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«Autobiografie Kamala Harris: Der Wahrheit verpflichtet»

Von Ingrid Isermann

 

Sie ist die erste Frau und erste Vize-Präsidentin der USA im Weissen Haus mit der Wahl Joe Bidens zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Das Vogue-Cover mit Kamala Harris in sportlichem Outfit und Converse-Sneakern war ein Event und gleich ausverkauft. Wer ist diese Frau, die die Zukunft der USA mitprägen wird und was treibt sie an? Ihre 2019 erschienene und jetzt auf Deutsch vorliegende Autobiografie gibt Auskunft.

 

Kamala Harris, geboren 1964 in Oakland, Kalifornien, erzählt ihre eigene Geschichte, wie sie sich als Tochter einer indischen Einwanderin und eines Jamaikaners zur Justizministerin Kaliforniens hocharbeitete und sich schon als Staatsanwältin der sozialen Gerechtigkeit verschrieben hatte. Während der Immobilienkrise nahm sie den Kampf gegen Banken und das Big Business auf. Sie bekämpfte den Rassismus in der Strafverfolgung und trieb konsequent eine Reform des Justizwesens voran. Ihre Lebensgeschichte basiert auf den Werten von Freiheit, Toleranz und Gerechtigkeit: «Ich will die Wahrheit aussprechen. Selbst wenn sie schmerzt. Selbst wenn sie anderen nicht gefällt. Das bedeutet keinesfalls, dass Wahrheiten immer unangenehm sein müssen oder es darum geht, anderen weh zu tun. Viele Wahrheiten machen Hoffnung».

 

Dies nun alles von Kamala Harris in ihrer Biografie selbst zu hören, macht die Lektüre zu einer spannenden Zeitgeschichte, von den Anfängen der Rassenunruhen in den Sechzigern, ihrer Studentenzeit bis zu den politischen Prägungen.
Das Buch beginnt Ende 2016 vor der Wahl von Donald Trump, als mehrheitlich erwartet wurde, dass Hillary Clinton das Rennen als erste US-Präsidentin machen würde. Clinton wurde nicht gewählt, aber Kamala Harris zog 2017 in den Senat ein, als erste schwarze Frau in ihrem Bundesstaat Kalifornien und erst die zweite in der Geschichte des Landes, die in dieses Amt gewählt wurde und 39 Millionen Menschen vertreten sollte.
In den vergangenen Jahren musste sie seither miterleben, «wie die Regierung sich auf die Seite der Rassisten schlug und im Ausland bei Diktatoren einschmeichelte, wie sie Müttern ihre Kinder entriss und gegen die Menschenwürde verstiess, wie sie Konzernen und Reichen riesige Steuergeschenke machte und die Mittelschicht vergass, wie sie den Kampf gegen den Klimawandel torpedierte, das Gesundheitswesen sabotierte und das Recht der Frauen infrage stellte, über ihren eigenen Körper zu bestimmen und wie sie gleichzeitig auf alles und jeden einschlug, darunter auch die freie und unabhängige Presse», schreibt Kamala Harris in ihrem Vorwort.

 

 

Ihr Vater Donald Harris war 1938 in Jamaika zur Welt gekommen und in die Vereinigten Staaten ausgewandert, nachdem er einen Studienplatz an der University of California in Berkeley bekommen hatte. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und unterrichtete später an der Stanford University. Ihre Mutter begann ihr Leben Tausende Kilometer weiter östlich im Südosten Indiens. Shyamala Gopalan was die älteste von vier Kindern und eine ausgezeichnete Schülerin. Mit neunzehn Jahren schloss sie ihr Studium an der Universität Delhi ab und bewarb sich um einen Promotionsstudienpatz in Berkeley. Sie war noch keine zwanzig, als sie 1960 nach Berkeley ging, um dort in Ernährungwissenschaften und Endokrinologie zu promovieren und sich der Erforschung des Brustkrebses zu widmen.
Sie hatte vor, nach der Promotion nach Indien zurückzugehen, die Ehe ihrer Eltern war arrangiert gewesen und sie gingen davon aus, dass ihre Tochter denselben Weg einschlagen würde, schreibt Harris. Doch das Schicksal wollte es anders, denn in der Bürgerrechtsbewegung von Berkeley lernte sie ihren Vater kennen. Sie heirateten und bekamen zwei Töchter. Ihre Mutter promovierte mit fünfundzwanzig Jahren 1964, in dem Jahr, in dem Kamala zur Welt kam. Ihre Schwester Maya folgte zwei Jahre später.
Kamalas erste Lebensjahre waren glücklich und unbeschwert, ihr Haus war immer voller Leute und Musik, die Mutter sang gern bei Gospels mit, hörte Aretha Franklin bis zu Jazzinterpreten wie Miles Davis. Doch die Harmonie der Eltern war nicht von Dauer und nach fünf Jahren zerbrach ihre Beziehung. 1971 liessen sie sich scheiden. Ihr Vater nahm eine Stelle an der Universität von Wisconsin an.
 

