
Rodolphe Schacher, schweizerisch-französischer Komponist (*1973)

Suite Rêveries Nocturnes, erste Musikbeispiele

AutorInnen der Komponistenwerkstatt im Aargauer Literaturhaus Lenzburg

AutorInnen der Komponistenwerkstatt mit Leiter René Frauchiger
«Rêveries Nocturnes» Suite für Orchester: Interview mit Rodolphe Schacher, Komponist.
Von Pia Troxler
Es ist eine Sensation! Zehn Uraufführungen von neu komponierten Werken zeitgenössischer Musik vom 11. bis 24. Mai 2025! Das verdanken wir dem Verband Schweizer Berufsorchester, der mit seinen Orchestermitgliedern das Musikvermittlungsprojekt «zusammen, insieme, ensemble» initiierte, in dem Kompositionsaufträge an in der Schweiz lebende Komponist:innen vergeben wurden und das zudem Werte wie Inklusion, Partizipation und Austausch pflegen möchte.
Das Aargauer Orchester «argovia philharmonic» (www.argoviaphil.ch) gewann den schweizerisch-französischen Komponisten Rodolphe Schacher für sein Auftragswerk.
Pia Troxler: Rodolphe Schacher, du bist Komponist aus Leidenschaft. Hast du immer gewusst, dass du diesen Beruf ausüben würdest?
Rodolphe Schacher: Nein. Ich habe nur immer gewusst, oder fast immer, dass ich mit Musik arbeiten werde. Ich habe sehr früh mit Musik angefangen, am Klavier, mit fünf Jahren. Mit 13 habe ich irgendwie gewusst, ich möchte mein ganzes Leben mit Musik verbringen. Ich habe sehr viel gelernt, wie man komponiert, wie man Musik schreibt, wie man orchestriert, alles. Dann war ich an einer Vorstellung, es war disneyartige Musik, das spielt aber keine Rolle, da spürte ich, wie mein Beitrag das Publikum berührt, und ich habe gewusst, oder besser gehofft, dass ich weiter Musik schreiben würde, dass ich besonders mit Musik Klangfarben erschaffen und Emotionen darstellen möchte. Das war mein grösster Wunsch. Deshalb bin ich sehr glücklich, dass ich jetzt Komponist bin. Das ist manchmal nicht einfach. Es gibt Kollisionen zwischen Projekten und Dinge, die nicht so ideal sind. Ich würde sagen, mit 20 habe ich gewusst, ja, ich möchte Musik komponieren, habe aber nicht gewusst, ob ich das überhaupt kann und ob ich die Chance und das Glück haben würde, das zu verwirklichen. Es muss Leute oder Orchester geben, die einem einen Auftrag geben oder sagen, okay, wir werden von dir etwas spielen. Das war gar nicht klar am Anfang.
Ich habe in Zürich studiert, hatte da einen guten Lehrer. Dem habe ich Partituren von mir gezeigt und gesagt, ich weiss überhaupt nicht, ob ich damit irgendwann eine Chance haben werde. Er sagte, ja sicher. Sicher wirst du. Das war mir sehr wichtig, das zu hören. Er hat mir zwar keinen Auftrag gegeben, er war ja mein Lehrer, aber er hat mir gesagt, sicher, das wird kommen. Danach habe ich Geduld gehabt und viel gearbeitet. Seit 2002/2003 komponiere ich ununterbrochen. Ich bin glücklich. Die Hauptsache ist, immer wieder etwas Neues zu kreieren. Es ist nicht alles neu, aber ich habe fast in jedem Stück einen neuen Klang gefunden. Für mich stimmt das, was ich jetzt mache.
Pia Troxler: Wir sind beide Teil der «Komponistenwerkstatt» der argovia philharmonic und des Aargauer Literaturhauses Lenzburg. Wie kam es zu diesem Projekt?
