FRONTPAGE

«Martin Suter: Ein aktueller Thriller aus der Bankenwelt»

Von Ingrid Isermann

 

 

Er ist der Star-Writer der leichten Muse, obwohl seine Bücher und Texte immer wieder aktuelle Themata aufgreifen und es durchaus auch auf Tiefgründigkeit anlegen. Mit seinem neuen Buch «Montecristo» präsentiert Martin Suter ein hochaktuelles, spannendes Szenario, das die dunkle Welt der Banker, Börsenhändler, Journalisten und Politiker beleuchtet.

Dass es in der Bankenwelt mitunter nicht mit rechten Dingen zugeht, das wusste schon Friedrich Dürrenmatt in seinem Bühnenstück «Frank, der V.», das im Schauspielhaus Zürich Mitte der Sechziger Jahre uraufgeführt wurde. Die Kritik beschuldigte den Dramatiker der Nestbeschmutzung und das Stück wurde kurz darauf abgesetzt. Der Inhalt: die Banker gebärdeten sich als Roulette-Kapitalisten und Gangster und brachten sich selbst und andere um. Damals war die Bankenwelt allerdings noch nicht ausser Rand und Band, es gab noch keine Risiko-Hedge-Fonds. Damals auch kaum vorstellbar, dass der oft vielgeschmähte Staat eine Grossbank mit Milliarden Schweizer Franken vor dem Bankrott retten musste, was im Hinblick auf hohe Arbeitslosenzahlen sowie das lädierte Image des Schweizer Finanzplatzes gerechtfertigt wurde. Und die nicht nachlassenden Anklagen der US-Behörden gegen Schweizer Banken mit Millionenzahlungen wegen Brechung der Rechtsordnung.

 

 

Martin Suter erzählt eine andere Geschichte, nicht weniger spannend und glaubhaft. Es geht um den Videojournalisten J.B. (nicht James Bond), der in einem Intercity-Zug Augenzeuge eines Personenschadens wird, als sich ein Mensch aus dem Zug geworfen hat. Als aufmerksamer VJ hat er alles aufgenommen und begegnet den anwesenden Personen im Zug zufällig später wieder. Jonas Brand träumt davon, selbst Filme zu machen; sein Projekt »Montecristo«, eine Story über Verrat, Betrug und späte Rache, die jedoch schon lange in der Schublade liegt, hat seiner Meinung nach Blockbuster-Potenzial. Jonas Brand stösst auf allerlei Zufälle, die miteinander zusammenhängen, doch noch kommt ihm das Unglück nicht als Verbrechen vor. Als ihm zwei punktgenau gleiche Hunderternoten mit derselben Seriennummer in die Hände fallen, wird er misstrauisch. Wie ist das möglich? Und dann wird Brands Wohnung durchwühlt und er selbst auf offener Strasse zusammengeschlagen und beraubt. Jemand will offenbar eine Ungereimtheit aus der Welt schaffen und damit zugleich Zweifel an der Glaubwürdigkeit einiger staatstragender Persönlichkeiten.

Das Buch liest sich unterhaltsam wie ein Krimi, strebt langsam seinem Höhepunkt zu und es ergeben sich haarsträubende Zufälle, die mitten aus dem Leben der Banker gegriffen sind. Suter hat sorgfältig recherchiert und sich bei den Grossbanken abgesichert. Der Finanzskandal, den die Schweizer Nationalbank SNB just durch die Aufwertung des starken Frankens auslöste, mag dabei zufällig parallel Pate stehen.
Von der Wirtschaftswelt sind alle betroffen und insofern kann der Roman als empfehlenswertes Zeitgeist-Epos gehandelt werden. Kleine Manierismen sind geflissentlich zu übersehen, wie die mehrfache Betonung äusserlicher Vorzüge wie der mandelförmigen Augen der Filippa-Traumfrau Martina Ruiz, die dem Videojournalisten den Kopf verdreht hat und auch sonst ein Verwirrspiel treibt. Doch der Plot, mit Zürcher Lokalkolorit angereichert, ist spannend inszeniert und man mag das Buch bis zum überraschenden Ende kaum aus der Hand legen.

Da schon einige Romane von Martin Suter  (u.a. «Der Koch», «Lila Lila») verfilmt wurden, kann man es sich bei dieser Geschichte als veritablem Bankenkrimi gut vorstellen.

