FRONTPAGE

«Irland: Picknick im Piratennest»

Von Ingrid Schindler

 

Irischer geht es nicht! Weite Moorlandschaften, halbwilde Ponies, einsame Inseln, pittoreske Piratenverstecke und skurille Pubs: In Connemara zeigt sich Irland von seiner wildromantischen Seite.

In Connemara beginnt der Frühling schon im Februar. An der Sky Road, die von Connemaras „Metropole“ Clifden, einem Kaff mit zwei Kirchen und zahlreichen Pubs, zu den Inseln im äussersten Westen Irlands führt, blüht der gelbe Ginster, die Fuchsien tragen dicke Knospen. „Der Stechginster blüht immer als erstes“, sagt Brian Hughes, der über die enge Panoramastrasse geradewegs in die Wetterküche über dem Atlantik kurvt. Jäh reisst der Wind die schwarzgrauen Wolken auf und taucht die Küstenlandschaft in dramatisches Licht.

 

„Kommt der Wind von Osten, wird es warm und schön“, erklärt der Hotelier in wasserdichter Wandermontur. Doch heute kommt er wie an den meisten Tagen aus Westen und jagt atlantische Tiefausläufer über den grossen Teich. Das hält den Erfinder der «Connemara Safari» nicht vom Wandern ab: „Klar, dass sich die Wolken freuen, wenn sie nach 4000 km Wasser endlich Land erreichen und sie sich erst einmal kräftig abregnen wollen. Aber das Wetter wechselt so schnell, dass wir alle vier Jahreszeiten an einem Tag erleben.“

 

Den wanderlustigen Besitzer des Abbeyglen Castle Hotels in Clifden zog es schon immer in die wilden Weiten Connemaras und seine vorgelagerten Inseln, die für Wanderungen wie geschaffen sind. Und weil der quirlige Ire dabei Gesellschaft schätzt und lukullische Picknicks in versteckten, unzugänglichen Piratennestern veranstaltet, hat er vor 16 Jahren aus seiner Lust eine touristische Tugend gemacht: die «Connemara Safari». Von Juni bis September, und wenn es die Küche des Castles erlaubt, auch darüberhinaus, veranstaltet er für Gruppen bis zu 15 Teilnehmern Wandertouren auf die Inseln Inishbofin, Inish Shark, die beiden Inishturks und Clare Island. Brians Co-Inselhüpfer Gerry McCloskey ist der Koch des Castles in der Nebensaison. Er kennt wie Brian nicht nur Singing Pubs und Pilgerpfade, sondern jeden Findling und Steinzeitkreis, denn er hat nach 30 Jahren Arbeit in den Küchen Connemaras Archäologie studiert.

 

Hier ein Hallo, dort ein Schwätzchen, Brian und Gerry lassen sich Zeit und die Island Discovery wartet dann eben beim Ablegen auf die Wanderer. Die Fähre verkehrt regelmäßig zwischen dem Fischernest Cleggan in der Clew Bay und Inishbofin, wo das Reich der Piratenkönigin Grace O‘Malley beginnt. Nicht alle der Inseln kann man mit Kursschiffen erreichen und nicht alle sind wie Inishbofin oder Clare Island, der Heimat O‘Malley‘s, bewohnt.
Die Überfahrt dauert eine gute halbe Stunde. Die Fähre zieht in der Clew Bay an Weiden vorbei, auf denen Connemara-Ponies tollen und Megalithgräber seit 6‘000 Jahren Wind und Wetter trotzen, die Kegel der Twelve Bens im Rücken und den kleinen Leuchtturm vor Cromwells Festungsruinen auf Insihbofin im Visier.

 

„Go to hell or go to Connaught!“  hiess es in früheren Zeiten, wenn man jemand aus der Welt schaffen wollte. Ins raue Connemara, das zum County Galway und in die Provinz Connaught gehört, verbannte Oliver Cromwell einst unliebsame Zeitgenossen, vor allem katholische Mönche. Überhaupt ist das einsame Connemara geschichtsträchtiger, als man denkt. „Schon vor 6‘000 Jahren kamen keltische Siedler hierher und begannen mit dem Anbau von Emmer und Einkorn“, erzählt Gerry. Vor der letzten Eiszeit war das Klima schließlich hier wärmer und freundlicher als heute.

