FRONTPAGE

«VOGUE – Jahrmarkt der Träume»

Von Marion Löhndorf

 

Vor 100 Jahren erschien die erste Ausgabe der britischen «Vogue». Das nimmt die National Portrait Gallery in London zum Anlass für eine opulente Schau, die ex negativo auch immer unsere Vorstellungen von Stil und Schönheit befragt.

 

Eine Londoner Ausstellung feiert das stilbildende Modemagazin «Vogue»

Die Ausstellung ist vieles: eine Feier der etabliertesten aller Modezeitschriften, ein Spaziergang durch die Geschichte der Modefotografie, aber auch ein Zeitgeist-Brevier. Zugleich macht sie ihr Publikum wie nebenbei zur Hauptsache: Der Foto-Parcours wird zum Laufsteg. Viele Besucherinnen sind auffällig, elegant oder wenigstens sorgfältig gekleidet und für Museumsverhältnisse ziemlich laut. Fachsimpelnde, mit ihren Stilkenntnissen auftrumpfende Fashion Victims ziehen durch die Räume, Designstudentinnen und Models – oder Frauen, die gern welche wären – balancieren auf waghalsigen Absätzen, alte Damen und gelangweilte Schulklassen schubsen sich gegenseitig. Denn in der «Vogue»-Ausstellung herrscht Gedränge. Nur wenige Männer sind auszumachen. Sie tragen seidene Bomberjacken mit auf dem Rücken aufgestickten Flamingos oder dezente Tweed-Anzüge wie George Passmore vom Künstler-Duo Gilbert and George, den es am Tag unseres Besuchs zufällig auch ins Museum am Trafalgar Square zog.

Ikone der Medienwelt

Was wollten all die animierten, parfümierten Leute sehen? Für jene, die sie nicht lesen, ist «Vogue» nichts anderes als eine Hochglanzzeitschrift oder ein Ärgernis, das stereotype Schönheitsideale multipliziert. Die Fans aber, die Modeindustrie und die Trendverfolger, lieben das Magazin als Ikone der Medienwelt. Sie halten, zu allererst, die Förderung der Modefotografie für das Verdienst der Zeitschrift. Die Ausstellung legt dann auch – und ganz zurecht – ihren Schwerpunkt auf das Thema.

Der Gang durch die «Vogue»-Geschichte weist von der Gegenwart in die Vergangenheit. Alle grossen (Mode-)Fotografen sind mit meisterhaften Aufnahmen vertreten – von Cecil Beaton, der zeitlebens an seiner Idee eines romantischen Glamour festhielt, über Helmut Newton mit seinen Macht- und Angstphantasien, dessen stilprägende Arbeiten die siebziger Jahre dominierten, bis hin zu Tim Walker, dessen surrealistische Welten heute so oft die Seiten des Magazins füllen.

Zur Einstimmung, gleich am Anfang der Show, gibt es auf mehreren Leinwänden Filme begehrter Models in Endlosschleife, die einem Spiegel reflektiert werden. Das Ganze beginnt mit der Gegenwart und mit Models der Stunde, wie Cara Delevingne und Fussballer-Sohn Brooklyn Beckham. Omnipräsent ist das unsterbliche Lieblings-Mannequin der britischen «Vogue», Kate Moss. Daran, dass man in England ist, erinnern unter anderem Fotos von Prinzessin Diana und Margaret Thatcher. Auch der Kate-Moss-Entdeckerin, der früh an einem Hirntumor gestorbenen Fotografin Corinne Day, die ebenfalls als Model anfing, wird da gedacht.

 

Wie ein Sinnbild der britischen Mode prangt eine riesig vergrösserte Tim-Walker-Fotografie des genialen Couturiers Alexander McQueen mit Zigarette und Totenschädel unter einem Rundbogen: die Ausstellung wird zu einer Ruhmeshalle und mit ihr betreibt «Vogue», die eben auch eine Macht-Maschine ist, Mode-Politik. Die Zeitschrift und mit ihr die Ausstellung spüren dem nach, was den Stil und die Schönheit der Stunde gerade definiert: die Antworten sind vielfältig. Sehr schlank, sehr jung und sehr reich auszusehen war im Modebusiness, wie sich beim Spazieren durch die Geschichte von 100 Jahren «Vogue» herausstellt, immer schon «en vogue». Nur für Frauen, versteht sich. Andere Welten, wie die des Films, der (Pop-)Musik, der Kunst und des Alltags folgen anderen Gesetzen und eröffnen weiter gefasste Möglichkeiten. Aber auch die werden von «Vogue» immer auch gestreift. So dass der Reiz zwischen Exklusion und Inklusion nie ganz aus der Balance gerät.