Rodolphe Schacher: Ich komponiere nicht gern ohne einen Inhalt, einen roten Faden, ein Bild, ein Thema, eine Geschichte. So hatte Janina Kriszun von argovia philharmonic die Idee, die Musikkomposition könnte mit Texten verbunden werden. Ich war nicht skeptisch am Anfang, aber vorsichtig. Was ist, wenn diese Texte mir nicht gefallen, was mache ich dann? Da ich immer optimistisch bin, wenn es um eine Komposition geht, dachte ich, ich werde bestimmt einen Weg, eine Verbindung zu diesen Texten finden. So entstand die «Komponistenwerkstatt»: Zu Janina und mir kam René Frauchiger dazu, Leiter Werkstätten des Aargauer Literaturhauses Lenzburg, und brachte eine Gruppe von 10 schreibwilligen Autor:innen mit. Am Kick-off-Treffen im Kurtheater Baden habe ich euch alle zum ersten Mal gesehen. Danach, vor dem Konzert in Baden, hat der Autor Peter Woodtli mich angeschaut und gesagt: «Sie sind mutig.» Als ob dieses Projekt gefährlich für mich wäre. Ich mochte es, dass er das sagte. Ich finde mich nicht mutig. Alle Leute, die ich in der Schweiz kenne und kennenlerne, sind immer nett und sind gute Menschen. Für mich war es kein Mut, den ich brauchte, für mich war dieses Projekt schön. Ich zweifelte nie daran.
Ihr verfasst unter der Leitung von René Frauchiger Texte als Grundlage und Inspiration für meine Musikkomposition, die eine Suite werden sollte. Irgendwann dachte ich, vielleicht wird es nicht einfach. Fünf Texte sind es. Fünf lange Texte. Was mache ich mit so viel Text? Ich kann nicht alles vertonen. Ich merkte dann, in allen Texten ist es dunkel, in allen Texten spielt Dunkelheit und die Nacht eine Rolle. Das gefiel mir sehr. Für die Musik ist die Nacht wunderbar. Wenn man an «Verklärte Nacht» von Arnold Schönberg denkt. Die Nacht ist geheimnisvoll. Was mir zudem sehr gefallen hat, die Texte waren irgendwie märchenhaft. Das ist für mich immer das Schönste, wenn ich in diese Richtung gehen, in diese Stimmung eintauchen kann. Ein Märchen öffnet viele Türen zur Musik. Ein Märchen ist Musik.
Pia Troxler: Rodolphe Schacher, schliesslich hast du fünf Texte in Musik verwandelt. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Rodolphe Schacher: Also für mich sind die fünf Texte – vielleicht ist ein Text ein bisschen schwieriger gewesen. Ich nehme deinen Text als Beispiel. Ich habe «Zum Mond» gelesen, gelesen und nochmals gelesen. Ich habe mir das richtig bildhaft vorgestellt, wie eine Szene. Das Mädchen am Anfang, das nicht gut schlafen kann, und sie geht nach draussen. Da ist es dunkel und es hat diese Bewegung in den Bäumen. Ich sehe Bilder und die klingen bereits auf irgendeine Art. Dann ist alles dunkelgrau. Es hat etwas Graues. Ich glaube, sie ist vielleicht nicht ganz glücklich am Anfang. Das ist jetzt meine Interpretation. Plötzlich schaut sie nach oben und sieht da ein Licht, ein Objekt, und es entsteht eine Verbindung. Ich sehe das wie einen Film oder eine Animation, oder was weiss ich, und sehe eine Bewegung in der Musik, sehe diese Bäume … Mit so schönen Texten ist es einfach für mich. Sie enthalten zahllose Bilder, enorm viele Momente, so kann ich Ideen finden in ihnen und vieles entdecken. Dabei höre ich etwas, das wie einen Rahmen bildet, höre die Art, wie die Musik sein könnte, nicht genau die Töne und die Harmonien, eher eine Konstellation von Klängen und Stimmungen. Dann gehe ich ans Klavier und spiele und probiere aus, was ich gehört habe, und notiere so schnell ich kann, was mir gefällt. Das werde ich dann noch stark bearbeiten. Später beim Joggen zum Beispiel oder wenn ich irgend etwas mache, fällt mir ein, was ich geschrieben und komponiert habe und ich denke, ja, so stimmt es, oder ich spüre, wie ich es ändern muss. Ich brauche Zeit zwischen der Idee und dem Komponieren, damit es reifen kann.
