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«Mehr als Musik – Matthias Schulz über Oper als Spiegel von Kunst, Technologie und Gesellschaft im 21. Jh.»

Von Julieta Schildknecht

Matthias Schulz übernimmt ab der Spielzeit 2025/26 die Intendanz des Opernhauses Zürich. Als erfahrenerer Kulturmanager, leidenschaftlicher Pianist und Verfechter eines offenen, gesellschaftlich relevanten Opernverständnisses bringt er neue Impulse in die traditionsreiche Institution.

Mit frischen Ideen, voller Energie und gesellschaftlichem Weitblick wird er die Oper neu erlebbar machen und Zürich als kulturelles Zentrum weiter stärken. Im Gespräch mit Literatur&Kunst spricht er über seine Visionen für Zürich, die Rolle der Oper im gesellschaftlichen Diskurs und seine persönliche künstlerische Prägung.

Learning bei doing, der früh eine Brücke zwischen Kunst und Organisation schlug? Eher nicht – seine Karriere basiert stark auf praktischer Erfahrung, künstlerischer Sensibilität und wirtschaftlichem Denken!

 

Julieta Schildknecht: Sie legen grossen Wert darauf, zeitgenössische Werke aufzuführen, die aktuelle politische und gesellschaftliche Fragestellungen aufgreifen. Können Sie erläutern, was dieses Konzept für Sie bedeutet und welche Beispiele sich dafür in der Saison 2025/26 am Opernhaus Zürich finden lassen?

Matthias Schulz: Für mich ist es von essenzieller Bedeutung, dass die Oper nicht zu einem reinen Museum erstarrt. Es geht darum, historische Werke aus neuen Perspektiven zu beleuchten und gleichzeitig entschlossen für neue Stoffe zu kämpfen.
Die Herausforderung besteht darin, Themen zu finden, die zu packen sind und zugleich eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzen – ein wesentliches Kriterium für die Oper. Würde man sich ausschliesslich tagesaktuellen Themen widmen, liefen diese Werke Gefahr, schnell zu veralten. Die Oper thematisiert letztlich oft Extremzustände, um so fundamentale menschliche und gesellschaftliche Fragen sichtbar zu machen.

Für die kommende Spielzeit möchte ich zwei Werke besonders hervorheben: Zum einen „Cardillac“ von Paul Hindemith, eine Oper, die vor genau 100 Jahren in ihrer Dresdner Fassung uraufgeführt wurde und nichts von ihrer Aktualität eingebüsst hat.
Paul Hindemith hat in Zürich eine enge Verbindung zur Musikgeschichte geprägt – er war nicht nur hier aktiv, sondern hat auch das Musikwissenschaftliche Institut maßgeblich mitgestaltet.
„Cardillac“ erzählt die Geschichte eines Künstlers, der sich von seinen Kunstwerken nicht trennen kann und zum Mörder wird. Es geht um die Macht des Kunstwerks, um die Frage, was ein Kunstwerk überhaupt ist, wie weit der schöpferische Prozess gehen darf und welche Auswirkungen Kunst auf die reale Welt haben kann.
Musikalisch ist „Cardillac“ für mich Hindemiths stärkste Oper, ein Meisterwerk, das wir mit Fabio Luisi am Pult und Kornél Mundruczó, bekannt durch den Film  „Pieces of a Woman“, als Regisseur zur Aufführung bringen werden – ein Regisseur, der die Oper als kriminalistisches Drama inszenieren wird.