Kamala erzählt, wie ihre Mutter als alleinstehende Frau die zwei Töchter grosszog und ihnen ihre Werte und hohe Ansprüche vermittelte. Schon früh fasste Kamala den Entschluss, Jura zu studieren. Gerechtigkeit war ihr ein wichtiger Wert und im Recht sah sie ein Instrument, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Die Howard University in Washington, zwei Jahre nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg gegründet, kann auf eine besondere Vergangenheit zurückblicken, sie blieb bestehen, als viele Hochschulen ihre Pforten für schwarze Studentinnen und Studenten schlossen und als das Land von Rassentrennung und Diskriminierung beherrscht wurde. Im Herbst 1982 zog Kamala Harris in ihr erstes Studentenwohnheim Eton Towers in Washington ein.

In Episoden schildert Harris ihren Aufstieg, nicht ohne Humor und Dankbarkeit, vor allem ihrer Mutter gegenüber, die 2009 an Darmkrebs verstarb. Ihre guten Ratschläge sollten Kamala auf ihrem Weg begleiten.
2014 heiratete Kamala Harris den Anwalt Dough Emhoff, der die Teenager Cole und Ella mit in die Ehe brachte.

 

Es ist ihre energetische Persönlichkeit und das ansteckende, charismatische Lachen, das sie unverwechselbar macht. Die Autobiografie nimmt vorweg, was sie jetzt im Amt als Vize-Präsidentin umsetzen kann. Man möchte Kamala Harris wünschen, dass es ihr gelingt, was sie sich vorgenommen hat, doch man hat den Eindruck, hier steht eine Frau, die weiss, was sie will und von was sie redet. Bestimmt ist sie bestens dafür vorbereitet, und das vielleicht mehr als ihre bisherigen Vorgänger, anzunehmen, dass gerade das der amtierende Präsident Joe Biden zu schätzen weiss, nicht zuletzt, nachdem der erste Sturm auf das Capitol mitten in der Corona-Pandemie in einem zerstrittenen Amerika schon stattgefunden hat.

 

«Ich bin vielleicht die erste Frau in diesem Amt, aber ich werde nicht die letzte sein» Madam Vice President:- she’s got the Spirit!.

 

 

 

Kamala Harris
Der Wahrheit verpflichtet.
Meine Geschichte
Siedler Verlag, München 2021
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH
Aus dem Englischen von
Dr. Jürgen Neubauer
Hardcover, 338 S.,
CHF 30.90. € 22 (D). € 22.70 (A)
ISBN 978-3-8275-0153-0

 

 

 

«Benedict Wells: Hard Land – Der Sommer, in dem man erwachsen wurde»

 
Missouri 1985. Der fast sechzehnjährige Sam erlebt den Sommer seines Lebens. Er ist zum ersten Mal verliebt, hat einen Ferienjob in einem Kino und entdeckt die Geheimnisse seiner Heimatstadt Grady. Ein Coming-of-Age-Roman und Hommage an die 80’s-Filme wie The Breakfast Club oder Zurück in die Zukunft. Einen magischer Sommer lang ist alles wie verzaubert.
 

«Entdecke die 49 Geheimnisse von Grady» heisst es auf dem Schild des konservativen Kaffs Grady im Mittleren Westen der USA, in der Nähe des Missouri-Rivers und umgeben von Wald, dem tiefblauen Lake Virgin, Weizen- und Roggenfeldern bis zum Horizont. Sam kennt kein einziges Geheimnis, und auch sonst besteht sein ereignisloses Leben eher aus Tiefpunkten. Bis er einen Ferienjob im alten Kino Metropolis anfängt und dort auf den schlagfertigen Cameron, den introvertierten Baseball-Sportler Hightower und die aufregende und etwas ältere Kirstie trifft.

