FRONTPAGE

«Wiener Philharmonikerball: Die Tuba tanzt. Die lange Nacht im Vatermörder»

Von Ingrid Schindler

 

Der Philharmonikerball im Goldenen Saal des Musikvereins ist für viele Wiener noch exklusiver und nobler als der Opernball. Wie man sich kleidet, stylt, logiert und auf Walzer und Quadrille vorbereitet – Vorbereitung auf eine rauschende Ballnacht.

Es ist immer dasselbe: Frauen wollen, Männer nicht. Schon als Kind war für mich Walzertanzen das Höchste. Wiener Walzer, der schönste Tanz der Welt, der sofort beste Laune macht. Teufelstanz, schimpften die Pfaffen, als er vor 200 Jahren durch den Wiener Kongress in Mode kam, lustvoll, ekstatisch, schwindelerregend schnell. Das Bonmot von Charles de Lignes machte die Runde: «Der Kongress tanzt, aber er bewegt sich nicht.»
Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei, rechtsherum, linksherum, zuerst brachte mir mein Vater die Schritte bei. Dann Ballettstudio, Tanzschule und ein Tanzmuffel als Mann. Der Traum von rauschenden Ballnächten ist Traum geblieben. Aber damit bin ich nicht allein. Es steht sogar Schwarz auf Weiss im neuen Grossen Elmayer, dem österreichischen Knigge: «Es ist ein beklagenswertes Phänomen, doch die Spezies des leidenschaftlichen Tänzers ist vom Aussterben bedroht. Der Solo-Herr ist leider in der Minderzahl, dabei wäre er doch das Um und Auf eines erfolgreichen Balles.» Und dann schneit mir eine Presseeinladung zum Philharmonikerball herein. Walzer-Crashkurs, Kostümleihe und Styling inklusive. Aber woher einen Partner nehmen? Österreich-Werbung winkt ab: Keine Sorge, unter den Kollegen aus aller Welt wären sicher gute Tänzer dabei, ausserdem seien Elmayers Eintänzer vor Ort.

 

 

Gutes Benehmen gefragt
Um den Namen Elmayer kommt man in Wien in puncto Ball und Benimm nicht herum. Vor 99 Jahren hat Rittmeister Willy Elmayer von Vestenbrugg die berühmte Tanzschule bei der Hofburg gegründet und zum führenden Institut gemacht. Seit 1987 leitet sein Enkel Thomas Schäfer-Elmayer (73), Diplomkaufmann und HSG-Absolvent, die Tanz- und Manieren-Schule und eröffnet mit seinen Jungdamen- und Jungherrenkomitees die Traditionsbälle der Stadt. Die Kurse sind nach wie vor überaus gefragt. Inzwischen machen sich auch Japaner und Chinesen bei Elmayer in europäischem Savoir vivre fit.
In der fünften Jahreszeit feiern die Wiener nicht eigentlich Fasching, sondern Ball. «Auch eine Art höfischer Maskerade», sagt Pressemanagerin Isabella Rauber von Wien-Tourismus. Jeder Berufstand hat seinen eigenen Tanzevent. Mit rund 450 Bällen und über einer halben Million Besuchern im Jahr bildet das Wiener Tanzbusiness einen florierenden Geschäftszweig, Networking- und Handelsplatz. Wiener Walzer ist Exportschlager und Tourismusmagnet, die Statue von Johann Strauss Sohn das meistfotografierte Monument der Stadt. Der dreimal verheiratete und vierzehnmal verlobte Walzerkönig mit der schwarzen Lockenmähne war seinerzeit ein umschwärmter Superstar – er hielt sich extra schwarze Pudel, um die Lust seiner Verehrerinnen auf eine seiner Locken zu befriedigen.

