FRONTPAGE

«Riga, die Metropole des Baltikums»

Von Rolf Breiner

 

Hanseatisch beeinflusst, vom Jugendstil geprägt, vom Sozialismus à la Russe gebeutelt und wieder erwacht nach erneuter Selbständigkeit: Riga, die Kulturhauptstadt Europas 2014, ist mehr als eine Reise wert. Kultur, Kurioses und Kulinarisches bilden hier ein Bündnis, das Besucher entzückt.

Unübersehbar, wenn man vom Flughafen anreist, etwa 14 Kilometer vom Stadtkern entfernt: die Nationalbibliothek Lettlands (NLL). Der lettischstämmige US-Architekt Gunnar Birkerts hat sie entworfen. Die Einweihung 2014 war kurios wie sinnvoll: Via Menschenkette wurden unzählige Bücher (aus dem 8-Millionen-Bestand) von der alten zur neuen Bibliothek gereicht. Das Bauwerk, das sich wie eine Sprungschanze am Ufer der Daugava (Duna) erhebt, wirkt wie ein Wabennest, geprägt durch seine Fensterfassaden. «Schloss des Lichts» wird es treffend im Volksmund genannt. Über verschiedene Ebenen spannen sich diverse Bereiche: Lesesäle, Leserservice, Klassen- und Studierräume, audiovisuelle Studios, Bibliothekar- und Ausstellungshallen und mehr. Die meisten Räume sind zugänglich, wenn sie nicht gerade wegen Sitzungen europäischer Gesandter gesperrt sind, denn bis Ende Juni 2015 war der Lette Edgars Rinkēvičs Ratspräsident der Europäischen Union.

Man findet alte Ausgaben vom Brockhaus (auf Deutsch), Konversationslexika, Bücher, Manuskripte, Karten, ein lettisches, baltisches Folklorezentrum und mehr. Wer freilich alte Stadtkarten mit den deutschen Strassenbezeichnungen sucht, wird auf das städtische Museum verwiesen.

 

 

Oper, Orgeln und andere Konzerte

Wer zur rechten Zeit, beispielsweise im Juni, kommt, kann sich an Rigas Opernfestival ergötzen. In diesem Jahr (5. bis 18. Juni) war es Giacomo Puccini gewidmet – mit «Manon Lescaut», «Tosca» oder «Madame Butterfly». Die respektable, traditionelle «La Bohème»-Aufführung im Lettischen Nationaloper (das «Weisse Haus») dauerte immerhin drei Stunden mit drei Pausen. Einen Besuch in diversen sehenswerten Kirchenbauten sollte man, wenn möglich, mit einem Orgelkonzert verbinden. In der Rigaer Domkirche St. Marien, dem grössten Sakralbau des Baltikums, kann man montags bis samstags um 19 Uhr an einem Orgelkonzert teilhaben (19 Uhr) gegen Eintritt (7 Euro). Die 20-Minuten-Konzerte im Dom («Concerto Piccolo») um 12 Uhr täglich ausser sonntags (bis September) sind dagegen gratis (bei freiwilliger Spende). Die imposante Orgel ist ein Meisterwerk der Spätromantik. Empfehlenswert sind auch die Orgelkonzerte (1 Stunde) in der Kirche St. Johannis, der wohl ältesten Kirche Rigas, ursprünglich aus dem 13. Jahrhundert, nach Zerstörung um 1500 im spätgotischen Backstein-Stil wieder aufgebaut. In den Sommermonaten tummeln sich Strassenmusiker, DJ-Beschaller, Rock- oder Blueskapellen in den Gassen der Altstadt. Wer sich entschliesst, im mittelalterlichen Kellergewölbe von 1454, im «Lasite» in der Altstadt, zu tafeln, kann dies bei mittelalterlichen Gerichten (oder auch nicht) tun und nebenbei den Liedern eines Gitarrespielers lauschen (www.lasite-bar.lv).
Riga lässt sich gut zu Fuss erkunden – von der Duna zum Schwarzhäupterhaus und Petrikirche, vom Alten Rathaus und Dom weiter ostwärts an den Häusern der Grossen und Kleinen Gilde vorbei zur Nationaloper und durch den Park über einen Kanal zum Freiheitsdenkmal. Dieses 28 Meter hohe Monument, um 1930 mit den Spenden Rigaer Bürger finanziert und 1935 enthüllt, manifestiert die Grundwerte des (lettischen) Lebens: Arbeit, Familie, Geistesleben und Verteidigung des Vaterlands. Der Obelisk wird von der allegorischen Freiheitsstatue gekrönt. Sie streckt drei Sterne in die Höhe, welche die drei Regionen Kurland, Livland und Lettgallen symbolisieren.