 

 

Martin Suter, geboren 1948 in Zürich, arbeitete bis 1991 als Werbetexter und Creative Director, bis er sich ausschließlich fürs Schreiben entschied. Seine Romane – zuletzt erschien ›Montecristo‹ – und ›Business Class‹-Geschichten sowie seine ›Allmen‹- Krimiserie sind auch international große Erfolge. Martin Suter lebt mit seiner Familie in Zürich.

 

 

Martin Suter
Montecristo
Diogenes Verlag Zürich, 2015
Roman
320 S., geb. Hardcover Leinen,
CHF 32.90. € (D) 23.90. (A) 24.60
ISBN 978-3-257-06920-4

 

 

«Joan Schenkar:
 Die talentierte Miss Highsmith»

 

Schon ihr erster Roman «Zwei Fremde im Zug» wurde von Hitchcock verfilmt, mit dem sie ihren Hang zu mysteriösen Zufällen des Lebens teilte. Der Titel der Biographie leitet sich unzweifelhaft von Patricia Highsmiths verfilmtem Bestseller «Der talentierte Mr. Ripley» ab und deutet damit selbstreflexive Bezüge zur Autorin an, die als eine der besten und untergründigsten Krimischriftsteller gilt. Minutiös recherchiert und unterhaltsam zu lesen, mit einem Bildteil und zeitgenössischen Dokumenten.
 

Unbeschwertes Dolce Vita: Das Leben, das sein Schulfreund Dickie Greenleaf führt und von dem Tom Ripley träumt. Dickies Vater, ein reicher Reeder, bittet Tom, nach Italien zu fahren und seinen verlorenen Sohn nach Amerika zurückzuholen, ein Traumauftrag für einen armen Nobody wie Tom. Noch ahnt niemand, wie weit Ripley gehen wird, um für immer zu Dickies Welt zu gehören. 40 Jahre nach René Cléments hochspannender Kultverfilmung mit Alain Delon («Nur die Sonne war Zeuge») drehte Oscar-Preisträger Anthony Minghella 2000 ein Remake («Der talentierte Mr. Ripley») mit Matt Damon (Diogenes TB, 2003. ISBN 978-3-257-23404-6). Tom Ripley, Highsmiths Alter Ego, war auch Stoff für zahlreiche weitere Ripley-Romane.

 

Als Schriftstellerin weltberühmt, erscheint Patricia Highsmith umso mysteriöser und widersprüchlicher, je weiter man unter die Oberfläche der Gerüchte taucht: Nach aussen verschlossen wie eine Auster, hinterliess sie Tausende von Seiten intimster Einblicke in ihr Schlaf- und Arbeitszimmer. Von Kind an überzeugt, im Körper eines Jungen geboren zu sein, sind ihre meist weiblichen Geliebten so zahlreich wie die perfiden Verbrechen ihrer meist männlichen Romanfiguren in ihren psychologischen Krimis, wo es weniger darum geht, den Mörder zu finden als die Hintergründe, was sie zu der Tat trieb. Sie liebte exzessiv und lebte doch meist allein. Unter Katzen fühlte sie sich am wohlsten. Sie galt als scheu und lebte zurückgezogen bis 1995 in Tegna im Tessin, doch sie formte den weltberühmten Tom Ripley selbstbewusst als ihr geistiges Alter Ego.

Joan Schenkar folgt akribisch dem emotionalen Auf und Ab von Patricia Highsmiths Leben wie den Windungen eines Schneckenhauses. Acht Jahre Recherche und grösstenteils unveröffentlichtes Archivmaterial wie auch persönliche Gespräche mit Vertrauten der Highsmith setzen Stück für Stück das Bild einer Frau zusammen, der es gelang, sich der Öffentlichkeit weitgehend zu entziehen.

Zu Schnecken hatte Highsmith eine besondere Affinität. Ihre Schnecken nahm sie gern mit auf ihre ausgedehnten Reisen. In ihrem Cottage in Earl Soham in Suffolk in den 1960er Jahren hielt sich Pat dreihundert von ihnen als Haustiere, und ihre älteste Schnecke Hortense war laut Pat die «weitestgereiste Schnecke der Welt. Sie ist nach New York und wieder zurückgejettet und war in Paris, Rom und Venedig».
Mit zahlreichen bekannten Schriftstellern pflegte Highsmith in New York, wo sie aufwuchs, intensive Kontakte, wie dem drei Jahre jüngeren Truman Capote, den sie 1948 in New York kennenlernte und dessen erster Roman «Other Voices, Other Rooms», («Andere Stimmen, andere Räume»), gerade erschienen war. Capote, als Selbstdarsteller so begabt, wie er als Autor zu werden versprach, stammte wie Pat aus Alabama und war in den 1940er Jahren in Manhattan in der Upper East Side gelandet, wie seine Freundin aus Kindertagen Nelle Harper Lee, die später mit «Wer die Nachtigall stört» berühmt wurde. Pat fand Gefallen daran, mit «dem kleinen Truman auszugehen. Er ist so aufmerksam und so berühmt! Und so süss!». Capote seinerseits war voll des Lobes über Pat Highsmith: «Sie ist wirklich enorm begabt, eine ihrer Erzählungen verrät ein Talent, wie ich es noch selten erlebt habe. Ausserdem ist sie eine bezaubernde, durch und durch kultivierte Person…».

