst-am-Bau-Projekte entstanden. Auch als Präsident der GSMBA (Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten) war es Hächler ein Anliegen, Kunst und Architektur in einen nachhaltigen Dialog zu setzen. 

Peter Hächler kann zweifelsohne als ein konstruktiver Vermesser bezeichnet werden, der, ohne dogmatisch zu sein, seine exakten und normierten Grundelemente spielerisch und intuitiv variierte. Gleichzeitig blieb er stets ein Plastiker, der mit den Augen denken und als versierter Handwerker das Gesehene und Gedachte in eine unverwechselbare Form bringen konnte. An der Vernissage am 28. Oktober nahm auch die heute 88-jährige Witwe Eva Hächler teil neben einigen prominenten Gästen. Die Ausstellung ist beeindruckend mit ihrer Vielfalt der Formen und Materialien und rückt einen etwas in Vergessenheit geratenen grossen Bildhauer der Schweiz in den verdienten Fokus der Aufmerksamkeit.

 

Peter Hächler

Hg. Gabrielle Hächler und Sabine Schaschl,

Museum Haus Konstruktiv Zürich, 2015

Text Deutsch und Englisch, geb.,

96 S., 52 farbige und 35 sw-Aufnahmen

20×30 cm, CHF 49. € 48.

ISBN 978-3-85281-505-7

 

 

Veranstaltungen: www.hauskonstruktiv.ch

 

29.Oktober 2015 bis 31. Januar 2016

 

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