FRONTPAGE

«Denken statt glauben? Der Rücktritt des Jahrhunderts»

Von Hedi Wyss

Bleich und mager sieht er aus unter der hohen mit Gold geschmückten Mitra, nachdem er etwas absolut Ungewöhnliches verkündet hat. Er tritt zurück. Ein Papst, Herrscher über eine Weltreligion, hat das seit Menschengedenken, seit Cölestin 1294 zurücktrat, nicht getan. Benedikts Vorgänger harrten aus bis zum Tod. Stellvertreter Gottes, Hüter des Glaubens, als das wollten sie gesehen werden. Unfehlbar, irgendwie göttlich, da gab es kein zurück unter die normalen Gläubigen. Entsprechend auch traten sie auf wie früher die Könige, die sich auch als von Gott ausgewählt inszenierten. Der Papst Thron ist so üppig verziert wie der eines Königs, der Petersdom ein riesiger Palast, und davor bei grossen Zeremonien die Menschenmengen, die ihn frenetisch beklatschen.

 

Da war doch mal ein einfacher Prediger in Galiläa, der nicht ahnen konnte, dass seine gesammelten Aussagen, lange nach seinem Tod zusammengesucht und entsprechend verklärt, zu so viel Macht und Glanz führen würden. Auch Mohammed, denke ich, sah zu Lebzeiten nicht voraus, dass eine Art muslimisches Weltreich entstehen, dass wundervoll geschmückte Moscheen mit riesigen Minaretten von der Macht des Islams zeugen würden. Und auch die Anhänger Buddhas, der meditierende Asket, haben im Laufe der Zeit prächtige Tempel zu seinen Ehren errichtet. All die Religionen, die es gibt in der Welt haben ihre Zeremonien, ihre Regeln und Glaubenssätze, die zu befolgen sind. Denn nur so wurde die Angst überwunden, die angesichts des Todes und all der rätselhaften Erscheinungen des Lebens und der Welt in grauer Vorzeit die Menschen bewegte. Die Geschichten, die man ersann und die Götter, die erfunden wurden, halfen, diese Angst zu besiegen. Das ewige Leben hier, die Wiedergeburt dort, Paradies und Hölle, Belohnung und Bestrafung durch die im Himmel und nach dem Tod im Jenseits, das gab den Menschen Sicherheit. Machte sie aber auch gefügig. Wer damals merkte, dass man als Priester oder Schamane für sich in Anspruch nehmen konnte, mit den überirdischen Mächten, den Geistern in Kontakt zu stehen, der erwarb sich so Macht und Vorteile. Auch in der westlichen Welt bestimmten diese geistlichen Hierarchien das Leben bis vor wenigen Jahrzehnten noch entscheidend. In der übrigen Welt sind sie noch fast überall mächtig. Kriege wurden und werden noch immer im Namen des rechten Glaubens geführt. Menschen fügen sich immer noch rigiden Regeln, die Frauen vermummt und unterdrückt in fundamentalistischen Vereinigungen, afrikanische Christen, die dem Papst gehorchend Präservative meiden, mit Aids angesteckt.

 

Der zurücktretende Papst sei, so lese ich, eine Kapazität und Experte in Glaubenssachen. Aber gleichzeitig auch ein belesener Intellektueller. Wie geht das, frage ich mich, denn zusammen? Was war denn sein Motiv, auf diesem absoluten Glauben zu beharren, solch seltsame Geschichten wie die von einer jungfräulicher Geburt, als absolut real darzustellen. Auch Theologieprofessoren durften sie und andere Wundergeschichten nicht als nur «symbolisch» verstehen und deuten. Eugen Drewerman verlor unter anderem deshalb auf Drängen des damaligen Kurienkardinals Josef Ratzinger die Lehr- und Predigt-Befugnis.
Starre Regeln versuchte Benedikt als Papst noch und noch als unumstösslich darzustellen, vom Zölibat der Priester bis zum Ausschluss der Frauen vom Priestertum. Regeln, die all dem widersprechen, was die Wissenschaft entdeckt und der Kampf um Menschenrechte in der letzten Zeit errungen hat? Scheuen er und seinesgleichen einfach den Machtverlust? Denn ohne diese Regeln bricht, so vermute ich, das riesige hierarchische Gebilde der katholischen Kirche zusammen. Und es ist doch ein Imperium, auch was Einfluss und Reichtum angeht. Aber nur so lange als ein Weltbild, das nach Darwin sehr primitiv und veraltet wirkt, noch krampfhaft indoktriniert wird. War es Taktik, dass der Papst dieses Weltbild so verteidigte, vielleicht doch gegen besseres Wissen?

 

Er ist zurückgetreten. Es könnte sein, dass er nicht nur seine schwindende Kraft fühlt, sondern auch resigniert angesichts der Menschen, die frei entscheiden und frei leben wollen.
Und, ach ja, da kommt mir ein Bonmot eines Freundes in den Sinn. «Weisst Du», fragte er scherzend, «dass es nicht nur zehn Gebote gibt, sondern elf? Nur das wichtigste, das Elfte Gebot ist geheim, aber es muss befolgt werden: Das elfte Gebot für Gläubige heisst: Du sollst nicht denken!»
Und der arme Josef Ratzinger war Papst Benedikt der Sechzehnte in einer Welt, in der immer mehr Menschen trotz Verbot nicht nur glauben, sondern auch denken wollen.

Ich wünsche ihm einen ruhigen Lebensabend.

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