 

 

Die Tuba tanzt. Der Ball der Musiker
Die glamourösen Bälle in der Hofburg, Oper und den Fürstenpalais werden in über 30 Ländern der Welt kopiert. «Aber nichts kommt an die Originale heran», findet Rauber. Das liege nicht nur am Prunk und romantischen Flair der Stadt, sondern an der speziellen Wiener DNA, ist die Touristikerin überzeugt. Der Herzensball der Wiener ist der Philharmonikerball im Goldenen Saal des Musikvereins, «ein Künstlerball und noch exklusiver als der Opernball». Die Wiener lieben ihre Philharmoniker, deren Neujahrskonzert 50 Millionen Zuschauer in 92 Ländern verfolgen. Die Tickets dafür sind so teuer und rar, dass im Vergleich dazu der Ball mit 180 Euro für die Stehkarte direkt ein Schnäppchen. Die teuerste Loge (acht Plätze) ist für 14’000 Euro zu haben. Die 3’600 Karten waren innert einer Stunde ausverkauft. Wer wer ist in Wien, ist dabei.
Der Tubaspieler des Orchesters, Paul Halwax, ist Organisator und Chef des Balls. Für einmal trifft man ihn und andere Philharmoniker nebst Dirigenten, Operndiven und Ballerinas auf der Tanzfläche, sobald Tanzmeister Elmayer nach der feierlichen Eröffnung «Alles Walzer» verkündet. Bigbands übernehmen bis morgens um Fünf das musikalische Repertoire. Zusätzlich werden im Foyer, den Musikergarderoben, Räumen von Bösendorfer und den Katakomben des Musikvereins Volksmusik, Disco und musikalische Kostbarkeiten zwischen Klassik und Jazz geboten.
«Für viele Ballbesucher ist der Höhepunkt der Ballnacht die Fledermausquadrille von Johann Strauss Sohn um Mitternacht, die auf allen Traditionsbällen getanzt wird», erzählt Isabella Rauber. Der sechsteilige, französische Gesellschaftstanz (auch als Française bekannt), der zu viert nach Ansage des Tanzmeisters getanzt wird, lässt die Wiener auf die Tanzfläche stürmen und sorgt für Heiterkeit und Chaos. Gezielt, denn Elmayer schickt absichtlich Störerpaare auf den Plan.

 

Leihen ist günstiger als kaufen
Wenn «die Gspritz’n» tanzen, wie die Wiener sagen, muss es nobel sein. Wie beim Opernball sind bodenlanges Ballkleid für die Dame und Frack mit Fliege und Vatermörder für den Herrn vorgeschrieben. Der hohe, steife, nach vorne offene Stehkragen, den man zum Frack trägt, man denke an Karl Lagerfelds Kläppchen- bzw. Kentkragen, kam ebenfalls wie der Walzer mit dem Wiener Kongress in Mode. Das Wort leitet sich nicht vom unangenehmen Druck ab, den der Hemdkragen auf den Adamsapfel ausüben und der dem Träger die Luft rauben kann, sondern von einer Verwechslung der französischen Begriffe parasite, Mitesser – Speisereste bleiben leicht in den Spitzen der Kläppchen hängen – und parricide, Vatermörder. Wenn Mann den Schwalbenschanz (engl. white tie, französisch cravatte blanche) nicht gewohnt ist, sollte er genügend Zeit fürs Anlegen aller Einzelteile einrechnen. Eine Stunde etwa, rät der Grosse Elmayer. Selbstverständlich bindet sich der Herr von Welt das Mascherl, wie die Wiener die Fliege nennen, selbst und trägt keine Fertigfliege. Ebenso keine Armbanduhr, sondern eine Taschenuhr an der Goldkette.
Viele Wiener besorgen sich Frack und Ballkleid im Kostümverleih. «Wer hat schon zuhause einen Frack im Schrank?» fragt Monika Mikula bei der Kleiderprobe bei Flossmann, «und welche Dame trägt schon zweimal dasselbe Kleid?» Rund 400 Roben hängen dort in allen Farben und Formen bis Grösse 50 an der Stange. Trotzdem bleibt am Schluss keine Riesenwahl. «Viele Damen kommen schon im Oktober. Bis zum Ball bleibt das Kleid jeweils für die Kundin reserviert, da es für sie abgeändert wird» erfahren wir von der Schneiderin. 300 Euro kostet die Leihgebühr, 100 Euro kommen für die Reinigung und Versicherung dazu. «Manchmal kommen die Stücke zerfetzt zurück und landen auf dem Müll.»