Das zweite Beispiel ist „The Monster’s Paradise“, eine Zusammenarbeit von Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth – die erste nach 23 Jahren. Elfriede Jelinek ist in Zürich keine Unbekannte, viele ihrer Texte wurden hier bereits aufgeführt. Ihr neues Werk besitzt eine gespenstische Tagesaktualität angesichts der gegenwärtigen Weltlage.
Das Stück zeigt, dass wir der aktuellen gesellschaftlichen Realität nur noch mit Groteske begegnen können. Jelinek und Neuwirth treten als Vampiretten auf und kommentieren das Geschehen – ein Werk, das nachdenklich stimmt, herausfordert und dem Publikum einen Spiegel vorhält.
Ich freue mich besonders, dass Tobias Kratzer Regie führen wird. Er wird mit dieser Uraufführung sein Debüt am Opernhaus Zürich geben.

 

JS: Sie pflegen einen engen Dialog mit anderen Disziplinen, etwa in Gesprächen mit Philosophinnen wie Barbara Bleisch über emotionale Extreme und die Rolle der Musik in der Gesellschaft. Welche Impulse nehmen Sie daraus für Ihre Arbeit mit?

MS: Musik und Oper können für die Gesellschaft einen herausragenden Stellenwert einnehmen. Es geht darum, gemeinsam Erlebnisse zu schaffen – echte, unmittelbare Erfahrungen, jenseits von Bildschirmen. Ein Opernhaus ist ein Ort der Begegnung, der Dialoge ermöglicht, an dem man unterschiedliche Perspektiven erleben und darüber im besten Sinne streiten kann.
Oper ist, wenn man so will, eine hervorragende Übung in Demokratie. Dabei ist es entscheidend, Kultur als verbindende Plattform zu begreifen. Und ebenso wichtig ist es, die Schwelle niedrig zu halten, damit jeder die Möglichkeit hat, sich von Oper berühren zu lassen – unabhängig vom Vorwissen.
Mit Initiativen wie „Oper im Quartier“ versuchen wir genau das zu erreichen: ein niedrigschwelliges, zugängliches Angebot für alle.

 

JS: Welche Ziele verfolgen Sie mit den neuen Spielstätten in Zürich?

MS: „Oper im Quartier“ wird ein ehemaliges Kino beleben und als Raum für experimentelle Produktionen, Workshops und Jugendarbeit dienen. Es soll ein Ort des Austauschs, ein Labor für Musiktheater werden – offen für improvisierte Formate ebenso wie für Kooperationen mit lokalen Kulturvereinen. Wir möchten Raum schaffen, in dem sich junge Ensembles ausprobieren können, und so auch einen direkten, dezentralen Kontakt zu neuen Publikumsschichten herstellen.

 

JS: Sie setzen auf innovative Bühnenbilder. Welche ästhetischen Akzente möchten Sie künftig am Opernhaus Zürich setzen, und welche Rolle spielt dabei die Fotografie?

MS: Grundsätzlich glaube ich, dass es – wie bei jedem gelungenen Kunstwerk – um die Balance zwischen Emotion und Struktur geht. Bühnenbilder sollten, wenn es passt, Opulenz und Fantasie entfalten, denn Oper ist die Kunstform, in der alles zusammenkommt: Handwerk, Architektur, Kostüm- und Bildkunst.
Nach einer Phase hyperrealistischer Darstellungen ist es mir ein Anliegen, die Zuschauer wieder in aussergewöhnliche Welten eintauchen zu lassen. Wir planen, künftig verstärkt Künstlerinnen und Künstler aus der bildenden Kunst einzubinden, auch solche, die noch keine Erfahrung mit Bühnenbild haben.
Fotografie spielt dabei insofern eine Rolle, als wir versuchen, die Bildsprache jeder Produktion auch visuell klar und kraftvoll umzusetzen und aktuelle ästhetische Strömungen der Gegenwart aufzugreifen.

 

JS: Sie gelten als erfahrener Vermittler zwischen unterschiedlichen Führungsstilen und Kulturpolitik. Wie sollen neue Formate wie das 24-Stunden-Opernhaus oder Kino-Übertragungen das Publikum ansprechen?

