FRONTPAGE

«Die Katze auf dem heissen Blechdach – reloaded»

Von Ingrid Isermann

Der Südstaaten-Klassiker des amerikanischen Dramatikers und Pulitzer-Preisträgers Tennessee Williams (1911-1983) über Lebenslügen, Obsessionen und Rassismus hat nichts an Aktualität verloren. Stefan Pucher inszeniert das Familiendrama-Epos mit Julia Jentsch und Markus Scheumann in High Fidelity am Schauspielhaus Zürich.

Jetzt, wo alle zu Big Daddys (Jean-Pierre Cornu) 65. Geburtstag zusammengekommen sind, wollen sie absahnen und Ansprüche geltend machen, während der Patron noch nichts davon ahnt, dass es sein letzter Geburtstag sein wird. Den ultimativ negativen Arztbericht hat ihm Big Mama (Friederike Wagner), Sohn Gooper (Jan Bluthardt) und die Familie verschwiegen.

 

Pure Ablehnung steht in Bricks (Markus Scheumann) spöttischem Gesicht geschrieben, bevor er sich angeekelt einen weiteren Whisky genehmigt. Es gilt seiner Frau Maggie, Big Daddy, Big Mama und Bruder Goopers siebenköpfiger Familie, die aufs Erbe aus ist. Brick schenkt sich permanent Whisky nach, seine Frau Maggie (Julia Jentsch) setzt ihm nach, doch die weiblichen Waffen lasziver Verführungskünste sind wirkungslos, denn Brick trauert in einer ‚Amour fou‘ um Skipper, seinen freiwillig aus dem Leben geschiedenen homosexuellen Football-Freund, und um diese Männerfreundschaft, die seinem Leben Sinn gab und die Brick vor der Familie verteidigt.

 

‚Cat on a Hot Tin Roof‘ wurde 1955 in New York von Elia Kazan uraufgeführt und 1958 mit Elizabeth Taylor und Paul Newman erfolgreich verfilmt. Tennessee Williams: ‚Ich möchte den Wahrheitsgehaltgehalt von Erlebnissen innerhalb einer Gruppe von Menschen darstellen, jenes flackernde, umwölkte, schwer zu fassende – aber fieberhaft mit Spannung geladene Zusammenspiel lebendiger Wesen in der Gewitterwolke einer gemeinsamen Krise‘.

 

Brick trinkt, bis er den Klick im Kopf spürt. Schwägerin Mae (Tabea Bettin) hält Maggie höhnisch vor, dass sie keine Babies kriegt.  Big Daddy redet seinem Sohn Brick ins Gewissen, fragt ihn, warum er sich allen entzieht und rät ihm: «… halte dich an das Leben, sonst kann man sich an nichts halten». Maggie klagt Brick an: «Ich fühle mich wie die Katze auf dem heissen Blechdach», «…dann spring Maggie, spring…», sagt Brick. Er gefällt sich in der Rolle als bad guy im wicked game, nicht frei von Selbstmitleid; dass er an Krücken geht, weil er sich bei einem Sprung über Hürden verletzt hat, scheint eine sinnfällige Metapher für sein fragiles Selbst zu sein.

 

 

Spielräume mit Mixed Media

 

Das wuchtige Bühnenbild (Barbara Ehnes) ähnelt eher einer Hobbit-Wohnhöhle als einer wohlhabenden US-Südstaaten Plantage-Farm; mit Bühnenrequisiten wie Leopardenfell und Riesenteddybär wird versucht, Ambiente zu schaffen. Für die Plastic-Kostüme für Plastic-Gefühle zeichnet Aino Laberenz verantwortlich.

Big Daddy pafft Zigarren, probiert den von Brick offerierten Whisky und einen temperamentvollen Hüftschwung zum Sound of Music, lamentiert über die Unmöglichkeit der Liebe zu Big Mama und stellt das Ökosystem der Familie in Frage.

Videoprojektionen, die die Bühne in blaues Licht tauchen, musikalische Filmausschnitte, Zitate aus ‚Taxi Driver‘ und ‚Psycho‘, Songs von u.a. Nina Simone, Bob Dylan, Evelynn Trouble  («Killer Eyes») live on stage mit E-Gitarre und der irresistible aufspielende Markus Scheumann sind Highlights.

 

 

In selbstherrlicher Pose flucht Big Daddy über die Europäer: « … die Kanacken da drüben, bringen nichts zuwege…», während schwarze Diener mit neckischen Baströckchen herumwuseln und Kulissen schieben. Ein Tribut an die unaufgearbeitete Sklavengeschichte  und den Rassismus der Südstaaten Amerikas der 50er Jahre, jüngst in Oscar-prämierten Filmen wie «Lincoln»und «Django unchained» thematisiert. Der Dreiakter hat Längen, doch es gibt Momente, die den Atem nehmen und man gebannt zuschaut, beispielsweise, als Brick Big Daddy die Wahrheit sagt, dass er todkrank ist.

 

Schlussendlich ein Hoffnungsstreifen am Horizont. Maggie erklärt der ganzen Familie, sie erwarte ein Baby von Brick. Er widerspricht nicht, lächelt, wider besseres Wissen. Vielleicht ein leiser neuer Anfang,  auch anderer Interpretationen von Liebe?

 

 

Stefan Pucher, *1965 in Giessen, Regisseur 2000 bis 2004 unter Christoph Marthaler am Schauspielhaus Zürich, wo er 2010 auch «Tod eines  Handlungsreisenden» von Arthur Miller inszenierte, das 2011 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde sowie in der Spielzeit 2011/12 die Premiere «Endspiel» von Samuel Beckett. Pucher war u.a. am Theater Basel, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin und an den Münchner Kammerspielen tätig.

 

Die Katze auf dem heissen Blechdach
Von Tennessee Williams
Deutsch von Jörn von Dyck
Regie Stefan Pucher
Premiere 22. Februar im Pfauen

Nächste Vorstellung 2. März 2013, 20 Uhr

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