 

Highsmith traf in der High Society NYC auch auf Dorothy Parker und Simone de Beauvoir oder Leo Lerman, Kulturredaktor bei «Vogue». Zu seinen informellen Sonntagabendsalons in seiner Wohnung an der Lexington Avenue «…kamen die Leute wegen der Leute (und nicht zum Essen oder Trinken)… Tennessee, Truman, Gore, Mr. Faulkner, Martha Graham… viele der beeindruckenden Emigranten waren da: Marlene Dietrich, Eleonora von Mendelssohn, Muriel Draper, Jane Bowles u.a. – ‚Wenn Marlene (Dietrich) – meist rittlings – auf einem Stuhl sitzt und ‚Noch einen zum Abgewöhnen!‘ knurrt, ist sie hinreissend schön, als Mann wie als Frau’». Pat hielt sich gern am äusseren Rand des Kreises und beobachtete die Anwesenden: «Man gab sich kapriziös, berauscht, lustig, doch man blieb unter sich, liess sich nicht in die Karten schauen. Ich war kaum zwanzig und hielt mich im Dunstkreis von Edith Sitwell und Djuna Barnes auf… Ich bewunderte sie alle, ihre literarische Anerkennung und all das».

Auf der raffiniert zusammengestellten Gästeliste für die Präsentation ihres Romans «Zwei Fremde im Zug» – das Buch kam im März 1950 heraus, Pat war 29, die Party stieg in Mme Lynes Appartment, – war ihre Mutter Mary nicht aufgeführt, die eingeschnappt war, weil sie keine persönliche Einladung von Mme Lyne bekommen hatte, und daraufhin absagte. Die Biographin Joan Schenkar beleuchtet ausführlich das enge, aber zeitlebens gespannte Verhältnis zur Mutter Mary Coates Plangman Highsmith und leitet daraus Schlussfolgerungen für die zerrissene Identität der Autorin ab, die, in einer Art Hassliebe zu ihrer Mutter gefangen, sich trotz aller Erfolge nie von ihr lösen konnte. Ihre unstete Art, ihre Schüchternheit und grundlegende Unsicherheit zu überdecken, führte zu einer Alkoholsucht, die sie nicht in den Griff bekam, und die sowohl Antrieb wie Anlass zu Depressionen war. Befreien konnte sich Patricia Highsmith nur durch ihr brillantes Schreiben, das sie als Autorin bestätigte und ihr somit ihre Selbstbestätigung verschaffte.

Im Mai 2015 kommt die Verfilmung von Highsmiths «Carol oder Salz und sein Preis» von Regisseur Todd Haynes mit Cate Blanchett, Rooney Mara und Kyle Chandler ins Kino. Nie wieder schrieb Patricia Highsmith, die den Roman unter dem Eindruck einer persönlichen Begegnung schrieb, so sinnlich, poetisch und erotisch.

 

 

 

Joan Schenkar
Die talentierte Miss Highsmith
Diogenes Zürich, 2015
Biographie mit Bildteil
Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann
und Karin Betz und Anna-Nina Kroll
1072 S., Hardcover Leinen
CHF 41.90. € (D) 29.90. (A) 30.80
ISBN 978-3-257-06898-6

 

 

 

Joan Schenkar
Joan Schenkar, geboren 1952 in Seattle, ist eine amerikanische Schriftstellerin und Dramatikerin. Sie studierte Literatur und Kunsttheorie und war Gründerin sowie künstlerische Leiterin von Force Majeure Productions, New York, die Filme und Theaterstücke produzieren. 2001 erschien «Truly Wilde», eine Biographie über Oscar Wildes Nichte Dorothy.