MS: Es freut mich sehr, dass wir unser Erfolgsformat „Oper für alle“ erweitern können – unterstützt auch von der Stadt Zürich und der Zurich Versicherung. Künftig wird es Übertragungen einer Oper, eines Balletts und ein Live-Konzert auf dem Sechseläutenplatz geben, ergänzt um ein Vorprogramm mit Kinder- und Jugendensembles.
Zusätzlich planen wir einen Opern-Kinotag in Zusammenarbeit mit rund 30 Kinos im Kanton Zürich.
Diese Formate sind ein Geschenk an die Zürcherinnen und Zürcher und sollen Begeisterung für unsere Kunstform wecken – und den Zugang zu Oper und Ballett breiter denn je öffnen.

 

JS: Welche Rolle sollte die Oper Ihrer Ansicht nach für eine Stadt wie Zürich spielen – kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich?

MS: Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir eine hohe gesellschaftliche Relevanz erreichen. Die Erwartung zu Recht ist, dass Zürich ein Opernhaus besitzt, das internationale Maßstäbe setzt – sei es bei der musikalischen Qualität oder bei der szenischen Interpretation.
Gleichzeitig müssen wir als Institution ein überzeugender Partner für Wirtschaft und Gesellschaft sein.
Das Opernhaus Zürich wird seit Jahren substantiell durch private Mittel getragen, was nur möglich ist, weil unsere Partner und Mäzene spüren, dass wir uns leidenschaftlich engagieren und mit hoher Qualität überzeugen wollen.
Zudem möchten wir mit erweiterten Programmen insbesondere die junge Generation und gesellschaftliche Gruppen ansprechen, die bislang vielleicht noch keinen Zugang zur Oper gefunden haben.
Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass künftige Generationen den Wert von Kulturinstitutionen erkennen – wir müssen überzeugend darlegen, warum unsere Arbeit unverzichtbar ist, und das mit klaren, nachvollziehbaren Argumenten, nicht aus Selbstgefälligkeit.

 

JS: Sie sehen die Oper also als Medium, um die Ambivalenzen des Lebens auszuhalten?

MS: Absolut. Oper gibt keine einfachen Antworten.
Und im Leben führen einfache Antworten oft direkt in den Populismus.
Oper ist eine Kunstform, die die Komplexität des Lebens erlebbar macht – sie schult Empathie, weil sie uns zwingt, in andere Seelenzustände und Schicksale einzutauchen.
In einer guten Oper bleibt vieles offen, vieles uneindeutig – und genau das ist eine existenzielle Lektion: die Fähigkeit, Widersprüche und Unvollkommenheit auszuhalten.

 

JS: Im Auswahlprozess für Ihre neue Position mussten Sie zehn Fragen zum Thema Oper beantworten. Können Sie eine davon mit uns teilen?

MS: Eine der wesentlichen Fragen lautete: Wie können wir das Opernhaus über den gesamten Kanton Zürich hinaus relevant machen? Die Themen der Zugänglichkeit und Vernetzung waren von großer Bedeutung.
Eine weitere Frage bezog sich auf meine Erfahrung mit kulturellen Bauprojekten.
In Berlin durfte ich die Renovierung der Staatsoper Unter den Linden begleiten – mit allem, was dazugehört: dem Umzug in eine Interimsspielstätte, der Rückkehr in ein noch nicht ganz vollendetes Haus, der Integration neuer Konzepte.
Diese Erfahrungen bringe ich nun nach Zürich mit, insbesondere im Hinblick auf die anstehende Weiterentwicklung der Infrastruktur.

 

JS: Können Sie uns etwas über Ihre Tätigkeit bei der Stiftung Mozarteum berichten und welche Erfahrungen Sie daraus für Ihre heutige Arbeit gewonnen haben?