Zum ersten Mal ist Sam kein schüchterner Nerd-Aussenseiter mehr, der nur in Mathematik gut ist. Er verliebt sich in Kirstie, für die er drei Mutproben bestehen muss, zum Beispiel von der Selbstmordklippe fünfzehn Meter tief in den Lake Virgin springen, und sich dann so fühlt, wie er sich schon sein ganzes Leben lang fühlen wollte: «übermütig und wach und mittendrin und unsterblich». Hightower hat einen alten Pick-up und bringt Sam das Autofahren bei, während Bruce Springsteen Atlantic City röhrt.

Kirstie schwankt zwischen Empathie und Melancholie, die sie Euphancholie nennt und schreibt neue Wortfindungen und Weisheiten in ihr Notizbuch, das sie immer dabei hat. Sam fühlt sich in ihrer Nähe wie elektrisiert, denkt sich Songs für sie aus und wünscht sich zum Geburtstag eine E-Gitarre von den Eltern. Die 49 Geheimnisse kommen auch in einem Gedicht von William J. Morris vor, Gradys berühmtesten Dichter. Er ist ein Nachahmer von Walt Whitman, meint Sams belesene Mom, die einen Buchladen führt und für Billy Idol schwärmt.

 

Doch die drei neuen Freunde haben gerade ihren Highschool-Abschluss gemacht und werden im Herbst zum Studium nach New York wegziehen. Sam bleibt also nur dieser eine Sommer mit ihnen. Nur wenige Wochen, in denen er nicht nur die Geheimnisse seines Heimatorts entdeckt, sondern auch sich selbst. Und was es heisst, sich dem Leben wirklich zu stellen. Dem wortkargen Vater mit seiner schwierigen Kindheitsgeschichte näher zu kommen, der Krebskrankheit seiner Mutter, die wie ein Damoklesschwert über der Familie hängt, und seiner älteren Schwester Jean, einer erfolgreichen jungen TV-Drehbuchautorin in Los Angeles, auf Augenhöhe zu begegnen.

Auch wenn der Plot etwas larmoyant wirkt, – Cameron kommt aus reichem Hause, ist schwul und kämpft um die Anerkennung seines Vaters, Hightower ist ein schwarzer gutmütiger brummiger Sportler und Kirstie versteckt unter ihrer ruppigen Schale ihre Anteilnahme -, berührt die flüssig erzählte Geschichte, in der es um die grundsätzlichen Dinge geht, auf die es im Leben ankommt, wie Mut und Solidarität.

 

Die Kleinstadt Grady, mit siebzehntausend Einwohnern, roten Backsteinhäusern, Ahornbäumen und old-fashioned Shops auf der Main Street und der weiten Landschaft des Missouri County, ist atmosphärisch so stimmungsvoll eingefangen wie im Kultfilm «American Graffity».

Hard Land bedeutet das harte Erwachsenwerden der Jugend mit ihren schmerzhaften Entwicklungsprozessen. Eine einfühlsame Geschichte über den Zauber eines Sommers, den man nie mehr vergisst.

Eine liebenswerte, erkenntnisreiche Geschichte, nicht nur für Jugendliche!

 

 

Leseprobe:

Nummer 1

In diesem Sommer verliebte ich mich, und meine Mutter starb.
Das alles ist jetzt schon mehr als ein Jahr her, aber für mich wird es immer «dieser Sommer» bleiben. Komischerweise denke ich oft daran, wie ich damals hinter dem Haus stand und mit einem Schlauch den Garten besprengte. Es war der Anfang der Sommerferien, und von dem Berg an Langeweile, der vor mir aufragte, hatte ich noch nicht mal die Spitze abgetragen.
   Ich starrte auf die Felder in der Ferne. Die Luft stand still, und je länger ich auf diese idyllische Landschaft blickte, desto unschärfer wurde sie an den Rändern. Bis ich dahinter wieder die Angst spürte, die ich aus meiner Kindheit kannte: Dass der Moment gleich kippen und etwas Schlimmes geschehen würde… Aber wie immer betrog mich dieses Gefühl. Weil, danach passierte natürlich wieder gar nichts.
   Bis mich meine Eltern ins Wohnzimmer riefen.

 

 

Benedict Wells wurde 1984 in München geboren. Nach dem Abitur entschied er sich gegen ein Studium und zog nach Berlin, um Schriftsteller zu werden. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit  Nebenjobs. Sein vierter Roman «Vom Ende der Einsamkeit» stand mehr als anderthalb Jahre auf der Bestsellerliste, wurde u.a. 2016 mit dem Europen Union Prize for Literature (EUPL) ausgezeichnet und bislang in 37 Sprachen veröffentlicht. Seinen Familiennamen von Schirach änderte er in Wells, um sich unabhängig zu machen. Nach Jahren in Barcelona lebt Benedict Wells heute in Zürich.

