FRONTPAGE

«Michelangelo»

Von Isolde Schaad

Eins
-Sie sind wohl der Rezeptionist,- lächelte die Dame von Herkunft, sie trat näher, sodass er sich aus der Hocke erhob.- Wie höflich, sagte die Dame,- Sie haben Stil, das ist eine Rarität geworden, im heutigen Massenbetrieb.
Nun kam es ihr vor, als mache er artig Männchen vor ihr, und da sie aussterbende Tiere über alles liebte, sah sie plötzlich einen Hermelin vor sich, der in Eis und Schnee erstarrt war.
-Sie haben wohl viel gelitten, nicht?-
Mich faszinierte die Vorstellung, dass ich in anderer Gestalt auf die Welt gekommen sein sollte als in meiner eckig beschnittenen Montur. Ich brachte daher mein geringeltes Kabel in Bewegung, um der Dame zu imponieren. – Ein Hermelin mit schwarzem Schwanz? – Sie war verblüfft und ich wurde kühn: – Wissen Sie, auf irgendeine Weise sind wir alle mal Neger gewesen.

 

Nachträglich glaube ich, das war ein Traum. Als ich aufblickte, sah ich anstelle der Dame
den bulligen Kerl, der durch die Tür schoss wie die Kugel aus dem Gewehrlauf.- Schon wieder ein Digitaler,- zeterte er. Die alten Weiber verwählen sich ständig und werden konfus, und du stehst einfach da und hälst Maulaffenfeil. –
Ich war erleichtert, als der Abteilungsleiter eintrat. Er begutachtete mich, den Prototypen der neuen Produktelinie: – Ist das der Neue, dieser Erlöserknabe? Man hat sich wohl gedacht, Gfeller stellt die himmlischen Verbindungen her.-
Mir schwante, dass die Firma insgeheim eine interstellare Zukunft plante, nach dem Traritrara der amerikanischen Nasa wollten die gleich eine lukrative Schaltung zum Mond und liessen sich dafür vom Stromriesen Ascom kaufen. Das war, als Andy Warhol am Horizont erschien und zur Jungfrau sagte, lets do it, for everybody must do it, yeah, und so kam ich ungefragt auf diese schnöde Welt. Während meine Ahnen noch über eine Drehscheibe und damit über ein Gesicht verfügten, hatte ich nicht einmal eins zu verlieren.

 

Zwei
Die Firma Gfeller ersetzte den virilen Weissen mit maus-und staubgrauen Trägheiten, die breit gebaut waren und deshalb liegen durften. Für ihn begann ein neues Dasein, als Statist in der Gebrauchtwarenhandlung. Ein Elektriker hatte ihn erworben, der eine Recyclingbude betrieb. Der Sonderling gefiel der neuen Kundschaft, lauter Langhaarige und Barfüssige, darunter eine kahlgeschorene Kokserin; die schien den Narren gefressen zu haben an ihm. Sie kam öfter und einmal mit einer Schar von Wesen herein, die sich schwer identifizieren liessen. – Na, du Phallokrat, zeig uns mal, was du kannst.- Die hatten ihr Gaudi, machten aber keine Miene, den Sonderling zu erlösen von seiner Einsamkeit auf dem Ladentisch.
Da stand ich nun und walkte das Wort durch mwin Gehäuse. Phallokrat, was das wohl zu bedeuten hatte? Der Elektriker gab auf und ich kam in die Ostschweizer Filiale von Gfeller und lernte im Appenzell einen rüden Heimatbegriff kennen. Zuerst wurde ich angepöbelt.Wer da? Pusteten die Kunden, kleinwüchsige Kerle, so lange in mich hinein, bis mir die Hörmuschel weh tat. Hallo, du Nichtsnutz, du Asylant, was hast du bloss bei uns verloren? Wenn ich das wüsste, sagte ich, und die quirligen Herausforderer zeigten mir ihren Bizeps und wurden handgreiflich. Bis der Mann von Gfeller aus der Wirtschaft zurückkam, schien eine Ewigkeit zu vergehen. Von Uebergriffen sprach man damals noch nicht. Ich schöpfte Hoffnung, denn nach der Pein spürte ich plötzlich mein Rückgrat.

 

Drei
Eines Tages kam kurz vor Ladenschluss eine Dame. Eine Lady, sollte man sagen, denn sie sprach mit einem interkontinentalen Akzent, der eine neue Perspektive über den unsanften Hügeln erschloss. Als sie den weissen Findling hinter Kuckucksuhren und elektrischen Weckern entdeckte, schmetterte sie: – Du bist wie geschaffen für mein Boudoir. – Der Auftritt war mir peinlich, aber ich muss zugeben, mein Selbstbewusstsein wuchs.- Was meinst du, Artie, ich brauch doch eine Hausverbindung?- Mhm. Ihr hünenhafter Begleiter wandte sich sofort den Toastern und Stabmixern zu. Was nun kam, treibt mir noch jetzt die Schamröte in die Hocke. – Du bist besser als der David von Michelangelo, triumphierte sie, und verschwand mit mir in die Umkleidekabine für die Trachten. Ohne Umstände hob sie ihr Kleid und stopfte mich Kopf voran in ihr Spitzenhöschen. Sie steckte mein Kabel in die Steckdose und gluckste:- Nun schnurr mal schön.- Ihr Atem ging rasch, als sie mich erneut anfasste und nun richtig stark zur Hand nahm. Dann horchte sie an mir herum, und hielt mich an ihr mit massivem Gold beschwertes Ohr.
– Was meintest du, Süsser?
– Falsch verbunden, sagte ich.
Der Vorfall hat mein Empfangsorgan gestärkt. Hier steh ich und warte, bis jemand meine innere Schönheit gewahrt. Ich suche nach einer Daseinsform, die oberhalb der Gürtellinie liegt. Ich habe Zeit, da ich zeitlos geworden bin. Und die Folge des peinlichen Zwischenfalls? Ich nenne mich nun Michelangelo, das macht sich gut, da weiss dann jeder, der hat seinen Preis.

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