MS: Die Stiftung Mozarteum ist eine faszinierende Institution, weil sie Kunst, Wissenschaft und Museumstätigkeit vereint.
Ich war als Geschäftsführer und Künstlerischer Leiter tätig und durfte dort lernen, wie man künstlerische Leidenschaft und ökonomische Verantwortung miteinander in Einklang bringt.
Zudem habe ich den intensiven Dialog mit zahlreichen Gremien gepflegt – Präsidium, Kuratorium, Beirat –, was mich gelehrt hat, zwischen verschiedensten Anspruchsgruppen zu vermitteln.
Meine Liebe zur Kammermusik konnte ich dort besonders ausleben: Der Grosse Saal des Mozarteums ist einer der schönsten Kammermusiksäle der Welt.
Diese Erfahrungen, eine kulturelle Institution fest in einer Stadt zu verankern, prägen bis heute meinen Blick auf Kulturmanagement.

 

JS: Sie betonen die Bedeutung von Offenheit, Diversität und gesellschaftlicher Relevanz, ohne parteipolitisch zu agieren. Wie gelingt Ihnen dieser Ansatz in der Praxis?

MS: Kulturinstitutionen müssen Teil der Gesellschaft sein – nicht abgehoben, sondern mitten im Leben. Es ist unsere Verantwortung, gesellschaftliche Entwicklungen bewusst wahrzunehmen und aufzugreifen.
Gleichzeitig müssen wir vermeiden, unser Publikum zu belehren.
Es geht um eine organische Entwicklung, um echte Schritte, etwa in der Gleichstellung oder bei der Förderung von Diversität – und nicht um hektischen Aktionismus.
Wenn wir dies authentisch und glaubwürdig tun, können wir als Kulturinstitution ein stabilisierendes Element im gesellschaftlichen Wandel sein.

 

JS: Zürich war einst ein internationaler Magnet für Opernfreunde. Wird diese Begeisterung Ihrer Meinung nach wiederkehren?

MS: Das muss unser Anspruch sein.
Das Opernhaus Zürich soll wieder verstärkt international wahrgenommen werden.
Wir planen, gezielt Auslandsreisen zu unternehmen – nicht exzessiv, aber bedeutend –, um die Qualität unseres Hauses international sichtbar zu machen.
Ebenso wichtig ist es, internationale Gäste nach Zürich zu holen. Formate wie das neue Festival „Zürich Barock“ werden dabei eine wichtige Rolle spielen: eine kompakte, hochkarätige Dichte an Oper und Konzert, die internationale Aufmerksamkeit generieren kann.

 

JS: Wird sich das Zürcher Programm in Konkurrenz zu Festivals wie Salzburg sehen oder eher als Ergänzung?

MS: Ganz klar als Ergänzung.
Wir sind ein reguläres Opernhaus, das von September bis Juli tätig ist – anders als Festivals, die saisonal gebündelt sind.
Ich bin fest davon überzeugt, dass sich kulturelle Orte gegenseitig stärken, nicht schwächen. Wie in einer Strasse mit vielen lebendigen Lokalen entsteht auch im kulturellen Austausch eine positive Dynamik: Vielfalt erzeugt Vitalität.

 

JS: Welche Rolle möchten Sie dem Opernhaus Zürich in der Schweiz und im internationalen Kulturbetrieb künftig geben?

MS: Das Opernhaus Zürich hat eine großartige Tradition – geprägt von künstlerischer Exzellenz und stilistischer Vielfalt.
Wir besitzen eine besondere Unmittelbarkeit: Mit nur 1.100 Plätzen erlebt man Oper hier sehr direkt, sehr intensiv.
Die Verflechtung mit dem Ballett und die Offenheit für neue Werke sind ebenso einzigartig.
Mein Ziel ist es, Zürich weiterhin als Ort zu positionieren, an dem die Oper lebt, innovativ bleibt und für andere Häuser ein Vorbild sein kann.

 

JS: Wie wichtig ist Ihnen eine Programmgestaltung, die gesellschaftliche Themen aufgreift und zu Reflexionen anregt?

