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«Gabriele von Arnim: Vom Trost der Schönheit»

Von Pia Troxler

In Gabriele von Arnims Bestseller geht es um Schönheit, ihrer tröstenden und helfenden Kraft und man versteht, was zu schön um wahr zu sein heisst oder warum Rainer Maria Rilke das Schöne als des Schrecklichen Anfang ortet.

An einer Lesung im Zürcher Kaufleuten im Januar erläuterte Gabriele von Arnim vor einem zahlreich erschienenen Publikum die Lebendigkeit der Schönheit, die in ihrem Leben eine Umkehr bewirkt hatte. Als sie ihrem Ehemann mitteilte, dass sie ihn verlassen werde, erlitt er einen Schlaganfall, der ihn lähmte, sie blieb und pflegte ihn zehn Jahre lang bis zu seinem Tod. «Wenn ich mich der Schönheit hingebe», schreibt die Autorin in ihrem Buch, «kann ich nur getröstet werden, wenn ich auch bereit bin, meine Verletzungen zu fühlen und mich als Sterbliche zu begreifen».

 

Schönheit, oft geläufig und selbstverständlich, lasse uns meist gar nicht merken, dass wir nur oberflächlich und nicht innerlich sehen würden. Doch erst wenn Schönheit couragiert wahrgenommen und gefühlt wird, beginnt sie für von Arnim lebendig zu werden. Lange habe es gedauert, bis sie Schönheit nicht nur denken, sehen und hören konnte, sondern sich auch ihrer existenziellen Dimension geöffnet habe und damit Trost in ihr fand.

Gabriele von Arnim beschreibt ihre lange, bewegende Reise von amusischer Kälte in einem reichen Familienhaus, in dem weder Musik gehört noch über Literatur geredet oder auch nur gelesen wurde, zu einer Frau, die sich den existentiellen Dimensionen von Schönheit beherzt zu öffnen wagte.

 

«Man braucht innere Freiheit und die eigene innere Zeit, um jenseits von Klischees und herkömmlichen Normen sehen zu können». Dann aber könne Schönheit wehrlos machen, die schützende Rüstung zerbrechen, Ängste aus ihrem Versteck holen, Verletzlichkeit ins Freie katapultieren. Die lebendige Schönheit ist gepaart mit Empfindsamkeit und Verletzlichkeit und erst wer sich seelisch auch versehrt fühlt, ist empfänglich für Trost. Dabei gelte es zu erspüren, was man sich wann zumuten kann und möchte. Schönheit kann die Stimmung verstärken. Man kann die grösste Wachheit erleben, die lichterlohe Sinnlichkeit oder den Absturz in die Angst, die Verlassenheit, ins Dunkle.

 

Schönheit kommt in vielen Facetten daher und findet sich im Alltagsleben genauso wie in der Kunst, Philosophie und Literatur. Es gibt schöne Seelen, schöne Klänge, Blumen, Bäume, Berge, deren Schönheit wir bewundern, Vogelgesang, der uns betört, leckeres Essen oder ein Dessert, ein Gebäude, ein Film, eine Stimme, die Zuwendung eines lieben Menschen, ein Gesicht, ein kunstvolles Schneckengehäuse und vieles, vieles mehr, in dem wir Schönes sehen, hören, lesen, wie auch riechen, schmecken oder erahnen und seine Wirkung geniessen können. «Verse, Melodien, mächtige Baumwurzeln, Sätze, Gemälde oder Alpenglühen brechen uns auf, machen uns verletzlich, empfänglich». Existentiell klingt es bei Rainer Maria Rilke in seinem aufrüttelnden Satz: «Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang.»

 

 

Lebendige Schönheit
Die lebendige Schönheit ist eine Schönheit, die weckt und bedroht, die beseelt, aber auch verwüsten kann. Sie öffnet den Weg in die Welt, wie auch zu sich selbst und lässt uns werden, wer wir sind, nicht mehr vor Schmerz und Niederlage gefeit zwar, sondern zart und dünnhäutig für die, die zu sehen gelernt hätten. Diese lebendige Schönheit «sprengt Grenzen, lässt unsere Sinneswahrnehmung explodieren, ist ein rebellischer Weckruf gegen die Norm. Schönheit will Freiheit, erlaubt Ekstase, Tumult und, ja, auch Schnitt und Wunde».

 

Das alles ist sehr weit entfernt von einer Kindheit, wo das Gesetz «bloss nichts fühlen» herrschte, wo ein Vater das Erkunden eigener Gefühle marode Kraftlosigkeit und moderne Rückgratlosigkeit nannte und Härte als Stärke verstand, oder wo das Kind sich «in die Eisgrotte der Unempfindlichkeit» wirft oder «immer vereist», wenn die Mutter sich ihm nähert. «Der Wind hat mir Geschichten erzählt und gesagt, er habe auch schon geweht, als ich ein Kind gewesen sei. Damals habe ich ihn nicht gehört».

 

Für Gabriele von Arnim bedeutet lebendige Schönheit ein beherztes Hinsehen, welches nicht flüchtet vor der Welt, um ihre dunkle Beunruhigung zu vergessen. «Trost heisst nicht, dass alles gut wird. Trost heisst am Schmerzfluss Ufer bauen, Liegeplätze, an denen man den Kahn anbinden, aussteigen und sich ausruhen kann».

 

 

Gabriele von Arnim
Der Trost der Schönheit.
Eine Suche
Rowohlt Verlag, Hamburg, 2023. 222 Seiten,
CHF 33.90.
ISBN 978-3-498-00351-7

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