 

 

PS. An Patricia Highsmith (*19. Januar 1921 in Fort Worth, Texas; † 4. Februar 1995 in Tegna/Locarno) habe ich zwei Reminiszenzen, die Filmpremiere des unübertroffenen «Nur die Sonne war Zeuge» («Plein soleil») 1960 nach dem Highsmith-Roman «Der talentierte Mr. Ripley» mit dem jungen Alain Delon, der gerade mit Romy Schneider Schlagzeilen machte, und die Geschichte von «small g – eine Sommeridylle», des einzigen Romans der Highsmith, der die Schweiz als Schauplatz hat. Der Roman erschien 1995 im Diogenes Verlag und spielt in Zürich, u.a. im Spunten «Jakobs Bierstube» an der Dörflistrasse  in Wipkingen, wo der Protagonist des Romans verkehrt. Dort traf ich Frieda Sommer, Freundin und eine der Nachlassverwalterinnen der kurz zuvor verstorbenen Patricia Highsmith, um den Original-Schauplatz zu besichtigen. Sie erzählte mir, wie sie Pat mit ihrer lokalen Recherchearbeit in Zürich  für «small g» unterstützte und wie diese mitunter auch grantig und mürrisch sein konnte, schon schwer gezeichnet von Alkohol und Krebserkrankung, aber dennoch faszinierend kraftvoll. Am späteren Abend dachte ich über Patricia  Highsmith, ihre hochgelobten Romane und Erzählungen und ihre wechselvolle Lebensgeschichte nach, und in der Nacht brach plötzlich unerwartet mein intaktes Glasregal krachend und berstend zusammen, ich vermutete, als einen Gruss von der Autorin, die sich homerisch lachend aus dem Jenseits einen ihrer skurrilen Scherze erlauben wollte…

 

 

 

 

 

«Kloster Sion Réserve – Ein Wein und seine Geschichte»

 

Ein Buch für einen Wein, zum Pinot noir Kloster Sion. Dahinter steht auch eine Geschichte, eine Entwicklung, die es vor dem Vergessen zu bewahren gilt.

 

Was sich mit dem Widumhof im aargauischen Würenlingen vor über 550 Jahren anbahnte, der von der Familie Meier als Lehensherren und später als Besitzer geführt wurde, eine Geschichte auch, die die Villmerger Kriege überstand.
Die Zeit des Pinot setzt mit der Gründung der Rebschule 1921 ein, dem erfolgreichen Klonen der Reben-Veredlungsprozesse, die bis heute vorangetrieben werden. So wächst der Pinot noir nicht nur auf idealem Boden, der über einen hohen Anteil an Opalinuston verfügt, sondern entwickelt sich dank Erfahrung und Wissenschaft stetig weiter.
In den Archiven über Würenlingen ist ein sehr grosser Gutshof erwähnt, welcher Nötger Schmit, Weibel des Rudolf von Habsburg, gehörte. Er war der erste Beamte des Rudolf von Habsburg in Würenligen, als die Grafschaft Baden 1264 an die Habsburger überging. Das war noch vor der Gründung der Eidgenossenschaft. Aber noch heute macht die Dorfstrasse, die sonst am Dorfbach entlang führt, eine grossen Bogen um den «Widumhof» – als bestünde dieser seit einer Zeit, als es noch keine Strassen gab.
Am 1. Mai 1381 kaufte das Verenastift in Zurzach den Hof dem St. Verena-Gotteshaus in Zürich ab. Auf diesem Hof finden wir fast 300 Jahre lang die Familie Meier als Lehensleute des Stiftes Zurzach. In den Urkunden des Gemeindearchivs wird er deshalb auch «Meierhof» genannt, ein Erblehen, das vom Vater unverändert auf den ältesten Sohn überging. Eine Urkunde vom 6. Dezember 1462 besagt, dass Propst und Kapitel Zurzach den Johannes Meier von Würenlingen mit dem stiftischen Widumhof belehnen.

Eine vergnügliche und ausführliche Geschichtslektion über das Kulturgut Weinbau mit zahlreichen Fotografien und Texten verschiedener Autoren. Zum Wohl!

 

 

 

Andreas Meier (Hrsg.)
Kloster Sion Réserve
Ein Wein und seine Geschichte
Wolfbach Verlag Zürich, 2014
Leinenband mit Lesebändchen
96 S., div. Abb.
CHF 38. € 29
ISBN 978-3-905910-52-0

NACH OBEN

Reportage


Buchtipp


Kolumnen/
Diverses