MS: Eine Oper, die lediglich illustriert, ist zu wenig.
Oper muss einen Anspruch formulieren, muss Haltung zeigen.
Natürlich geht es nicht um Tagespolitik, sondern um übergeordnete gesellschaftliche Themen, die uns als Menschen bewegen.
Es ist mir wichtig, Stoffe auszuwählen, die Entwicklungen unserer Zeit reflektieren und das Publikum herausfordern, über Werte und Ambivalenzen nachzudenken.
Nur ästhetische Bebilderung würde der Tiefe und Ernsthaftigkeit der Oper als Kunstform nicht gerecht werden.

 

JS: Mit dem neuen Logo und der sorgfältig gestalteten Programmbroschüre wurden bereits wesentliche Impulse gesetzt. Was fehlt Ihrer Meinung nach noch, um das Opernhaus Zürich optimal für die Zukunft aufzustellen?

MS: Mit dem neuen Corporate Design haben wir, denke ich, einen sehr gelungenen Schritt gemacht.
Die Figuren aus unserem Dachstuhl – reich, eigenwillig, lebendig – stehen symbolisch für die Vielfalt und Eigenart der Kunstform Oper und prägen nun auch unser visuelles Erscheinungsbild.
Wichtiger noch ist es, dass wir als Institution gesamthaft gesellschaftlich verankert bleiben.
Unsere grösste Herausforderung ist es, neue Publikumsschichten nachhaltig anzusprechen und verbindlich in unser Haus einzuladen.
Zudem strebe ich eine enge Kooperation mit anderen bedeutenden Kulturakteuren der Stadt an – seien es die Zürcher Hochschule der Künste, die Volkshochschule, das Kunsthaus oder die Tonhalle.
Nur gemeinsam können wir die kulturelle Vitalität Zürichs erhalten und weiterentwickeln.

 

JS: Wenn Sie eine Oper nicht auf einer traditionellen Bühne, sondern an einem ungewöhnlichen Ort inszenieren könnten – welcher Ort wäre das?

MS: Ich empfinde verlassene oder industrielle Orte, die Spuren der Vergangenheit tragen, als sehr inspirierend.
Seien es ehemalige Umspannwerke oder stillgelegte Industriehallen – solche Räume bieten eine besondere Aura, eine historische Tiefe, die sich mit Musiktheater auf faszinierende Weise verbinden lässt.
Bei der Ruhrtriennale durfte ich entsprechende Erfahrungen sammeln. Ich finde, an solchen Orten entstehen oft besonders intensive, unvergessliche Erlebnisse.

 

JS: Gibt es ein nichtmusikalisches Buch, das Sie gerne einmal auf einer Opernbühne umgesetzt sehen würden?

MS: Kürzlich ist mir „Eileen“ von Ottessa Moshfegh in die Hände gefallen.
Ein verstörendes, psychologisch komplexes Werk, das sich – mit seinen bizarren Figuren und den extremen emotionalen Zuständen – geradezu ideal für eine Opernbearbeitung anbietet.
Ich schätze Stoffe, die nicht sofort offensichtlich opernhaft sind, sondern im Spannungsfeld von Vertrautem und Fremdem neue theatrale Welten eröffnen.

 

JS: Würden Sie ein solches Projekt vielleicht mit dem neuen Opernhauspreis verbinden?

MS: Der Opernhauspreis soll Initiativen oder Persönlichkeiten würdigen, die die Zukunft der Oper auf besondere Weise voranbringen.
Das kann in der Stadtentwicklung geschehen, in Fragen der Inklusion oder bei der kreativen Verbindung von neuer Technologie und Oper.
Es geht darum, Menschen auszuzeichnen, die auf inspirierende Weise zeigen, wie Oper weitergedacht werden kann.

 

JS: Haben Sie eine heimliche Schwäche für ein ganz anderes Musikgenre, etwa Rock, Jazz oder Techno?

