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«Reisetipp: Menton – Hauptstadt der Zitronen»

Von Ingrid Schindler

 

Frühling im Land, wo die Zitronen blühen: Zwischen Nizza und Ventimiglia lockt die Grenzstadt Menton mit dem mildesten Klima, üppigen exotischen Gärten und den süssesten Zitronen am Mittelmeer.

«Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn? Im dunklen Laub die Goldorangen glühn?» Dieses Land ist für alle, die sich nach Sonne und Süden sehnen, auch besonders im Frühling eine Reise wert. Menton, die Hauptstadt der Zitrone, die mal den Fürsten von Ventimiglia, mal den Grimaldis und kurzzeitig dem König von Sardinien zugeschlagen war und wie Nizza erst 1860 französisch wurde, liegt im äussersten Südosten der Côte d’Azur.

Nirgends ist das Klima im Mittelmeerraum milder, freundlicher und ausgeglichener als in der Grenzstadt mit 30’000 Einwohnern. An 323 Tagen scheint in Menton die Sonne im Jahr, selten fällt die Temperatur unter den Gefrierpunkt – 1986 gab es angeblich den letzten Frost – und der Roc Orméa schützt die Hafenstadt vor rauhen Winden aus dem Norden.

Das subtropische Mikroklima von Menton gefällt nicht nur seit Generationen gärtnernden Engländern, gekrönten Häuptern, exzentrischen Künstlern und betuchten Rentnern aus aller Herren Länder, sondern vor allem den frostempfindlichen Zitrusfrüchten, die über Südostasien und Arabien ans Mittelmeer kamen. Seit über 500 Jahren gedeihen hier unter der verlässlichen Sonne der Riviera und dem Schutz der Zitronengesetze der Grimaldis die süssesten und besten Zitronen der Welt.

Nizza, die Hochburg des grossbürgerlichen Überwinterns am Mittelmeer, ist zwar nur eine halbe Stunde entfernt und ebenfalls von der Sonne verwöhnt,
«dennoch produzieren die Citronniers dort nur halb so viele Früchte wie in Menton»“, weiss François Mazet, Zitruspflanzer in Menton. «Zitronen sind die einzigen Obstbäume, die gleichzeitig Blüten und Früchte hervorbringen und bis zu fünfmal im Jahr tragen. 130 Kilo trägt ein erwachsener Zitronenbaum pro Jahr in Menton».

 

Süsser, saurer, besser
1495 hat ein Grimaldi erstmals nachweislich die begehrten Zitronen aus Menton in die Fremde ausgeführt, nach Orléans. In der Goldenen Ära der Zitrone zwischen 1740 und 1840 exportierte man das gelbe Gut bis nach Warschau und St. Petersburg. Noch vor 100 Jahren gab es über 100’000 Zitrusbäume in Menton. Heute ist François Mazet mit knapp 350 Bäumen der bedeutendste Zitrusbauer und liefert an Ducasse, Bocuse, Troisgros, Guérard, Robuchon und andere Spitzenköche, dass es vor Sternen nur so funkelt. «90 Prozent der Ernte ist im Vorfeld ausverkauft». Fünf Euro verlangt Mazet für das Kilo, seit 13 Jahren den gleichen Preis.

 

Der ehemalige Rennfahrer aus Paris, der in den Fünfzigern der immergrünen Zitrusbäume wegen nach Menton gezogen ist, ist von der Qualität der hiesigen Zitronen überzeugt: «Sie sind grösser, enthalten vier- bis fünfmal mehr Zucker, viel Säure und Aroma, besitzen eine dickere Schale als handelsübliche Zitronen und übertreffen selbst die Zitronen von Amalfi in punkto olfaktorischer und gustatorischer Qualität». Die Menton-Varietäten der Citrus limon sind so süss, dass man sie wie eine Mandarine essen könne. «Und das Beste, sie sind besser als Bio, da die Schale bedenkenlos verzehrbar, weder gespritzt, noch mit Wachs behandelt ist».