Rigas Stadtwappen, 1925 amtlich bestätigt, kündet von der wechselhaften Geschichte des Landes: Bereits 1225 erschien ein Wappen mit der Mauer und zwei Türmen, Symbol für die Selbständigkeit der Stadt. Zwei gekreuzte Petrischlüssel stehen für den Kampf zwischen dem Livländischen Orden und dem Bischof um die Macht. Später im 14. Jahrhundert kamen das Ordenskreuz der Machthaber und ein Löwenkopf im Tor für die Tapferkeit der Bürger hinzu. Das Ganze wird seit dem 16. Jahrhundert von zwei Löwen und seit 1660 von der schwedischen Krone ergänzt. Erwähnt werden sollte auch, dass Riga, 1201 von Kaufleuten, Missionaren und Rittern des Schwertbrüderorden gegründet, 1282 der Hanse beitrat, dem Schutzbündnis der Kaufleute. Den Einfluss Lübecks und der Hanse zeigt sich noch heute in der Backsteingotik. Die Stadtmusikanten-Skulptur bei der Johanniskirche sind übrigens ein Geschenk der Hansestadt Bremen. Die erwähnte Kirche ging aus einer Kapelle hervor, sie wurde dann zur Kirche eines Domikanerklosters ausgebaut, zerstört und um 1500 im Stil der Spätgotik neu errichtet, mit einem phantastischen Sternen- und Netzgewölbe geschmückt. Kurios sind an der Aussenfassade zwei Nischen mit Masken mit offenen Mündern: An Sonn- und Feiertagen sollen Mönche dahintergestanden und gepredigt haben!
Wer übrigens Fan des ulkigen Komikers und Spachkünstlers Heinz Erhardt ist, kann sich auf seine Spuren begegnen. Der spitzbübische Humorist («Noch en Gedicht») stammt aus Riga, Maik Habermann deutscher Fremdenführer, bringt Erhardt und Riga nahe. (www.riga-tour.de)

 

 

Von Katzen, Brüdern und Stränden
Riga ist reich an Entdeckungen und erblühte nach der Befreiung von kommunistischer Herrschaft. Eine breite Volksbewegung hatte 1989 eine 600 km lange Menschenschlange quer durchs Baltikum organisiert. Sowjet-Soldaten wollten im Januar 1991 das Innenministerium stürmen, doch die Rigaer hatten es verbarrikadiert und so letztlich die Einheiten zum Rückzug gezwungen. Am 20. August 1991 erklärte Lettland dann seine Unabhängigkeit und trat 2004 der Nato und EU bei. Seit 2014 gilt in Lettland der Euro.
Riga, wieder zum «Paris des Baltikum» erblüht, zeigt sich heute schmuck und herausgeputzt, was historische Gebäude betrifft. Mit der neuen Phase ist freilich auch der Konsum massiv eingezogen – mit Bars und Restaurants allerorten, Shops und Ständen (Bernstein). Der Service hält da nicht immer mit, besonders das ältere Personal zeigt noch eine gewisse Muffeligkeit und Trägheit. Die jüngeren Menschen sind aufgestellt, meistens freundlich und ganz auf Westen eingestellt.
Nachfolgend einige persönliche Tips:
Das Katzenhaus: Ganz in der Nähe der imposanten Gildehäuser, einst prächtige Verbandshäuser der Handwerker- und Kaufmannsgilden/Zünften, errichtete ein Rigaer Kaufmann 1909 ein festungsartiges, wuchtiges Wohnhaus, wohl das erste im Jugendstil, gekrönt von bronzenen Katzen, die dem Gildenhaus den Allerwertesten zuwandten. Der Kaufmann war in die Gilde nicht aufgenommen worden, musste dann aber auf Betreiben der Gilde die Katzen um 180 Grad drehen.

 

Das Schwarzhäupterhaus: Bereits 1334 als Festgebäude errichtet, wurde es im 17. Jahrhundert von der Compagnie der Schwarzen Häupter, überwiegend deutschen unverheirateten Kaufleuten, übernommen. Die Gilde berief sich auf den Heiligen Mauritius, einem schwarzafrikanischen Märtyrer. Die wohlhabenden Mitglieder nutzten den Bau mit exzellenter Renaissancefassade als Versammlungs- und Feststätte. Das vom Krieg zerstörte Haus wurde von den Sowjets 1948 gesprengt, dann aber zum 800-Jubiläum der Stadt prachtvoll wieder aufgebaut. Es ist Sitz des Präsidenten der Republik und eines der am meisten fotografierten Objekte Rigas.

 

 

Jugendstil: Zahlreiche Häuser sind diesbezüglich auf eigene Faust im Zentrum zu entdecken, etwa nordöstlich vom Kronwaldpark. Dort findet man auch das Jugendstilmuseum. Empfehlenswert ist die Strasse «Alberta iela», benannt nach Bischof Albert von Buxthoeven, Gründungsvater Rigas.