 

 

Zeitgeist-Chronik

«Vogue» – das ist auch die Geschichte von Stars und Marken: die Modelle, die Mode und die Fotografen selbst werden und wurden zu Brands – das gilt für die Männer hinter der Kamera wie Mario Testino, Nick Night, David Bailey ebenso wie für die Supermodels, deren Vornamen ausreichen müssen und schon alles sagen: Naomi, Linda und Claudia, Kate und Cara. Zum «Vogue»-Kosmos gehört ein Querschnitt durch die (weitgehend arrivierte) Gesellschaft. Die Sphären der Pop- und Rockmusik, des Adels und der Kunst überschneiden sich hier, wo sich alles trifft was, Macht und Geld hat oder schick sein will.

 

Die Ausstellung bemüht sich mit einigem Erfolg, auch die intellektuelle Seite des Magazins hervorzuheben. Dabei werden Dichter, Denker, Schauspieler und Politiker in ein jeweils besonders schmeichelhaftes Licht gesetzt: Irving Penn schafft es, den pausbäckigen Schriftsteller Evelyn Waugh fast sexy aussehen zu lassen und Tony Armstrong-Jones setzt den Dramatiker John Osborne, der sich 1956 mit «Blick zurück im Zorn» auch selbst das Image eines «angry young man» erschrieb, cool in Szene. Wir sehen die Porträts von Dylan Thomas, den John Deakin fotografierte, und Francis Bacon, der oft nach Deakins Bildern malte. Nicht zu vergessen die Schriftstellerinnen, die das Magazin publizierte, darunter Virginia Woolf und Jeanette Winterson.

 

 

Fiktionen und Widersprüche

Die Bilder und Welten, die Fotografen und Models zusammen mit Stylisten, Make-Up-Künstlern, Friseuren und Set-Designern erfinden, schaffen Sehnsüchte: Wir sollen schöner, schlanker, jünger und reicher sein, als wir es vielleicht sind. Herzstück jeder «Vogue» sind die Geschichten, die Foto-Stories, mit ihren verlockenden oder luxuriösen Lebenswelten, in die wir eintauchen dürfen, die sich in den meisten Fällen aber nur marginal mit unserem Alltag überschneiden: Die Bilderserien erwecken Wünsche, gepaart mit der Verheissung ihrer – gegen Bezahlung erhältlichen – Erfüllung und dem Bewusstsein ihrer Vergeblichkeit. Auch so entsteht ein kleines, unsterbliches, offenbar für viele Leserinnen reizvolles Paradox.

 

Wir sollen den Modehäusern die Kleider abkaufen, in der (stets vergeblichen) Hoffnung, dass sie unser Dasein verändern oder erneuern werden. Doch um Mode selbst geht es in dieser Ausstellung ja nur am Rande. Sie illustriert das «Best of» der gedruckten Traumfabrik, die das Modemagazin von jeher war. Schliesslich ist es berühmt für seine perfekt inszenierten, eskapistischen Fiktionen. Zugleich versteht es sich, nach den Worten der derzeitigen Chefredaktorin der britischen Ausgabe, Alexandra Shulman, als Chronik des zeitgenössischen Stils und der Kultur im weiteren Sinne: Dies erst mache «Vogue» aus und gebe dem Magazin eine breitere Basis als den meisten anderen Modeblättern. Zugleich ist es ein Widerspruch, mit dem «Vogue» lange schon gut lebt, die unverhohlene Wirklichkeitsflucht und ein – fast immer – an der Oberfläche geglätteter Realitätsbezug.

 

 

Naturgemäss hält sich das Magazin selbst für so etwas wie das Zentrum des Zeitgeist-Universums, oder tut wenigstens so, denn «Vogue» ist nicht naiv. Aber Klappern – oder eine grosse Klappe – gehört zum Handwerk. Eine der legendärsten Ex-Herausgeberinnen, die Französin Carine Roitfeld, raunte: «‹Vogue› ist eine sehr spezifische Welt. Entweder man ist ‹Vogue› oder man ist es nicht.» Und die berühmteste aller Herausgeberinnen des Magazins, die in New York herrschende Britin Anna Wintour, sagte: «In ‹Vogue› zu sein, muss etwas bedeuten. Es ist eine Bestätigung, ein Gütesiegel.» In England regiert Alexandra Shulman seit 1992 das Magazin, und Shulman, eine bekennende Feministin, hat eine ganz andere, nüchterne Einstellung dazu: «‹Vogue› entspricht eigentlich nicht meinem persönlichen Geschmack. Ich sehe sie als eine Art Zeitung. Die berichtet, was draussen vorgeht, bis zu einem gewissen Grad, mit mir als Editorin.» Shulmans weniger schwärmerische, weniger auf Verführung abzielende Handschrift hat der Zeitschrift gut getan. Sie entspricht auch dem Modegeschmack auf der Insel, der wagemutiger und exzentrischer ist derjenige in Mailand, New York oder Paris.

 

 

Ausstellung bis 22. Mai.

Begleitpublikation:

Robin Muir: «Vogue» 100: A Century of Style.

National Portrait Gallery Publications, London 2016.

304 S., ca. 350 Illustrationen, £35.

 

(Erstveröffentlichung NZZ 17. März 2016 mit freundlicher Genehmigung der Autorin).

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