FRONTPAGE

«Reichtümer»

Von Hedi Wyss

In China, wo früher Hungersnöte herrschten, schafft das Wirtschaftswachstum eine neue Mittelschicht. Die braucht nun Statussymbole. Neben Autos, die ständig im Stau stecken, noch anderes, Archaisches: Elefantenzähne fürs Wohnzimmer, Nashornpulver für die Libido. In Afrika wird das geerntet. Mit hoch technischer Ausrüstung und Waffen wie im Krieg wird gewildert. Schlimmer als das jemals war, sagen die Naturschützer. Mühsam früher erkämpfter Schutz des Ökosystems für so berühmte Gebiete wie die Serengeti sind massiv bedroht. Denn Elefanten und Nashörner sind wie alle grossen Tiere darin Schlüssel-Arten. Wenn sie fehlen, ist nicht nur Flora und Fauna bedroht, (die etwa gerade von Elefanten abhängen),  sondern damit auch die Ökonomie von Staaten, deren wichtigste Einnahmequelle heute der Tourismus ist.
Geld, riesige Profite resultieren für die Akteure des illegalen Handels. Es ist ein System vergleichbar mit Drogenhandel und Drogenkrieg. Das Entsetzen ist gross, weil Elefanten Tiere sind, denen die Menschen mit Recht Sympathie entgegenbringen. Denn immer mehr wird auch bekannt, was für differenzierte intelligente Wesen sie sind. Und die afrikanischen Nashorn-Arten, die man in den letzten Jahrzehnten mit ungeheurem Aufwand vor der vollständigen Ausrottung bewahrte, sind in ihrer skurrilen Gestalt ebenfalls Sympathieträger. Was da jetzt geschieht, ist entsetzlich. Und unsinnig. Unwiederbringliche Naturschätze der Gier nach Geld geopfert.
Doch solche Schlächtereien sind nicht neu.

 

Seit Jahren sind auf den Weltmeeren Fangschiffe unterwegs, die Haie jagen, sie aus dem Wasser ziehen, ihnen die Flossen abschneiden und sie dann, so verstümmelt und einem langsamen qualvollen Tod preisgegeben, wieder über Bord werfen. Haifischflossen sind Leckerbissen, die sehr teuer gehandelt werden. Sie werden getrocknet und in riesigen Mengen vor allem in Asien konsumiert. Auch hier ist eine mächtige Mafia am Werk, die vor keinem Mittel, auch nicht vor Mord, zurückschreckt.

 

Seit die Römer in den Amphitheatern Schaukämpfe mit wilden Tieren veranstalteten, seit über Jahrhunderte wegen ihrem Öl und dem Blubber Wale systematisch fast bis zur vollständigen Ausrottung gejagt wurden, – so lange bis Erdöl zur Verfügung stand – wird für Profit gewildert, geschlachtet, ausgerottet.

Walrosse haben sich nie mehr von der Dezimierung erholt, die sie erleiden mussten, als zu Anfang der Industrialisierung ihre robuste Haut massenhaft zur Produktion der starken Riemen für Maschinen „geerntet“ wurde, zusätzlich zu der Verfolgung, die sie immer wegen ihres Elfenbeins erlitten.

 

Im 19. Jahrhundert gab es die ersten Tierschutz Organisationen, aber erst im Zwanzigsten Jahrhundert begannen die grossen Proteste gegen solche Praktiken. Dabei war es immer wirkungsvoller, wenn man ans Gefühl appellieren konnte und sich für Sympathieträger einsetzte: die eindrücklichen Elefanten, die süssen Robbenbabys, die lächelnden Delphine, sie alle weckten den Beschützerinstinkt. Man trägt bis heute ja gern mit Geld und Protesten dazu bei, dass sie nicht von der Erde verschwinden. Solche Kampagnen ha¬ben immer wieder Erfolg. Doch wurden manchmal damit fragwürdige Resultate erzielt. Etwa, als Franz Weber für den Schutz der «Wildpferde» in Australien warb, einer Tierart, die erst durch die Europäer dort eingeführt wurde und die, wie alle Eindringlinge, Konkurrenz für die einheimische Tierwelt ist. Hätten sich wohl die vielen Pferdefreunde für den heimischen, leider ausgerotteten Beutelteufel, auch so freudig eingesetzt, der nicht so lieblich wirkte, aber ein wichtiges Glied des Ökosystems war?

Schwieriger ist es bis heute, Tiere zu schützen, die immer noch Ängste wecken. Den Hai etwa, eine der ältesten Tierarten auf der Welt, von dem Horrorgeschichten und Filme wie der weisse Hai ein ganz falsches Bild zeichneten. Ein Hai hat keine Hätschelgestalt. Wie viele andere Meerestiere auch nicht, die heute als „Beifang“ den rigorosen Fangmethoden der grossen Flotten zum Opfer fallen. Doch wenn das Schlachten so weitergeht, sind die ökologischen Folgen für die Lebensgemeinschaften im Meer fatal, denn auch Haie sind wie die „big five“ in der afrikanischen Savanne Schlüsseltiere in den Lebensgemeinschaften der Meere.