 

Einen freundlichen Empfang und angenehmes Wetter erwartete die Falco Blanco Meridiano und andere Galeeren der spanischen Armada nicht, als sie im 16. Jahrhundert in der Clew Bay Schutz suchten. Die Wracks sind heute eine Attraktion für Taucher und bescherten Connemara das Pony.
Einige der Araberpferde an Bord der gesunkenen Schiffe schafften es an Land und kreuzten sich mit den einheimischen Ponies, woraus das robuste Connemara Pony hervorging, das laut Zuchtstatuten maximal ein Stockmass von 1.48 m haben darf.
Auch fremden Handelsschiffen wurde zu Zeiten Elisabeth I. und Francis Drakes in Connemara übel mitgespielt. Gerry deutet beim Einlaufen in den Naturhafen von Inishbofin auf die Klippen: „Von einer Seite zur anderen liess Grace O‘Malley Ketten spannen, so dass die vor Anker liegenden Schiffe nicht hinausfahren konnten und nur gegen Zahlung hoher Wegezölle freikamen.“

 

Die seefeste, navigationstüchtige und schlachtenerprobte Tochter des Clanchefs der O‘Malleys schlug sich derart erfolgreich in den westirischen Gewässern, dass sie als Piratenkönigin in allen Ehren von der gleichaltrigen Elisabeth I. bei Hof empfangen wurde. Die beiden Damen sollen sich auf Anhieb verstanden haben.
Anders als in Piratenzeiten ist der Empfang auf der Insel heute herzlich. Man kennt Brian auch hier, was bei 200 Einwohnern und der irischen Geselligkeit kein Wunder ist. Im Winter käme eh kaum jemand her, meint er, da freue man sich tierisch über jeden Besuch. Doch bevor im Pub Tratsch ausgetauscht, Wetten abgeschlossen und Whiskey-Grogs getrunken werden, wird gewandert.

 

Wanderweg an felsiger Küste entlang

Der Weg verläuft ein paar Kilometer sanft ansteigend über weiches Gras an moos- und flechtenbewachsenen Steinmauern entlang. Die felsige Küste unterbricht immer wieder ein traumhafter Sandstrand. Bricht die Sonne durch, schillert das Wasser in einladendem Karibiktürkis – wärmer als 13 °C wird es jedoch kaum. Die leerstehenden Häuser von Inis Shark gegenüber und Kreuze am Wegesrand zur Erinnerung an Ertrunkene rufen schnell ins Gedächtnis, dass das Leben am Meer hier kein Wellnesspackage ist.
 

Als die Klippen mit den Seevogelkolonien  immer höher werden und sich die Buchten immer tiefer in die Insel eingraben, wechselt die Farbe des Bodens von Weidegrün zu Torfschwarz. Ein grosser Teil der Insel besteht aus Bog, Hochmoor, wie es typisch für Connemara ist. Stege führen über unpassierbare Stellen. Der Himmel weint sich seit Jahrhunderten so heftig in dieser Gegend aus, dass der Boden das Wasser nicht aufnehmen kann. Längst kein Land mehr für Getreide.

 

An einem Felsentor ist Zeit für die Rast. Brian packt Wildlachs aus, Ballyconneely steht auf dem Etikett. Das ist die Räucherei der Roberts, die wegen ihrer Liebe zu Qualität und alter Handwerkskunst als „Hüter der Räucherfische“ bzw. „Food Heroes“ gelten, wie Fischkoch Rick Stein von BBC sagt. Der Lachs schmeckt köstlich, der Pinot Grigio ebenso. Dazu gibt es Sandwiches mit frischen Atlantikkrabben, gefülltes Poulet mit Tomatenbrot und Erdbeeren zum Dessert.

 

Gut gestärkt geht es weiter über die Insel, die ihren Namen einer keltischen Sage verdankt: Ein Fischer und sein Sohn verirrten sich im dichten Nebel vor Inishbofin und beschlossen, Fisch zu braten. Sie entfachten das Feuer mit einem Stück glühenden Torfs, das sie wie alle Fischer immer bei sich hatten. Plötzlich erblickten sie eine Hexe. Die beiden hielten auf sie zu, um sie zu vertreiben. Da verwandelte sich die Hexe in eine weisse Kuh. Der Junge zog diese am Schwanz und siehe da, die Kuh wurde zu einem grossen Quarzfelsen. Der Nebel wich, der Fels blieb und heisst seitdem „Insel der weissen Kuh“. Die Leute heizen hier ihre Häuser heute noch mit Torf.