Etwas fand ich nicht ganz einfach. Ich musste euch treffen, das war so abgemacht, dass ich Hörbeispiele oder Skizzen vorstelle. Ich verstehe das, es ist der Gruppenprozess, aber eigentlich zeige ich nicht gern etwas, das nicht fertig ist. Ich habe euch dann, ich glaube, ja, von vier Texten habe ich Hörbeispiele vorgestellt und auf dem Klavier gespielt. Aber am liebsten fange ich mit einem Stück an und komponiere dieses gleich ohne zu unterbrechen bis zum Schluss. Erst dann beginne ich mit dem nächsten. Und in diesem Fall musste ich Ideen sammeln, aufschreiben und sofort weitere Ideen suchen, damit ich euch einen Eindruck vom Ganzen vermitteln konnte. Das war nicht einfach für mich, aber auch nicht allzu schlimm. Ich habe mit «Zum Mond» angefangen, hatte eine Idee davon und hätte diese gern weiterverfolgt, musste dann aber an einer andern Idee arbeiten. Nach dem Treffen mit euch habe ich zu mir gesagt, fertig, ich starte nochmals von vorn. Ich nahm wieder deinen Text «Zum Mond» und verfolgte die Idee, die ich davon hatte, bis zum Schluss. Dann den nächsten Text. So komponierte ich einen Satz der Suite nach dem andern.
Ich verstehe das, ein Filmmusikkomponist kann dem Team auch nicht eine einzige Szene vorstellen und sagen, solange diese Szene nicht wirklich vollendet ist, kann ich nichts anderes zeigen. Das geht nicht. Da ich an zwei Projekten gleichzeitig arbeitete, war der ganze Prozess ziemlich intensiv.
Pia Troxler: «Rêveries Nocturnes», Suite für Orchester, ist fertig geschrieben. Ich gratuliere dir! Was geschieht jetzt mit diesem Werk?
Rodolphe Schacher: Ja, ehm, es wird gespielt! Sehr wichtig sind die Orchesterproben. Es ist ein Werk für 40 Musiker:innen. Plötzlich gibt es diese 40 Musiker:innen real. Vielleicht gibt es welche, die sind unzufrieden mit ihrer Stimme. Ich weiss nicht, vielleicht nur wegen eines Taktes. Es ist mir nie passiert. Aber plötzlich sind da Menschen und ich frage mich: Werden sie genau so spielen, wie ich will und wie ich es mir vorgestellt habe? Es ist immer gut gegangen. Nach der Zeit der Komposition kommt die Zeit der Realität. Wie klingt es? Was hören wir? Es ist nicht mehr der Computer, der spielt, sondern die Menschen. Kommt ihr auch an die Proben?
Pia Troxler: Da habe ich noch keine Ahnung. Das ist sehr interessant, für dich ist nicht die Uraufführung der grosse Moment, sondern die Orchesterproben, an denen du hörst, wie die Komposition klingt.
Rodolphe Schacher: Ja, nach den Proben weiss ich, wie der Dirigent und das Orchester meine Komposition aufgenommen haben. An der Uraufführung gibt es keine Überraschung mehr. Bei argovia philharmonic spielen alles gute Musiker:innen, so wird die Uraufführung gleich sein und gleich klingen wie vorher die Proben. Nicht zu vergessen ist aber die Reaktion des Publikums. Das ist enorm wichig. Da bin ich gespannt. Doch darauf habe ich keinen Einfluss mehr. Ich hoffe. Ich hoffe einfach, dass das Werk gut ankommt und gut aufgenommen wird.
Pia Troxler : Ja, auf jeden Fall! Ich teile diese Hoffnung mit dir. Ich wünsche «Rêveries Nocturnes» und dir ganz viel Erfolg.
Rodolphe Schacher: Danke vielmals.
Pia Troxler: Ich danke dir für das Interview.
Uraufführung «Rêveries Nocturnes» Suite für Orchester:
Do., 22.5.2025, 19.30 Uhr, Abo-Konzert argovia philharmonic, Alte Reithalle Aarau, Aarau, https://argoviaphil.ch/event/5-abo-konzert-10/
Komponistenwerkstatt», wie «Rêveries Nocturnes» entstand:
Sa., 24.5.2025, 10.30 Uhr, Brunchkonzert Komponistenwerkstatt, Alte Reithalle Aarau, Aarau. Mitwirkende: argovia philharmonic, Komponist Rodolphe Schacher, Autor:innen-Gruppe der «Komponistenwerkstatt», Moderation: Michael Schraner, https://argoviaphil.ch/event/brunchkonzert/
Lesung Texte zu «Rêveries Nocturnes»
Sa, 24.5.2025, 09.15 Uhr, Autor:innen der «Komponistenwerkstatt» lesen als Einführung zum Brunchkonzert, Alte Reithalle Aarau, Schenkenberg-Loge, https://argoviaphil.ch/event/brunchkonzert/
Infos Schweizer Berufsorchester: www.orchester.ch