 

 

In der Fürstensuite ballfein gemacht
In der Tanzschule Elmayer bekommen wir am Balltag eine Schnellbleiche in Sachen Walzer und Quadrille. Wir drehen uns auf Thomas Schäfer-Elmayers Kommando im Kreis. Soweit man auf Gummisohlen drehen kann. Den Bloggern aus Peking, Sao Paolo und New York gelingt der Kampf um den Dreivierteltakt in Sneakers mässig, nur der Mailänder Moderedaktor schwingt elegant mit der Kollegin aus Moskau auf Ledersohlen durch den Saal.
In den prunkvollen Fürstensuiten des Hotel Imperial werden wir anschliessend bei Champagner und Petit Four von Make-Up- und Coiffure-Artistinnen mit Haartürmen ballfein gemacht und die Herren akkurat zurecht gestutzt. Das Haus am Ring liegt direkt gegenüber dem Musikverein, unweit der Kärtnerstrasse, Staatsoper und des Würstelstands Bitzinger vor der Albertina, wo sich im Morgengrauen die letzten Ballbesucher. Es wurde 1863 als imperiales Palais Württemberg für die Schwester und den Schwager des Kaisers gebaut, nach drei Jahren verkauft und 1873 als luxuriösestes Hotel der Welt eröffnet. Als Nobelabsteige für Hoheiten und Weltstars, wie uns Herr Moser anhand von Bergen an Gästebüchern zeigt. Mit Glacehandschuhen blättert der langjährige, ehemalige Concierge durch unzählige illustrer Signaturen und erzählt die passenden Anekdoten dazu. Nach Michael Jackson, Charly Chaplin, der Queen und dem Schah von Persien landet er irgendwann beim Filmemacher Wes Anderson, der sich vom Chefconcierge die Stadt, Oper und Unterwelt des Hotels zeigen liess. Moser wurde zur Inspiration und Quelle für Montgomery’s Erfolgsfilm «Grand Budapest Hotel». Zu seinem Leidwesen konnte er selber nur eine kleine Rolle am Rande übernehmen, denn gedreht wurde während der Ballsaison und da hat ein echter Concierge keine Zeit.
So viele Eindrücke prasseln im Galopp auf uns ein, dass in der Ballnacht bei unseren Herren das Gelernte wieder vergessen ist. Abgesehen von Mailand mit Moskau schwebt keiner der Journalisten mit den Kolleginnen übers Parkett. Sie geben uns Damen lieber ihre Smartphones in die Hand und lassen sich für ihre Follower beim Tun-als-ob filmen. Die Taxitänzer sind beim Walzer übrigens hoffnungslos ausgebucht, die Tanzfläche ist voll. Nur bei Foxtrott schiebt mich ein junger Schnösel wie eine Mumie übers Parkett. Trotzdem werde ich vom Ballvirus infiziert. Soviel Walzer wie Peking, Brasilien und New York kann mein Mann auch. Elmayer wird’s beim nächsten Mal schon richten.

 

 

 

Ball mit Stil in Wien
Klassische Bälle: www.wienerphilharmoniker.at (Musikverein), www.wiener-staatsoper.at (Opernball), www.kaffeesiederball.at, www.zuckerbaeckerball.com (beide Hofburg), Ball der Wiener Sängerknaben www.wsk.at (Palais Coburg).

Übernachten im ehemaligen Palais Württemberg: www.imperialvienna.com. Kostümverleih: www.flossmann.at (Frack und Abendrobe). Tanzschule Elmayer: www.elmayer.at (Walzer-Crashkurs). Frisur, Make-up: www.visagist-rosi.com (kommt ins Hotel). Essen: Schwarzes Kamel, Opus, Ludwig van, Bitzinger Würstelstand. Info: www.vienna.info

 

NACH OBEN

Reportage


Buchtipp


Kolumnen/
Diverses