MS: Ich bin insgesamt sehr offen und neugierig gegenüber verschiedensten Musikrichtungen.
Ob Jazz, Rock oder elektronische Musik – ich genieße es, musikalisch neue Welten zu erkunden. Eine konkrete Präferenz könnte ich aber schwer benennen; für mich ist vielmehr die Vielfalt das Entscheidende.

 

JS: Haben Sie kleine persönliche Rituale, bevor Sie eine Premiere erleben?

MS: Das wichtigste Ritual für mich ist, kurz vor der Vorstellung persönlich allen Hauptakteuren zu begegnen.
Ihnen noch einmal in die Augen zu schauen, ihnen alles Gute zu wünschen – dieser Moment des direkten Kontakts ist für mich wesentlich, um eine Premiere zu beginnen.

 

JS: Welche historische Persönlichkeit hätten Sie gerne zu einer Ihrer Premieren eingeladen?

MS: Hannah Arendt kommt mir hier in den Sinn.
Ihr Verständnis von Macht als etwas Dialogischem, Subtilem – nicht Autoritärem – hat mich tief beeindruckt.
Mit ihr eine Oper zu besuchen und danach ein Gespräch zu führen, wäre sicher eine unvergleichliche Erfahrung gewesen.

 

JS: Sie haben einmal von einer frühen Erfahrung mit einem Pianisten gesprochen, die Ihr Musikverständnis geprägt hat. Können Sie das erläutern?

MS: Eine Schlüsselerfahrung war für mich die Begegnung mit Alfred Brendel.
Seine Interpretationen der Schubert-Sonaten haben mich tief geprägt – sein Spiel verband philosophische Tiefe mit großer menschlicher Wärme.
Ihn später persönlich kennenzulernen und zu erleben, wie er nicht nur als Künstler, sondern auch als Mensch Größe bewahrt, war für mich von großer Bedeutung.

 

JS: Gab es ein Kunstwerk – sei es Oper, Gemälde oder Literatur –, das Ihnen einmal den Mut gab, eine schwierige Entscheidung zu treffen?

MS: Ja, sehr prägend war für mich 1998 die Aufführung von Olivier Messiaens „Saint François d’Assise“ in der Felsenreitschule in Salzburg.
Zu erleben, mit welcher Kraft die Oper des 20. Jahrhunderts existenzielle Fragen thematisieren kann, war für mich ein Erweckungserlebnis – ein Moment, der meinen weiteren Weg entscheidend beeinflusst hat.

 

JS: Als Vater von fünf Kindern zwischen dreizehn und fünfundzwanzig Jahren: Gibt es Projekte am Opernhaus, die durch Ihre Erfahrungen als Vater besonders inspiriert sind?

MS: Das Kinder-Opern-Orchester liegt mir besonders am Herzen.
Es ist eine Kooperation mit den Musikschulen des Kantons Zürich und verbindet junge Talente mit unserem Haus auf wunderbare Weise.
Solche Projekte zeigen, wie wichtig die frühe Förderung von Begeisterung und Talent ist – und sie würdigen gleichzeitig die großartige Arbeit der Musikschulen.

 

JS: Abschliessend: Sie haben einmal gesagt: „Oper ist ein Ort der Begegnung, wo man gemeinsam dasselbe erlebt und danach im besten Sinne darüber streitet. Oper ist die beste Demokratieübung.“ Wann haben Sie das gesagt?

MS: Dieses Zitat stammt aus Abschlussinterviews zu meiner Zeit in Berlin.
Es entspricht genau meinem Verständnis: Oper als Ort der Begegnung, der Vielfalt der Perspektiven und der konstruktiven Auseinandersetzung – essenzielle Pfeiler einer lebendigen Demokratie.

 

JS: Vielen Dank für dieses Gespräch. Herzlichen Glückwunsch und viel Erfolg!

MS: Ich danke Ihnen herzlich für Ihr Interesse und die inspirierenden Fragen.

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