 

 

Benedict Wells
Hard Land
Diogenes, Zürich 2021
Hardcover Leinen, 352 S.,
CHF 32. € (D) 24. € (A) 24.70
ISBN 978-3-257-07148-1

 

 

 

«Das Leben der Sophie Scholl zum 100. Geburtstag»

 

«Man muss einen harten Geist und ein weiches Herz haben»: Sophie Scholl ist eine prägende Symbolfigur des Widerstands gegen Hitler. Der Theologe Werner Milstein portraitiert Sophie Scholl anlässlich ihres 100. Geburtstages am 9. Mai 2021 in seiner Biografie «Einer muss doch anfangen! Das Leben der Sophie Scholl» und hinterfragt, was ihr Leben auch heutzutage für junge Menschen bedeutet, die nach Orientierung und Sinn suchen.

 

Im Mai 1942 beginnt Sophie Scholl (*1921) ein Studium der Biologie und Philosophie in München. Durch ihren Bruder Hans, der an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Medizin studiert, lernt sie Studenten kennen, die sie in ihrer Ablehnung der NS-Herrschaft bestärken. Sie macht mit in der Gruppe „Weisse Rose“, die zu aktivem Widerstand gegen die Diktatur Hitlers aufruft. Im Januar 1943 ist Sophie Scholl erstmals an der Herstellung eines Flugblattes beteiligt.

 

Am 18. Februar 1943 wird Sophie Scholl bei einer Flugblattaktion mit ihrem Bruder Hans in der Münchner Universität vom Hauswart, einem SA-Mann, festgenommen. In der Gestapo-Zentrale im Wittelsbacher Palais wird sie vom 18. bis 20. Februar 1943 verhört. Am 22. Februar 1943 wird Sophie Scholl in München vom Volksgerichtshof unter Vorsitz des aus Berlin angereisten, berüchtigten Richters Roland Freisler wegen „landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt. Gegen 17 Uhr wird Sophie Scholl im Strafgefängnis München-Stadelheim mit Hans Scholl, und ihrem am 20. Februar 1943 festgenommenen Studienkollegen Christoph Probst, vom Scharfrichter mit der Guillotine enthauptet.

Eine Büste von Sophie Scholl befindet sich seit 2003 in der Gedenkstätte Walhalla in Donaustauf im bayrischen Landkreis Regensburg.

 

Werner Milstein, Theologe in Münster und Göttingen, erzählt anschaulich das Leben der Sophie Scholl, geht ihrem familiären Hintergrund und ihrer Freundesgruppe nach und erläutert ihren mutigen Weg zum Widerstand gegen Hitler.

Mit zahlreichen Quellenhinweisen, Fotos und Querverweisen ist diese spannend zu lesende Biografie in der dunklen Nazizeit Deutschlands sowohl für Jugendliche, wie auch für historisch interessierte Erwachsene eine profunde Einstiegslektüre in das Leben der Sophie Scholl.

 

 

Leseprobe

1. Kapitel
Es wird noch eine Entscheidung fallen

Sophie Scholl stellte das Fahrrad an der Strasse ab. Es war früh am Morgen, einige Frauen waren mit Einkaufstaschen unterwegs, ein Pferdefuhrwerk rumpelte über das Pflaster.
Sie begab sich an den Zaun, um sich von ihrem Bruder und den anderen Freunden der Studentenkompanie zu verabschieden. Seit Mitte Juli gab es das Gerücht, dass die Medizinstudenten während der Semesterferien zur «Frotfamulatur» nach Russland geschickt werden sollten. Zunächst war es nur ein Gerücht, aber dann von einem Tag auf den anderen ging die Order aus. Am 23. Juli 1942 hatten sie sich um 7 Uhr am Ostbahnhof einzufinden. Und nun stehen sie zusammen, Hans Scholl und Alexander Schmorell. Die Freunde wollten versuchen, in Russland zusammenzubleiben, und danach fortsetzen, was sie gemeinsam begonnen hatten: Flugblätter gegen das Hitlerregime zu verfassen und zu verteilen.
   Einer von den Kameraden, Jürgen Wittenstein, nutzte die lange Wartezeit von vier Stunden, um Fotos zu machen. Man sieht die Studenten in Uniform gestikulieren und lachen und auf der anderen Seite des Zaunes Sophie Scholl – sie wirkt fröhlich, wirft die Arme in die Höhe, und dann im nächsten Moment erscheint sie wieder nachdenklich. Wittenstein wird später über sie sagen: «Sie war ein grossartiges Mädchen, einerseits sehr ernst, sehr überzeugt, sehr geradlinig, auf der anderen Seite konnte sie unglaublich fröhlich und heiter sein und übermütig. Sie war etwas Besonderes, eine ungewöhnliche, bemerkenswerte Mischung. Eine Persönlichkeit».

