FRONTPAGE

«Klassik aus Afrika»

Von Hedi Wyss

In der Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich fällt der Blick zuerst auf Büsten aus hellenistischer und römischer Zeit. Die weissen Statuen aus der Antike (die ja ursprünglich farbig waren) gelten als Inbegriff klassischer Kunst, als ein Massstab für Vollkommenheit, den man früher nur der europäischen Kultur zuordnete.

Anfangs des letzten Jahrhunderts entdeckten und sammelten dann innovative Künstler wie Picasso und Klee auch die aussereuropäische Kunst. Dennoch wurde im allgemeinen Bewusstsein, was aus Afrika, dem vorkolumbianischem Amerika oder asiatischen Stammeskulturen stammte, immer noch als «Kunst der Wilden» angesehen.
Der Kolonialismus, der auf sogenannten «Entdeckungen» beruhte, von Ländern, die ja gar nicht unbewohnt waren, das Christentum, die vermeintlich alleinig wahre Weltsicht, schuf diese Vorurteile, dass es nur in Europa eine zivilisierte Welt mit Hochkulturen gab und überall sonst – (ausser vielleicht so alte Reiche wie China) nur Unterentwicklung. Besonders natürlich da, wo wie in Schwarzafrika keine Schrift entwickelt wurde.

Ausstellungen aussereuropäischer Kunst zeigten zwar schon früher einem breiteren Publikum Schönheit und überraschende Ästhetik dieser Werke. Zum Beispiel 1971 auch die legendäre Ausstellung «Kunst aus Schwarzafrika» im Kunsthaus Zürich.

 

 

Nun werden in der Ausstellung «Helden Afrikas» im Museum Rietberg die «klassischen» Porträtbüsten wunderschönen Porträtskulpturen aus Kunsträumen Schwarzafrikas gegenübergestellt. Die Ausstellung, die letztes Jahr im Metropolitan Museum in New York gezeigt wurde, vereint Werke aus diesen Gegenden, die den Vergleich mit Werken auch aus der Renaissance durchaus nicht zu scheuen brauchen.
Es sind vor allem Kunstwerke aus der grossen Tradition afrikanischer Königreiche. Wie im römischen Reich, wie in der europäischen Tradition wurden auch dort Könige, Träger der Tradition adliger Familien in Porträts und Statuen verewigt und für die Nachwelt erhalten. Wunderbare Terrakotta-Büsten in einem klaren Stil und doch mit individuellen Zügen zum Beispiel aus dem 12. Jahrhundert aus Ife, Bronzen aus Benin aus einer Zeit (17. Jahrhundert) als auch in Europa Könige in stilisierten und dennoch individuellen Standbildern für die Ewigkeit dargestellt wurden.
Ausgrabungen zeigen, dass solche Traditionen in Afrika vielfältig waren und sie dort, wo kolonialistischer Einfluss sie nicht zerstörten, bis heute lebendig sind.
Afrikanische Könige, die Hof halten, gibt es noch immer.  Aber zeitgemäss haben sie schon Ende des 19. Jahrhunderts sich modernerer Techniken wie der Fotografie bedient.

 

Ein «neuer Blick auf afrikanische Kunst» – erst jetzt! Obschon eigentlich schon im 16. Jahrhundert Berichte über solche Kulturen, die mit den feudalen Traditionen Europas vergleichbar sind, vorhanden waren. Doch Afrika war im allgemeinen Blick bis heute das Land von «Wilden». Schwarze waren im Bewusstsein der Europäer immer noch «Primitive». In Diskussionen um die Probleme in diesen Ländern kommen solche Vorurteile bis in die jüngste Gegenwart zur Sprache. Nur diese Wahrnehmung machte einen Kolonialismus ohne Skrupel möglich, der nicht nur zu rücksichtsloser Ausbeutung, sondern auch durch christliche Missionierung kulturzerstörend wirkte. Rassismus gegen «Farbige» ist so erklärbar wie auch die Sklaverei, die in Amerika Anfang des 17. Jahrhunderts begann und als Rassentrennung und Diskriminierung bis in die Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts ihre Schatten warf.

Im Metropolitan Museum 2011, im Museum Rietberg 2012 nun dieser neue Blick! Fast ein Jahrhundert brauchte es, bis nun vielleicht gewisse Denkweisen und Vorurteile in Frage gestellt wurden, und nun vielleicht doch endgültig ausgeräumt werden. Hoffentlich. Denn so sicher ist das nicht.

 

Ich habe den Katalog von 1971 durchgeblättert. Auch da wurden schon Terrakotten aus Ife und Bronzen aus Benin gezeigt. Und ein erhellender Artikel beschäftigt sich schon damals ausführlich mit der kulturellen Tradition der grossen Königreiche Afrikas.
Diese Ausstellung, so erinnere ich mich, veränderte damals meine Vorstellung von den Kulturen südlich der Sahara grundlegend. So neu ist also der «Blick » der Ausstellung 2011/12 nicht.
Neu für Nordamerika vielleicht? Ein Land, in dem noch heute von gewissen Kreisen die genetische Unterlegenheit der schwarzen Bevölkerung als Grund dafür, dass Afroamerikaner mehrheitlich weniger erfolgreich sind als Menschen weisser Hautfarbe, genannt wird. Ein Land, in dem konservative Kreise sich noch immer daran stossen, dass ein «Schwarzer» (der ja eigentlich zur Hälfte weiss ist) Präsident der USA werden konnte.

Übrigens ist der Katalog der neuen Ausstellung wunderbar gestaltet und voller hochinteressanter Artikel zu den einzelnen Königreichen – er konzentriert sich auf diese Kunst der Darstellung von Würdenträgern. Aber der Katalog von 1971 ist ebenso interessant und bringt, obschon da noch das Wort «Neger» in den Texten gebraucht werden konnte, noch umfassendere Information zu den verschiedensten Kulturkreisen.

 

Helden – Ein neuer Blick auf die Kunst Afrikas

Hg. Museum Rietberg Zürich. Gebunden, 308 Seiten, 228 farbige und 58 sw Abbildungen, 8 Karten. Scheidegger & Spiess, Zürich 2012. ISBN-Nr. 978-3-85881-348-0 CHF  59.00 | € 50.47 (€ 54.00

 

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