 

Mit Geschichten und Liedern  ist der Weg zu Robbenkolonien, alten Klöstern und Relikten aus der Eisenzeit kurz. Am Zielpunkt Pub warten schon die nächsten Geschichten. Vor dem Eingang liegt ein Curragh auf dem Kopf, eines der traditionellen Fischerboote Connemaras. Diese bestehen aus mit Schaftalg und Teer abgedichteter Kuhhaut, die sich um einen Holzrahmen spannt. „Wegen ihres flachen Rumpfs und geringen Gewichts sind die Ruderboote extrem schnell“, sagt Brian, den man leicht für eine wortwörtliche Spritztour gewinnen kann.
Dann rudert er seine Gäste, auch ohne Buchung einer Connemara Safari, im Curragh übers Meer nach Inishturk South oder ein anderes gottverlassenes Piratennest. Zufällig steht am Strand eine alte Hummerkiste als Tisch parat, Strandgut dient als Sitz und der Schlossherr alias Safari-Experte zaubert Guiness, Champagner, eine Guitarre und einen gut gefüllten Picknickkorb aus dem Bauch des Boots hervor – und neue Geschichten hat er sicher auch parat. Nur auf das Wetter ist nicht immer Verlass.

 

Connemarra

 

Info: www.discoverireland.ch, Tel. +41 (0) 44 210 41 53, www.connemara.net
Wie kommt man hin? Aer Lingus fliegt 1 x tägl. von Zürich und Genf nach Dublin, www.airlingus.ch. Weiter über die neue Autobahn von Dublin nach Galway (215 km, 2,5 Std.) und von dort nach Clifden (87 km, ca. 1,5 Std.).
 

Wo übernachten? Galway: The Meyrick, stilvolles Grandhotel, www.hotelmeyrick.ie; Clifden: Abbeyglen Castle Hotel, www.abbeyglen.ie, sowie einige B&Bs an der Sky Road; günstig gelegenes Grandhotel am Meer in Flughafennähe, Malahide bei Dublin: www.thegrand.ie.
 

Connemara-Safari: www.walkingconnemara.com. Die 5-Tagestour startet in Clifden, Abbeyglen Castle, führt über Killary Harbour nach Inishbofin, Inishturk und nach Clare Island und kostet all inclusiv 699 Euro, bei früher Buchung 15 % weniger, flexible Termine für Gruppen, auf Wunsch länger.
 

Die Inseln: Unterkünfte gibt es auf Inishbofin, 200 Einwohner, von Cleggan aus in einer halbstündigen Fahrt mit der Fähre erreichbar, sowie auf Clare Island, 120 Einwohner, von Roonagh Pier erreichbar, Inishturk (North), 70 Einwohner, von Roonagh Pier und Cleggan erreichbar.

 

Unbewohnt sind Inishturk (South) und Inis Shark, die nur mit privaten Booten zu erreichen sind. Infos: www.irelandsislands.com.
 

Connemara Highlights:

Connemara Nationalpark: knapp 3000 ha grosser Naturpark mit Hochmooren, Bergen, Seen, Heide; Besucherzentrum in Letterfrack, knapp 3-stündige Wandern auf den 445 m hohen Diamond Hill mit herrlichem Rundblick oder auf einen der Twelve Bens. 25 km Traumstrecke: von Clifden nach Ballyconneely zu den Roberts, www.smokehouse.ie.

Kylmore Abbey: Benediktinerinnenkloster am See zu Füssen des Diamond Hill, viktorianischer Walled Garden, Park, www.kylemoretourism.ie.

Clifden: 1800 Einwohner, das Zentrum Connemaras, bekannt für seine Singing Pubs, im August grosse Connemara Ponyshow, im Sept. Musik- und Poesiefestival.

Galway: drittgrösste Stadt Irlands (75‘000 Einwohner), jüngste, am schnellsten wachsende und irischste Stadt Irlands. Ausgangspunkt für Autorundreisen durch Connemara, berühmt für seine Shops und Pubs, die Universität und das Galway City Museum.

Einkaufen: irische Delikatessen, Whiskey bei McCambridge‘s, 38-39 Shop Street, www.mccambridges.com, Riesensortiment preisgünstiger Bücher bei Charlie Byrne‘s Bookshop, Middle St., www.charliebyrne.com, Original-Claddagh-Ring, der keltische Freundschaftsring beiThomas Dillon, 1 Quay Street.

Stadtführungen: Conor Riordan, www.discoverwest.ie.

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