 

 

Werner Milstein, *1955, Studium der Theologie und Philosophie in Münster und Göttingen, war Gemeindepfarrer in Ostwestfalen, danach im Verlagswesen in Hamburg tätig. Zuzeit ist er Religionslehrer im Berufskolleg in Olsberg/Sauerland.

 

 

Werner Milstein
Einer muss doch anfangen!
Das Leben der Sophie Scholl
Gütersloher Verlagshaus
Penguin Random House
München 2021
Paperback, 208 S., div. Fotos
CHF 21.90. € (D) 15. € (A) 15.50.
ISBN 978-3-579-07155-8

 

 

 

«Gestundete Zeit – 100 Jahre Hans Josephsohn»

 

Hans Josephsohn gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts in der Schweiz. Er schuf in sechs Jahrzehnten ein umfangreiches, radikal eigenständiges Œuvre. 1920 in Königsberg geboren, emigrierte er zunächst nach Italien und dann nach Zürich, wo er von 1938 bis zu seinem Tod 2012 lebte.

 

Hans Josephsohn, einer der vielen Geflüchteten des 20. Jahrhunderts, war kein Zeitflüchtiger: Seine Zeit ist, mit Ingeborg Bachmann und ihrem Gedicht nachempfunden, eine «gestundete Zeit», eine aufgeschobene, eine gedehnte Zeit im Bewusstsein ihrer Präsenz.

Anlässlich von Josephsohns 100. Geburtstag 2021 beleuchten die Beiträge in diesem Band Aspekte von Zeitlichkeit im Umgang mit dem Material sowie Arbeitstechniken, Übersetzungsprozesse und Narrationsformen. Sie zeigen das oft als zeitlos-archaisch beschriebene Werk Josephsohns in zeithistorisch-politischen und künstlerischen Kontexten.
Ein dreiteiliger Bild-Essay des Schweizer Fotografen Jules Spinatsch wirft einen neuen Blick auf die Skulpturen in öffentlichen Räumen.

 

 

Neue Perspektiven auf das Werk von Hans Josephsohn

Befreit man die Werke vom historischen Ballast der «Archaik», eröffnen sich jenseits der vermeintlicen Zeitlosigkeit ganz unterschiedliche Formen von Zeitlichkeit bei Josephsohn, so die Herausgeberinnen. Statuarisch Stehende, Vereinzelte im Sitzen, überdimensionale und von Masse geprägte Liegende und Halbfiguren, die Plastiken Josephsohns wirken auf den ersten Blick als kompakte Massen.

Sie erzeugen den Eindruck von Schwere, von Stauung und Ballung der Zeit. Doch zugleich sind diese Teile des Werks eminent erzählerisch strukturiert, viele Reliefs zeigen «Szenen», die einer besonderen Form plastischen Erzählens folgen. Bei aller erotischen Lebensfülle bewahren Josephsohns Plastiken stets einen Anschein von Verletzlichkeit und Fragilität. Sie evozieren Auflösung und Gestaltung, Entzug und Erscheinung, Statik und Bewegung, Zeitlosigkeit und Augenblick.

 

Mit Beiträgen von Magdalena Bushart, Denise Frey, Daniela Hahn, Arie Hartog, Claudia Keller, Bärbel Küster, Angela Lammert, Peter Märkli, Ulrich Meinherz, Seraina Renz, Guido Reuter und Julia Wallner.

 

Claudia Keller ist Germanistin, Komparatistin und Kunsthistorikerin und arbeitet als wissenschaftliche Oberassistentin am Deutschen Seminar der Universität Zürich.

 

Bärbel Küster ist Kunsthistorikerin und lehrt seit 2017 als Professorin für moderne und zeitgenössische Kunst am Kunsthistorischen Institut der Universität Zürich.

 

 

 

Herausgegeben von Claudia Keller und Bärbel Küster

Gestundete Zeit –

100 Jahre Hans Josephsohn
Scheidegger & Spiess, Zürich 2021
In Zusammenarbeit mit dem Kesselhaus Josephsohn und der Stiftung Sitterwerk St. Gallen
Geb., 228 S., 122 farbige und 40 sw Abb.
CHF 45. € 38.
ISBN 978-3-85881-687-0

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