 

Von diesen Vorzügen machen Parfümeure in Grasse und Confiserien wie Auer und Florian in Nizza reichlich Gebrauch. Letztere kandieren, konfieren und verarbeiten Zitronen, Mandarinen, Kumquats oder Bergamotten aus Menton, Nizza und, bei Engpässen, aus Korsika zu Spezialitäten aller Art. Seit neuem frischen zwei findige, reife Damen unter dem Label Tante Fine das Angebot an Zitrusprodukten um raffinierte Neuheiten, wie Würzpasten, mediterrane Salzzitronen oder Essig aus Bergamotte, Bitterorange und Zitronen von Menton, gehörig auf. Was an sauren Früchten nicht in der Parfümindustrie landet, kaufen die Damen gerne auf und setzen sich so für Kontinuität im Anbau rarer Agrumenarten ein.

 

 

Das Zitronenfest
Im Zuge des Trends zu lokalen Erzeugnissen und der Auflage des Tourismusamts, Natur und Kultur zu fördern, fällt der Zitrone von Menton eine neue Bedeutung zu. Die Stadt fördert ihren Anbau und unterstützt Köche und Kreative, Lebensmittel und Getränke auf Zitronenbasis entwickeln. Ein bisschen muss man sich bei Menton-Tourismus allerdings erst an die Wiederbelebung ihres Wahrzeichens gewöhnen. Zu lange hat man sich zitrusmässig auf Show und Gaudi eingestellt. Seit den dreissiger Jahren führt Menton das Fête du Citron jeweils zwei Wochen im Februar durch und zieht damit erfolgreich über 250’000 Besucher an. Damit steht der Event auf einer Stufe mit dem Karneval von Nizza und dem Grossen Preis von Monte Carlo.

Zum Zitronenfest erstrahlt die Stadt in Gelb-Orange. Pappmachéfiguren auf Umzugswagen und Fantasiewelten nach Disneyart – in diesem Frühjahr lautete das Motto «In 80 Tagen um die Welt» – werden mit Hilfe von 115 Tonnen spanischen Zitronen und Orangen aufgebaut, öffentliche Gärten mit Millionen importierter Zitrusfrüchte dekoriert, während die heimischen Zitronen beinahe unbemerkt aus den Gärten von Menton verschwanden. Heute hat sich die Association pour la promotion du citron de Menton APCM des feinen Früchtchens angenommen.

 

 

Gartenstadt
Früher standen Zitronen- «wie anderswo Apfelbäume» – in jedem Garten von Menton, sagt Mazet, der der APCM angehört. Heute animiert die Stadt die Gartenbesitzer, Zitrusbäume wieder anzupflanzen. Die grösste Sammlung an Agrumen in Europa, mit 130 Varietäten, haben die Fürsten von Monaco in ihrer ehemaligen Sommerresidence Palais Carnolès angelegt, wobei, offen gesagt, dieser Park der am wenigsten attraktive der Gegend ist.

 

«Ma ville est un jardin» wirbt Menton-Tourismus für die zahlreichen exzentrischen Gärten der Stadt. Vor allem die Engländer haben während der Belle Epoque, als das Überwintern an der Côte gross in Mode war, ihren Gartenfantasien freien Lauf gelassen.
Die spektalurärste Anlage zieht sich jenseits der Grenze am Kap Mortola von der oberen Felsenstrasse zwischen Menton und Ventimiglia auf 18 Hektaren bis an die Küste hinunter. Hier begann 1867 der britische Kaufmann Thomas Hanbury, durch seine Handelsbeziehungen mit China zu Reichtum gelangt, seinen Traum vom tropischen, subtropischen und mediterranen Landschaftsgarten umzusetzen. 2006 wurden die Giardini Botanici Hanbury in die Liste des UNESCO Welterbes aufgenommen.