 

 

Markthallen: Direkt an den Bahnhof angelehnt liegt der Zentralmarkt (Centraltirgus). Die mächtigen fünf Markthallen in der Moskauer Vorstadt umfassen 50 000 Quadratmeter. Eröffnet wurden die mit Glas und Eisen konstruierten Bauten 1930, von Kollegen des Bauhaus als gelungenes Beispiel funktionaler Architektur gelobt. Hier findet man, was Herz und Gaumen begehren –von Schuhen, Obst und Gemüse, Fleisch und Fisch bis zu speziell eingelegten Gurken, Paprika und mehr. Natürlich auch die bekannte lettische Schokolade und das einzigartige Schwarzbrot. Da läuft einem das Wasser im Munde zusammen.

 

 

Lettische Riviera: Rund eine halbe Stunde dauert die Fahrt mit der Bahn von Riga (zirka alle 30 Minuten) zu den herrlich weiten Strandbädern der Lettischen Riviera. Feinster Sandstrand zwischen den Dörfern Lielupe , Bulduri, Majori oder Jurmala dem Hauptort. Wohltuend, dass der Tourismus sich nur punktuell ausgebreitet hat, man also Ruhe, Luft und Meer (Ostsee/Rigaer Bucht) in Ruhe geniessen kann – ohne lärmige Motorboote und trendige Wassersportarten. Das Strandgebiet zieht sich über Kilometer hin und ist gut mit Toilette, Bars und Restaurants ausgerüstet. Aber das Immobiliengeschäft boomt. Auf dem Weg zum Bahnhof kann man exklusive Ferienapartments in Jurmala entdecken.

 

 

Infos: Guter, fundierte und aktueller Reisführer in der Reihe Merian-Momente: «Riga» mit vielen Nebenaspekten. Merian Taschenbuch 2014, 14.99 Euro
www.merian.de

 

Weitere Links:
www.rigaguide.lv (Exkursionen)
www.liveriga.com/de (Lettische Nationaloper)
www.LiveRiga.com (Veranstaltungen)
www.rigathisweek.lv (City Guide auf Englisch)

 

Betten und Tafel: Die Palette der Herbergen und Hotels ist breit gefächert. Wir haben gute Erfahrung mit dem Hotel Garden Palace (4 Sterne) gemacht, ganz in der Nähe des Schwarzhäupterhaus und der St. Petri Kirche (DZ ab etwa 70 Euro), wenige Schritte vom Fluss Daugava entfernt. Elegant und idyllisch mit einem Blick über Rigas Altstadt. Der Service hat Entwicklungspotenzial, besonders was Bar und Bedienung im Hof betrifft. Luxus verspricht das Dome Hotel & Spa (5 Sterne). Auf der Terrasse im 5. Stock kann man sich an der Kathedrale unhd Rigas Altstadtdächern satt sehen. Seit 2013 ist das Haus Mitglied der World’s Finest Hoteliers Association Relais & Châteaux. Zimmerpreise zwischen 250 bis 750 Euro.
Speisen nach Lust und Laune: Openair in den Altstadtgassen bei Livemusic oder Disco. Steakhouses zuhauf. Urig und herzhaft ist die Blaue Kuh (Zila Govs) mitten in der Altsatdt (Fussgängerzone) am Livenplatz. In einem mitelalterlichen Gebäude. Gute lettische Speisen – Fleisch und Fisch, alles Bio. Quasi im selben touristenbevölkerten Quartier lädt das Restaurant Klaķu Varti ein – gediegen rustikal mit regionaler Küche. Jeder Monat ist einem Thema gewidmet, im September sind es Waldpilze, natürlich mit Wild oder… Ganz lauschig sitzt man im Petergailis zwischen St. Petri und St. Johannes (geöffnet seit 1978). Im Lokal krähen (stumm) einige Gockel wie zu Petrus Zeiten und um die Ecke türmen sich die Bremer Stadtmusikanten.

 

 

Kino und Zirkus: Wenn man Glück hat, also zur rechten Zeit in Riga ist, sollte dem alten Zirkusbau 1888 im Zentrum einen Besuch abstatten und vielleicht auch ein klassisches Zirkusprogramm erleben – mit Raubtiernummern, Akrobatik und Pferdedressuren (Merķela 4). Oder darf‘s vielleicht Kino sein? Im Cinema Splendid Palace werden vor allem Autorenfilme (Arthouse Kino), übertragen werden auch Open und Konzerte. Ausserdem wird an bestimmten Tagen ein Dokumentarfilm über das 800 Jahre alte Riga gezeigt (Elisabetes 61).

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