 

Allmählich zwar lernen wir, dass alles Teil der Welt ist, dass Raubtiere, ob Hai oder Wolf, zu einem Ökosystem gehören. Und dass vor allem in der Natur die «bösen Tiere», die «widerlichen Geschöpfe» aber auch die „Schädlinge“ nur in unserer Perspektive negative Eigenschaften haben? Im Zusammenspiel der Natur aber wichtige Rollen spielen?
Und dass sie alle faszinierende Wesen sind, wenn man mehr über sie weiss. Als ich grossen Haien im Meeraquarium zum ersten Mal ganz nah kam, nur durch Glas von ihnen getrennt, war ich absolut begeistert. Ihre seltsam glatte Haut, die doch weich aussah, ihre starren und doch auf eine fremdartige Weise aufmerksamen Augen und die Art, wie sie ruhig und stetig dahinschwammen, das liess mich für einen Augenblick wünschen, ich könnte sie berühren, könnte, gerade weil sie so fremd sind, ihnen nahekommen. Dann las ich, was da an Information über sie stand. Und ich begriff erst, was für wundersame Wesen sie sind: Etwa dass sie Sinnesleistungen zeigen, von denen wir keine Ahnung haben. Sie orientieren sich an den Magnetfeldern der Erde, sie nehmen elektrische Felder wahr, sie legen riesige Distanzen im Meer zurück und kommunizieren mit Lauten, die unser menschliches Ohr nicht hören kann.
Seitdem ist einige Zeit vergangen und in dieser Zeit, da ich aufmerksam wurde, hat sich, so finde ich vieles getan in Bezug auf Erkenntnisse was Tiere betrifft. Die alte Vorstellung, dass nur wir Menschen denken, planen, kommunizieren können, ist in Frage gestellt. Plötzlich zeigt sich, dass auch andere Tiere und nicht nur unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, Traditionen weiter geben, dass viele unter ihnen – auch Vögel wie Krähen -, Werkzeuge benutzen. Dass Tiere, die in sozialen Verbänden leben, verschiedenste Laute austauschen die klare Bedeutungen haben. Und dass ihre Körpersprache so differenziert ist, dass wir Menschen, die wir auf die gesprochene Sprache fixiert sind, sie gar nicht bemerkten. Auch nicht bei Kühen und Pferden etwa, die wir ja seit jeher als Nutztiere halten.
Wale und Singvögel haben lokale Dialekte. Elefanten und Schimpansen verfügen, so liess sich das durch Versuche beweisen, über Ich-Bewußtsein. Elefanten und Wale können über weiteste Distanzen miteinander kommunizieren. Und sogar mein Huhn im Garten unterscheidet klar unter verschiedensten Hühnern und Menschen, kennt sie persönlich. Und dann finde ich vor einigen Tagen eine Notiz, daß Bienen mit Blüten mittels elektrischer Impulse kommunizieren.
Ameisen bauen Futter an, oder adoptieren Schmetterlingsraupen. Und es zeigt sich, wie ausgeklügelt in Bezug auf Wärme, Lüftung etc., Termitennester gebaut sind.
Jetzt, da den Forschern die verschiedensten technischen Hilfsmittel zur Verfügung stehen – von Sendern, die auch an kleinsten Lebewesen wie Insekten angebracht werden können, bis zu Fotofallen und ausgeklügelten Computerprogrammen, mit denen all diese Informationen ausgewertet werden, wird immer neues entdeckt.

Immer mehr Wissen aus umfangreichen Forschungen ergänzen ein neues hochinteressantes Bild all dessen, was die Evolution in Jahrmillionen gebildet hat. Und es zeigt sich, dass der Mensch, auch er ein Resultat der Evolution unter vielen, nicht einfach in allem den anderen Wesen überlegen ist. Sondern dass er nur ein Teil der Vielfalt ist, die als Gesamtes einen absoluten Reichtum darstellt, den wir eben erst so richtig entdecken.
Da sind solch einfache fatale Einteilungen gerade in der Tier- und Pflanzenwelt etwa in „hässlich“ und „schön“, in «gute» und «böse» Wesen, absolut falsch. Die Natur bietet, das ist klar, keine Idyllen, sondern ist voller Widersprüche und komplexester Beziehungen und Wechselwirkungen. Tod gehört darin zum Leben wie die Geburt, ohne Räuber am Kopf der Nahrungskette an Land und im Wasser, können die friedlichen Vegetarier, die ihre Beute sind, nicht existieren.

„Schönheit“, wie wir Menschen sie wahrnehmen, ist überall dort, wo die Zusammenhänge noch da sind, wo die Natur als Ganzes nicht absolut gestört ist. Dort wo die grossen Tierwanderungen noch Platz haben wie in Teilen der Savanne Afrikas, dort, wo die Vielfalt sich wunderbar farbig zeigt, in den Korallenriffen, in den letzten Teilen der Urwälder in allen Zonen.

Es ist ein seltsames Paradox der Gegenwart: Der Mensch hat endlich die Möglichkeit, die Natur immer besser zu begreifen, die Komplexität, die Schönheiten zu sehen; und genau zur selben Zeit ereignen sich die schrecklichsten Zerstörungen. Auch vom Menschen gemacht, aus Profitsucht wie bei der sinnlosen Wilderei der grossen afrikanischen Tiere, oder aus Not, weil die Menschen sich so ungebremst vermehren, dass sie all die andern Lebewesen verdrängen müssen.

Es ist nicht so, dass der Krieg der Wilderer gegen die Elefanten unbemerkt geblieben ist. Auch die Naturschützer rüsten auf. Falls sie genug Geld zur Verfügung bekommen könnten, nehmen sie den Kampf auf.

Der Kampf um die letzten Teile der Natur, ist einer der Kämpfe, die die Zukunft bringen wird, ein Kampf unter vielen anderen: ums Wasser, um Land und Lebensraum. Kämpfe, wie sie alle schon in unserer Zeit begonnen haben.

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