 

 

Olivenöl und Zitronen
Passiert man auf dem Rückweg nach Menton die Grenze, kommt man am Restaurant Mirazur vorbei. Es ist das erste Haus auf französischer Seite und bietet einen wunderbaren Blick auf Menton und das Meer. Das jüngste 2-Sterne-Restaurant der Côte d’Azur thront über einem terrassierten, üppigen Hanggarten, in dem der Italo-Argentinier Mauro Colagreco, Shootingstar am Gourmethimmel über der Côte d’Azur, Zitronen für exquisite Öle pflückt, welche er mit der Huilerie Saint-Michel produziert. Die Zitronenschalen mazerieren fünf Monate lang in hochwertigem Öl aus handgepflückten, grün geernteten Oliven. Je nach Gusto aromatisiert der gefeierte Koch das Zitronenöl zusätzlich mit Ingwer, rosa Pfeffer oder Szechuanpfeffer.

Ein Octopus-Carpaccio, gedämpfter frischer Fisch, rohe Babyartischocken, Endivien oder Erdbeeren mit dem kostbarem Öl parfümiert: köstlicher kann regionale Küche kaum sein. Ausser vielleicht, wenn Guiseppina Beglia Zitronen aus Menton mit ligurischem Olivenöl, Basilikum und Pasta auf italienische Art im Balzi Rossi vereint. Das Ristorante der Grande Dame der ligurischen Küche befindet sich ebenfalls direkt an der französisch-italienischen Grenze. Allerdings auf der anderen Seite in Ventimiglia am Meer.

 

 

 

Info: www.cotedazur-tourisme.com, www.tourisme-menton.fr, www.jardins-mentons.fr, www.lecitrondementon.fr

 

Anreise: Zürich – Nizza retour, Flug mit Swiss ab ca. 440.- CHF, mit Easy Jet ab ca. 100.- CHF, Bahnfahrt mit dem TGV ca. 8 Std. Fahrt, ab ca. 180.- CHF hin und zurück, 2. Klasse, schnelle Zug- und Busverbindungen zwischen Nizza und Menton.

 

Gärten: La Citronneraie, Menton , www.lacitronneraie.fr., Zitrushain im Tropengarten Mas Flofaro von François Mazet. Palais Carnolès, Menton, grosse Sammlung von Zitrusbäumen. Val Rahmeh, dschungelartiger Tropengarten in Menton. Serre de la Madonne, Menton, Landschaftsgarten des Engländers Lawrence Johnston mit Pflanzenraritäten aus der ganzen Welt. Giardini Botanici Hanbury, www.giardinihanbury.com, UNESCO-Welterbe-Gärten in Ventimiglia.

 

Übernachten: Hotel Napoléon, Menton, 4 Sterne, komfortabel, modern, www.napoleon-menton.com, DZ ab ca. 90 Euro. Negresco, Nizza, legendäres 5 Sterne-Grandhotel, 100-jähriges Jubiläum, www.hotel-negresco-nice.com, DZ ab 270 Euro. Villa St Hubert, Nizza, 2 Sterne, einfaches, charmantes B & B in Belle-Epoque-Villa an der Tram Linie 1 (fährt für 1 Euro durch ganz Nizza), www.villasainthubert.com, DZ ab 65 Euro.

 

Essen: Balzi Rossi, Spitzenrestaurant in Ventimiglia, direkt an der Frontiera San Ludovico, www.ristorantebalzirossi.com. Escalinda: einfache Cuisine niçcoise im Herzen der Altstadt, Ravioli und Petits Farcis probieren. l’Univers, 1 Michelinstern, beliebtes Restaurant in Zentrum von Nizza, Soufflée au citron probieren, www.chroistian-plumail.com. Restaurant Mirazur, Menton, 2 Michelinsterne, www.mirazur.fr. Les Saveurs d’Eléonor, einfache Regionalküche in der Altstadt von Menton, Socca, Assiette mentonnaise und Tarte au citron probieren. Côté sud, Menton, Pizza, Salat, Fisch und Meeresfrüchte, bei Einheimischen beliebt.

 

Einkaufen: Zitrusdüfte: Fragonard und Molinard in Nizza, Zitrusdelikatessen: Maison Auer, Nizza, Florian, Nizza, Tante Fine, Nizza, Au Pays du Citron, Menton, l’Huilerie St Michel, Menton.

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